Tote Flüchtlinge
Kollateralschaden eines politischen Streits?
Bereits mehrfach hat der Mainzer Arzt Professor Gerhard Trabert auf einem Boot vor der libyschen Küste dabei geholfen, Flüchtlinge zu retten. Ein nun geplanter Einsatz musste jedoch kurzfristig abgesagt werden, weil die Lage politisch zu unsicher geworden ist. Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" erhebt Trabert schwere Vorwürfe.
Veröffentlicht:Der Mainzer Sozialmediziner Professor Gerhard Trabert fordert ein Ende der "Kriminalisierung" von Hilfsorganisationen speziell im Mittelmeer. Immer wieder werden von nicht-offizieller Seite Mutmaßungen laut, private Hilfsorganisationen (NGO) würden mit den Schleppern kooperieren. "Es gibt bei allen humanitären Hilfsaktionen ein internationales ungeschriebenes Gesetz: Wer die Waffe hat, hat das Sagen!", so Trabert im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Manchmal komme es vor, dass Schlepper noch vor Ort seien, während Flüchtlinge bereits von den oft seeuntauglichen Booten auf die Schiffe der Retter gebracht würden – und trotzdem unbehelligt weiterziehen können. "Wenn sie mit Waffen drohen, wird doch kein Rettungsteam einen Konflikt eingehen", sagt Trabert, der bereits mehrfach auf der Sea-Watch als Retter im Einsatz war und die Situation aus eigener Erfahrung kennt. "Dies ist Aufgabe des Militärs, aber nicht von Hilfsorganisationen. So eine Situation als Kooperation zwischen Rettern und Schleppern zu deuten ist einfach nur absurd."
Rettung wird faktisch unmöglich
Ein anderes Problem ist derzeit allerdings noch spürbarer. Die italienischen Behörden haben die Bedingungen für die Einsätze auf hoher See verschärft. Die Italiener haben den zivilen Rettungsorganisationen im Juli einen Verhaltenskodex ("Code of Conduct") vorgelegt, in dem die Rettungsbedingungen neu geregelt werden. "Unter anderem wird darin verlangt, dass ein Schiff, das Bootsflüchtlinge aufnimmt, diese auch nach Lampedusa oder Sizilien bringt", berichtet Trabert. Das könnten die meisten vor Ort aktiven Rettungsschiffe jedoch gar nicht leisten: "Bisher wurden die Geretteten an die italienische Küstenwache oder größere Schiffe übergeben, die entsprechend ausgestattet waren, um die geflüchteten Menschen über Tage hinweg zu versorgen, bis sie in Italien an Land konnten."
Viele Hilfsorganisationen hatten sich geweigert, zu unterschreiben. Dazu gehörten neben "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) und Sea Eye auch Sea-Watch. Das Problem: NGOs, die den umstrittenen Verhaltenskodex nicht unterschreiben, sollen zukünftig keine italienischen Häfen mehr anfahren dürfen, was die Rettung faktisch unmöglich macht. So kam auch ein neuerlich geplanter Einsatz Traberts auf der Sea-Watch nicht zustande – und ein Motorschaden des Schiffs machte die Pläne dann endgültig zunichte.
MSF macht klar, warum sie sich außerstande sehen, die neuen Richtlinien anzuerkennen. "Ein Hin- und Herpendeln aller Rettungsschiffe zwischen der Such- und Rettungszone und den Ausschiffungsorten ist ineffizient und wird dazu führen, dass weniger Schiffe in der Such- und Rettungszone präsent sind, so dass mehr Menschen ertrinken würden", heißt es in einer Erklärung der Organisation. Die Verpflichtung stehe im Widerspruch zur generellen Praxis von Such- und Rettungsaktionen, die vorsehe, dass an Rettungsaktionen beteiligte Schiffe schnellstmöglich wieder aus dieser Verpflichtung entlassen werden müssten, wenn nötig auch mittels der Übergabe der Menschen an andere Schiffe.
"Überflüssig und rechtswidrig"
Ein massives Problem hat Ärzte ohne Grenzen auch mit einem Passus, der die NGOs dazu verpflichten soll, Polizeibeamte der Strafverfolgungsbehörden auf Anforderung der zuständigen nationalen Behörden an Bord zu "empfangen". Für die Flüchtlinge, von denen viele durch Krieg und Flucht traumatisiert sind und auch akut medizinisch versorgt werden müssen,eine zusätzliche Belastung. MSF habe darum gebeten, die Polizisten wenigstens nicht zu bewaffnen, dies sei jedoch abgelehnt worden, heißt es auf der Webseite der Organisation, die damit ihre Richtlinien verletzt sieht: "Wir können bewaffnete Polizisten nicht an Bord unseres Schiffes lassen – ebenso wenig wie wir bewaffneter Polizei, Militär oder anderen Konfliktparteien Zugang zu unseren medizinischen Einrichtungen und Krankenhäusern weltweit gewähren." MSF kritisiert, der Verhaltenskodex sei nicht so formuliert, dass er die Such- und Rettungseinsätze sicherer und effektiver mache.
Trabert findet deutliche Worte für die verschärften Bedingungen. "Der ,Code of Conduct' soll mit überflüssigen und zum Teil rechtswidrigen Vorgaben die Einsätze im Mittelmeer be- und letztlich verhindern", glaubt er. "Dieser Verhaltenskodex ist ein Verzweiflungsakt der italienischen Regierung, um sich den Folgen der Dublin-Verordnung zu entziehen."
MSF unterstreicht, es sei legitim, dass Italien Solidarität mit anderen EU-Mitgliedsstaaten suche – "aber es ist nicht legitim, dass lebensrettende humanitäre Rettungsreaktionen für eine weitergehende Agenda genutzt werden!" Auch Trabert sieht bei allen Schwierigkeiten mit der italienischen Küstenwache auch die Hintergründe: "Es gibt weiterhin kein Rettungskonzept Gesamteuropas. Italien wird im Stich gelassen."
Aktuell ist die Situation zusätzlich angespannt, nachdem libysche Behörden angekündigt hatten, ihre Hoheitsgewässer um eine eigene Such- und Rettungszone ausweiten zu wollen – und diese Ankündigung mit einer expliziten Drohung gegen die NGO-Schiffe verknüpften. Ende Juli hatte die libysche Übergangsregierung um Premierminister Fayez al-Serrajs nicht nur um mehr Kriegsschiffe und Waffen, sondern auch um militärische Hilfe durch Italien innerhalb der libyschen Zwölf-Seemeilen-Zone gebeten. "Sollte es zu einem verstärkten militärischen Eingreifen seitens Italien und Libyen innerhalb dieser Zone kommen, werden die Menschen in den Fluchtbooten noch stärker zwischen die Fronten geraten", befürchtet Trabert. "Im Endeffekt werden sie es sein, die als ,Kollateralschaden' im Kampf gegen Schleusernetzwerke ihr Leben verlieren werden."