Ausländische Ärzte
"Hungrig auf Arbeit als Ärztin in Deutschland"
Auf ausländische Ärzte, die in Deutschland arbeiten möchten, warten jede Menge Hürden. Diese zu meistern - dabei hilft ein Nürnberger Institut mit Lehrgängen. Wir waren dabei.
Veröffentlicht:NÜRNBERG. "Bitte Arm locker": Der junge Arzt mit dem Reflexhammer in der Hand gibt Anweisungen an seine Patientin - und bekommt dafür ein dickes Lob vom Kursleiter: "Genau so ist es richtig, weisen Sie den Patienten darauf hin, dass er locker bleiben muss, wenn Sie Reflexe überprüfen!"
Dr. Klaus Roth, Allgemeinmediziner aus Nürnberg, steht vor einer Behandlungsliege, umgeben von jungen Ärztinnen und Ärzten aus allen Teilen der Welt, die eines gemeinsam haben: Sie wollen möglichst schnell mit ihrer medizinischen Arbeit in Deutschland beginnen.
Doch ehe dieses Ziel erreicht wird, sind viele Hürden zu überspringen. Und dabei soll ihnen das Nürnberger VIA-Institut für Bildung und Beruf helfen.
Dort leitet Roth den Fachbereich Medizinische Fachsprache und Kommunikation. Er macht Ärzte fit, die im deutschen Gesundheitswesen dringend gebraucht werden.
Starker Partner benötigt
Ausländische Ärzte benötigen einen starken Partner, um in der kurzen Zeit, die sie für den Integrationsprozess haben, all das lernen zu können, was man benötigt, um dauerhaft eine Stelle als Arzt zu finden: Das war die Kernidee von Dr. Matthias Klug, der VIA gegründet hat.
Seit 1995 wurden in diesem Institut, das auch Kooperationspartner des Marburger Bunds ist, Hunderte von Ärztinnen und Ärzten aus dem Ausland fit gemacht für die Arbeit in Deutschland.
Hier sollen sie die Chance bekommen, ihre Kenntnisse der deutschen Allgemeinsprache zu verbessern. Sie lernen darüber hinaus die ärztliche Kommunikation und vertiefen das medizinisch-klinische Wissen für ihre Berufspraxis.
Eine typische Seminarsitzung, im Unterricht geht es an diesem Tag um das Nervensystem und das Testen von Reflexen. Geübt wird an der Behandlungsliege.
Ein Teilnehmer spielt den Patienten, der andere ist Arzt und arbeitet mit dem Reflexhammer. Es geht um Bizeps- und Trizeps-, um Patellasehnen- und andere Reflexe. Roth erklärt, die Teilnehmer fragen nach, geübt werden Kommunikationssituationen mit Patienten.
Wie war das mit Achilles?
Der Achillessehnenreflex ist an der Reihe. Wie war das eigentlich mit Achilles?, fragt Roth. Ein junger Arzt meldet sich, kurz und knapp erzählt er die Geschichte aus der griechischen Mythologie über den Mann mit der verwundbaren Ferse.
Für einen Schüler, der seit kaum mehr als einem Jahr Deutsch lernt, ist das eine Herausforderung. Er legt los - und macht seine Sache gut.
Die Arbeit in diesem Kurs soll die Teilnehmer doppelt fit machen: Sie soll die sprachliche Kompetenz stärken, zugleich sollen aber auch Kompetenzen für die sogenannte Kenntnisprüfung geschult werden, die für die meisten Ärzte aus Nicht-EU-Ländern obligatorisch ist, wenn sie in Deutschland arbeiten wollen.
"Der ausländische Arzt muss nachweisen, dass er über das gleiche Fachwissen verfügt, das von einheimischen Absolventen medizinischer Hochschulen verlangt wird", sagt VIA-Institutsleiter Klug.
Immerhin ist zumindest die Kenntnisprüfung überall in Deutschland gleich. Bei den Fachsprachprüfungen hingegen kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen. Und das macht eine gute Vorbereitung extrem kompliziert.
Die Frage, welche Wege junge Ärzte aus dem Ausland gehen müssen, um am Ende eine Stelle als Assistenzarzt irgendwo in Deutschland zu bekommen, ist deshalb immer noch eine Wissenschaft für sich.
Deutschkenntnisse zwingend notwendig
Im Juni 2014 hat die Gesundheitsministerkonferenz sich auf Eckpunkte für die notwendigen Deutschkenntnisse dieser Ärzte verständigt. Die Umsetzung ist allerdings rechtlich nicht bindend und in den einzelnen Bundesländern extrem unterschiedlich fortgeschritten.
Kürzlich sind die Gesundheitsminister wieder einmal aktiv gewesen. Sie wollen eine zentrale Gutachterstelle zur Prüfung ausländischer Arztdiplome aus Drittstaaten auf den Weg bringen.
"Der Beschluss bietet die Chance, durch eine Bündelung von Sachverstand in einer zentralen Stelle ein einheitliches und transparentes Prüfverfahren zu entwickeln, das 22 regionale Approbationsbehörden einfach nicht gewährleisten können", sagt Dr. Andreas Botzlar, stellvertretender Vorsitzender des Marburger Bunds.
Die Frage ist allerdings, wie konsequent das Projekt tatsächlich umgesetzt wird, denn die Finanzierung ist noch nicht endgültig geklärt.
"Es war meine Entscheidung, nach Deutschland zu gehen. Deshalb muss ich mich auch den Bedingungen hier stellen und will nicht klagen", sagt der mexikanische Arzt Arturo O. "Aber manches ist in Deutschland extrem verwirrend und es gibt viel Bürokratie. Ich benötige Hilfe, und deshalb mache ich diesen Kurs hier im Institut."
Arturo O. hat ehrgeizige Pläne. Er möchte sich auf Neurochirurgie spezialisieren. In Mexiko habe er 120 Stunden pro Woche gearbeitet. "Ich gebe alles für diesen Beruf, aber das kann es nicht sein."
Auch Hussein M. aus Ägypten hofft, dass er endlich in einem Krankenhaus als Arzt arbeiten kann. "Ich habe mich in fast 50 Kliniken beworben, fast nie Vorstellungsgespräche gehabt, bin extrem frustriert." Ein Jahr habe er sich jetzt intensiv mit der deutschen Sprache beschäftigt - und das hat ganz offensichtlich viel gebracht.
Hussein M. drückt sich differenziert aus, er hat zwei wichtige Sprachprüfungen bestanden. Dann hat er von VIA erfahren. "Hier spüre ich Rückhalt, sagt er, "hier sind Mentoren, die mir Unterstützung bieten."
"Wer Interesse hat, kann sich in einem transparenten und professionellen Vermittlungsverfahren unterstützen lassen, um die Assistenzarztstelle zu bekommen, die er benötigt", sagt Klug. Das funktioniere in den meisten Fällen sehr gut.
Sprachprüfungen, Sachprüfungen, Anerkennungsverfahren
Auf Antrag finanziert die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter die Lehrgänge im Institut, darüber hinaus gibt es auch Stipendien von Stiftungen wie etwa dem Marburger Bund oder dem Hartmannbund.
Für junge Bewerber aus Nicht-EU-Ländern, die im deutschen Versorgungssystem als Arzt arbeiten wollen, gibt es Zugangshürden und damit verbundene Begriffe, die in ihrem Alltag von zentraler Bedeutung sind: Da ist zunächst die Berufserlaubnis, die für maximal zwei Jahre ausgestellt wird.
In dieser Zeit müssen sie sich um eine Approbation bemühen. Für viele Ärzte führt der Weg zur Approbation nur über die standardisierte Kenntnisprüfung.
Und schließlich geht es um die Sprachprüfung für Ärzte - das ist für nicht wenige Bewerber zunächst die höchste Hürde, die es zu bewältigen gilt.
In jedem Bundesland überprüft eine zuständige Stelle, ob der im Ausland erworbene Abschluss der Medizin dem deutschen Abschluss gleichwertig ist. Er wird als gleichwertig anerkannt, wenn keine wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Abschlüssen bestehen. Das Problem: Das Verfahren läuft in manchen Bundesländern extrem langsam, in anderen aber auch schneller.
Wer sich erfolgreich um eine Assistenzarztstelle in Bundesland X beworben hat, muss zunächst seine Unterlagen für die Approbationsanerkennung einreichen. Das kann mehrere Monate dauern. Es gibt Bewerber aus Ländern, bei denen praktisch schon vorher klar ist, dass der Abschluss nicht gleichwertig ist. Dann komme es zu weiteren Verzögerungen, sagt Klug.
Sprachprüfungen, Sachprüfungen, Anerkennungsverfahren, die Suche nach einer Assistenzarztstelle, Bewerbungsgespräche, Zusagen, Absagen, Zeitdruck, Termine, die sich überschneiden - das System erfordert von den Bewerbern unendlich viel Kraft und führt sie oft an ihre Grenzen.
Fehlentwicklungen bleiben nicht aus
"Fehlentwicklungen bleiben nicht aus", weiß Klug, und erläutert dies an einem Beispiel, das er selbst erlebt hat. Ein Bewerber findet eine Stelle an einer Klinik in Sachsen-Anhalt, die er im Grunde genommen gar nicht haben will.
Er bekommt dort aber relativ schnell und unproblematisch zunächst seine Berufserlaubnis und danach auch ohne aufwändiges Prüfverfahren die Approbationsurkunde. Das war sein Ziel.
Nach kurzer Zeit kündigt er seine Stelle, bewirbt sich mit der Approbation in der Tasche in einem Bundesland, das ihm mehr zusagt und findet dort sehr schnell einen neuen Job als Assistenzarzt.
"So etwas spricht sich natürlich schnell herum", sagt Klug. "So kommt es zu einem Tourismus der mobilen ausländischen Ärzte durch die Republik. Wichtige nationale Mindest-Wissensstandards für die Approbationsreife werden auf dem Altar des Pragmatismus geopfert."
Die Unterrichtsstunde ist vorbei, die jungen Ärztinnen und Ärzte in Nürnberg gehen in die Pause. "Ich will es endlich wissen", sagt die russische Kursteilnehmerin Gelena K. "ich bin hungrig auf die Arbeit als Ärztin in Deutschland".
Klug ist optimistisch: "Der Weg ist nicht einfach. Aber viele unserer Absolventen haben es am Ende geschafft, sie sind beruflich genau dort angekommen, wo sie auch hinwollten und gebraucht werden."
Die Hürden der deutschen Klinik-Sprache
Umgangssprachliche Kenntnisse allein genügen nicht mehr. Sprachprüfungen für ausländische Ärzte werden schwerer.
Das Zauberwort heißt "C 1": 2014 hat die Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) festgeklopft, dass es für Ärzte nicht mehr länger genügt, wenn sie in der Umgangssprache allein ausreichend fit sind. Verlangt werden jetzt auch fortgeschrittene Kenntnisse in der medizinischen Fachsprache.
"C 1" bezeichnet ein konkretes Qualitätsniveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen und bedeutet: Ärzte müssen über Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, die für eine umfassende ärztliche Tätigkeit erforderlich sind.
Die Umsetzung des rechtlich nicht bindendenden GMK-Beschlusses ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich weit fortgeschritten. Aus Nordrhein-Westfalen zum Beispiel wurden im April Zahlen genannt, nach denen im Schnitt 35 bis 40 Prozent der Ärzte bei den bereits 2014 eingeführten Fachsprachenprüfungen durchgefallen sind.
Rheinland-Pfalz war schon 2012 mit einer eigenen Prüfung vorgeprescht. Auch hier fallen relativ viele Kandidaten durch. In Bayern hingegen ist bisher wenig passiert.
Da reicht noch der Nachweis für ein B2-Sprachzertifikat. ‚Wer diese Prüfung bestanden hat, der weist nach, dass er sich mit Muttersprachlern spontan und fließend so verständigen kann, dass ein normales Gespräch ohne Probleme möglich ist - mehr aber auch nicht.
"Dass sie ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen müssen, ist den meisten ausländischen Ärzten klar", sagt Ruth Wichmann, Leiterin des Auslandsreferats beim Marburger Bund. "Prüfungen müssen sie auch in anderen Länder machen."
Das Problem sei vielmehr die Unübersichtlichkeit des Systems. "Wenn bei einem Umzug von Hessen nach Niedersachsen ein bestandener Fachsprachtest noch einmal neu gemacht werden muss, dann ist das dem betroffenen Arzt nur schwer zu vermitteln."
Es gibt Bundesländer, in denen die Anforderungen höher sind als in anderen, und das spricht sich bei den Bewerbern schnell herum. "Allerdings muss sich jeder Arzt fragen, ob er tatsächlich klug beraten ist, den vielleicht einfacheren Prüfungsweg zu gehen", sagt Wichmann.
Das könne sich im späteren Krankenhausalltag mit seinen permanenten sprachlichen Herausforderungen nachträglich als Fehlentscheidung erweisen, meint die Expertin. (fuh)