Interview mit Expertem
Humboldt – und sein enormer Einfluss auf die Medizin
Alexander von Humboldt ist berühmt als weit gereister Naturforscher. Weniger bekannt ist, dass er auch die medizinische Ehrendoktorwürde erlangt hat. Über Humboldts Verhältnis zur Medizin.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Professor Hesse, worin bestand die Leistung Humboldts, die ihm die Ehrendoktorwürde der Medizin einbrachte?
Prof. Volker Hesse: Humboldt ist gleich dreimal mit der medizinischen Ehrendoktorwürde ausgezeichnet worden: 1827 in Dorpat, 1828 in Bonn und 1848 in Prag. Die Doktorurkunde der Universität Bonn fand sich hier in Berlin. Sie würdigt Humboldt ausdrücklich für seine Leistungen auf dem Gebiet der Physiologie und Pathologie und deren Bedeutung für die Öffentlichkeit.
In die Ehrendoktorwürde ist aber schließlich ein ganzes Konglomerat von Beobachtungen, Forschungen und Entwicklungen unterschiedlichster Art eingeflossen, darunter auch sein Notfallbeatmungsgerät für Bergleute. Die Physiologie kreiste zu Humboldts Zeiten viel um die Frage, was das Leben ausmacht. Einige Forscher nahmen eine spezifische Lebenskraft an. Humboldt vertrat zunächst auch die Lehre von der Vis vitalis, nahm aber später davon Abstand und entschied sich weder für noch gegen diese Hypothese.
Was waren denn seine physiologischen Leistungen?
Hesse: Seine Leistungen bei der Prüfung der „tierischen Elektrizität“ lagen vor allen Dingen in der Nutzung verschiedener Elektrodenzusammensetzungen und der Prüfung des Einflusses von verschiedenen Substanzen (unter anderem auch Morphium) auf die Leitfähigkeit des Tiermuskels.
Besonders in der Elektrophysiologie hat Humboldt aufregende Dinge entdeckt. Er hat rund 4000 Versuche mit 3000 Tieren zum Galvanismus vorgenommen. Unter anderem hat er an einem stillstehenden Tierherzen das Prinzip der Wiederbelebung durch Stromstöße beobachtet und damit praktisch die Defibrillation beschrieben. Seine elektrophysiologischen Erfahrungen setzte er auch heilkundlich um, etwa in seiner Schrift: „Über die Anwendung des galvanischen Reizmittels auf die praktische Heilkunde“.
Man kennt Humboldt als Naturforscher, Geologen und Geografen. Welche Berührungspunkte hatte er mit der Medizin?
Hesse: Der prägendste Kontakt war mit Sicherheit der zum Jenaer Anatomen Justus Christian Loder. Bei ihm hat er – gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm – Sezieren gelernt. Humboldt hatte aber Zeit seines Lebens enge Kontakte zu Ärzten. Das begann mit der Botanik-Ausbildung bei Ernst Ludwig Heim, ging weiter mit einem wissenschaftlichen Austausch über die Elektrophysiologie mit Marcus Hertz bis hin zu einem freundschaftlich-familiären Verhältnis zu Carl Ludwig Willdenow.
Auch auf seinen Forschungsreisen war Humboldt fast immer in Begleitung von Ärzten unterwegs. Seine erste Reise unternahm er 1790 mit dem Naturforscher und Arzt Georg Forster. Auch Aimé Bonpland, der Humboldt nach Lateinamerika begleitete und Christian Gottfried Ehrenberg, sein Begleiter bei der Russlandreise, waren Mediziner.
Wie machten sich diese Einflüsse bei den Forschungsreisen bemerkbar?
Hesse: Wo immer Humboldt war, hatte er auch ein Augenmerk auf Fragen der Physiologie, Anatomie und Anthropologie. So hat er etwa bei der Orinoco-Expedition Skelette und Mumien vermessen und Schädeluntersuchungen an ihnen vorgenommen. Er hat auch lebende Menschen vermessen und ihre Anatomie verglichen. Sein Forscherdrang veranlasste ihn zu Sektionen von Affen, Vögeln, Krokodilen und Zitteraalen.
Zugleich war Humboldt ein sehr genauer Beobachter physiologischer Vorgänge. Die Infektionskrankheiten Malaria, Gelbfieber, Pocken, Typhus und Cholera etwa sah er in ihrem großen ökologischen und sozialen Zusammenhang. Ihm fiel auf, dass Gelbfieber in höheren Lagen seltener auftritt. Er stellte fest, dass die Pockenschutzimpfung in Lateinamerika dringend gebraucht wird, und bemerkte in seinem Kuba-Werk die „unheilvolle Verbindung von Armut und Krankheit“.
Brachte Humboldt denn von seinen Reisen auch Erkenntnisse mit, die die Medizin seiner Zeit bereicherten?
Hesse: Humboldt hat nach der Besteigung des Chimborazo als Erster die Höhenkrankheit mit ihren physiologischen Auswirkungen sehr genau beschrieben. Zudem brachte er von seinen Reisen einige Wirkstoffe aus dem Arzneimittelschatz der Indianer mit, darunter die Chinarinde gegen Fieber und das Tonikum Angosturarinde.
Im Selbstversuch mit dem indianischen Pfeilgift Curare stellte er fest, dass es ohne Kontakt zum Blut als Magenheilmittel wirkt. Weitere Pflanzen beschrieb er als Psychodrogen. Für Guano dokumentierte er die Verwendung als Mittel für Umschläge bei Gelenk- und Hauterkrankungen in der indianischen Medizin. Hinzu kommt eine Vielfalt von bioklimatologischen Beobachtungen.
Die moderne Medizin nimmt selten bis nie Bezug auf Humboldt – ist er auf diesem Fachgebiet heute zu Unrecht wenig beachtet?
Hesse: Alexander von Humboldt hat keine originäre Erstentdeckung auf dem Gebiet der Medizin gemacht. Aber er ist heute von ganz großer Bedeutung, weil er als Universalist alle Bereiche der Natur verknüpft sieht.
Er hat die komplexen Zusammenhänge in der Natur sehr genau ausgeführt und zugleich den würdevollen Umgang mit der Natur und mit allen Menschen gleichermaßen eingefordert. Das macht ihn sehr modern.