Barrierefreiheit als Ausnahme
Kaum stille Örtchen für Rollstuhlfahrer
Eine Toilette im öffentlichen Raum zu finden ist oft schwer. Doch wer auf einen Rollstuhl angewiesen ist, den erwarten häufig noch größere Hindernisse, wie ein Buch mit Erfahrungsberichten zeigt.
Veröffentlicht:Frankfurt/Main. „Wenn die Barrierefreiheit der Normalfall wäre und die Hindernisse die Ausnahme, dann könnten wir auch wieder spontan sein“, sagt der Frankfurter Chirurg Dr. Bernd Hontschik. „Es ist aber leider umgekehrt.“
Für seine Frau Claudia Hontschik, studierte Pädagogin und Rollstuhlfahrerin, ist das „Leben außerhalb der eigenen Wohnung ganz schön abenteuerlich“. Vor allem, wenn sie mal muss.
„Kein Örtchen. Nirgends“, stöhnen sie und ihr Mann dann oft. Unter diesem an Christa Wolfs Roman angelehnten Titel haben beide nun ein Büchlein veröffentlicht, das nicht nur Ausdruck ihres Unmuts ist, sondern dessen Ursache anhand vieler Ärgernisse illustriert.
Barrierefreiheit ist in Deutschland nach wie vor die Ausnahme. Die Regel – das sind Läden, die nur über Stufen zu betreten, Restaurants, deren Tische nicht zu unterfahren, und Bürgersteige, deren Bordsteine nicht abgesenkt sind. Und wenn ein Museum, Kino oder Restaurant tatsächlich über eine Rollstuhltoilette verfügt, dann ist diese entweder kaum zu erreichen oder nur schwer zu benutzen.
Gut gemeint ist nicht gut gemacht
Zwischen gut und gut gemeint gibt es himmelweite Unterschiede, wie die Hontschiks aufzeigen. Etwa an der einzigen Rollstuhltoilette des Frankfurter Schauspiels, die mit einem kräftigen Türschließer („Feind aller Rollstuhlfahrer*innen“) versehen ist, der Betroffene zur Verwendung eines Holzkeils zwingt, und deren Spültaste so hoch hängt, dass sie nur von einer Begleitperson betätigt werden kann.
Auch die Schirn verdient sich in punkto Barrierefreiheit keine Lorbeeren. Denn die Kunsthalle ist nur von vorn über Kopfsteinpflaster oder von der Seite über eine zwar mit Laufspuren versehene, jedoch einigermaßen steile Treppe zu erreichen.
Auch die mit einem automatischen Schließmechanismus versehene Tür zur Rollstuhltoilette ist allein kaum zu öffnen; außerdem ist der Toilettenraum so eng, dass man schon gut manövrieren können muss, um sich irgendwann zu erleichtern.
Im Unterschied zu vielen Kneipen und Restaurants haben die beiden Musentempel zumindest eine Rollstuhltoilette, und immerhin wird jene wie anderswo nicht als Abstellkammer (für Gartenschläuche, Kaffeemaschine, etc.) oder Wickelraum genutzt. Claudia und Bernd Hontschik wollen in ihrem Buch allerdings nicht nur Dampf ablassen und präsentieren daher auch einige „Juwelen“ stiller Örtchen für Rollstuhlfahrer.
Goldkammer bildet den Goldstandard ab
Der Frankfurter Palmengarten beispielsweise habe „an alle und alles gedacht“: Sämtliche Zugangstüren seien elektrifiziert, die Toilette könne von beiden Seiten angefahren werden, die Spülung habe eine Fernauslösung, und das Waschbecken sei unterfahrbar.
Auch das Holzhausenschlösschen ist in dieser Hinsicht vorbildlich. Den Goldstandard jedoch bildet – wen wundert’s? – die Frankfurter Goldkammer ab, ein von der Degussa betriebenes Museum rund ums Gold, das für Rollstuhlfahrer eine eigene Hebeplattform und eine großzügig bemessene Toilette mit eigenem Eingang bereithält.
Claudia und Bernd Hontschik: „Kein Örtchen. Nirgends.“ Westend Verlag. Frankfurt am Main 2020. 112 Seiten. 16 Euro. ISBN 978-3-86489-303-2