Von Hessen ins Krisengebiet
Messerstich und Schlangenbiss: So läuft Physiotherapie in Afrika
Birgit Schönharting aus dem hessischen Taunusstein war für „Ärzte ohne Grenzen“ im sudanesischen Grenzgebiet Abyei. Physiotherapeuten gelten dort als Exoten. Ein Einblick in ihre ungewöhnlichen Erfahrungen.
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Sechs Wochen unterstützte die Taunussteinerin Birgit Schönharting den einzigen Physiotherapeuten in der umstrittenen Grenzregion Abyei.
© Damaris Giuliana
Taunusstein. Vom hessischen Taunusstein ins krisengeschüttelte Grenzgebiet zwischen Nord- und Südsudan: Die Physiotherapeutin Birgit Schönharting war für die internationale Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ in der umstrittenen Grenzregion Abyei, einem Gebiet, bei dem politisch nicht geklärt ist, ob es zu Sudan oder Südsudan gehört. Am Krankenhaus in Agok hat sie den einzigen Physiotherapeuten unterstützt.
Physiotherapeuten gelten in dem ostafrikanischen Land als Exoten, Ausbildungsmöglichkeiten gibt es kaum. „Auch für die meisten Patienten ist es neu, dass sich Physiotherapeuten um ihren Bewegungsapparat kümmern“, sagt Birgit Schönharting. An der Tagesordnung seien dort in erster Linie Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose und HIV aber auch Schuss- und Stichverletzungen nach kriegerischen Auseinandersetzungen. Ursprünglich war der Aufenthalt schon viel früher im Jahr 2020 geplant. Doch Corona hatte ihr zweimal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dabei sind die Infektionszahlen in der Region verhältnismäßig gering, zeitweise gab es dort keine neuen Fälle. Zum Reiseprozedere gehörten dennoch Tests bei der Einreise über den Südsudan, eine zweiwöchige Quarantäne und die erneute Testung bei der Rückkehr nach Deutschland.
200 Behandlungen pro Monat
Am Ende blieben der 44-Jährigen dann ganze sechs Wochen, um sich gemeinsam mit dem afrikanischen Kollegen um die Patienten zu kümmern. Im Schnitt kamen sie auf rund 200 Behandlungen im Monat. Doch neben der Betreuung der Menschen vor Ort beschäftigte sich Schönharting viel mit technischen und organisatorischen Fragestellungen: Welches Material benötigen wir? Was kann improvisiert werden? Hochspezifische Elektrogeräte beispielsweise seien nicht so einfach zu bekommen. Improvisation ist daher Programm: Fehlen Gehhilfen, baut das Logistikteam welche aus Holz. Gibt es keine Hanteln, werden eben mit Wasser gefüllte Plastikflaschen genutzt.

Dank spielerischer Bewegungsübungen lernt ein Fünfjährige wieder laufen: Birgit Schönharting wirft kleinen Jungen eine mit Wasser gefüllte Plastikflasche zu.
© Damaris Giuliana/MSF
Ein Fall ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben: Ein fünfjähriger Junge lag nach einem Schlangenbiss viele Wochen im Krankenhaus. Zunächst hatten die Ärzte befürchtet, dass ihm das Bein abgenommen werden müsse. Der Junge war sehr verängstigt und hatte sich zu Beginn der physiotherapeutischen Behandlung nicht getraut, mit dem betroffenen Bein aufzustehen. „Durch spielerisch verpackte Bewegungsübungen haben wir ihm schließlich dabei geholfen, wieder richtig laufen zu können“, sagt Birgit Schönharting. Überhaupt werde – auch mangels Sprachkenntnissen – viel mit Gestik und Mimik gearbeitet. Trotz Corona und Masken habe dies gut funktioniert.
Das medizinische Personal vor Ort muss sich viel mit Entwicklungsverzögerungen befassen, die durch Mangelernährung bedingt sind. Die Patienten sind in erster Linie Nomaden, die kulturellen Unterschiede zu westlichen Ländern sind groß. So ist beispielsweise Polygamie weit verbreitet, die meisten Familien lebten von Viehzucht, sagt die 44-Jährige. Wie sieht es mit den hygienischen Zuständen in Agok aus? „Da dieses Krankenhaus von ‚Ärzte ohne Grenzen‘ aufgebaut wurde, haben wir auch die Verantwortung für die Hygiene. Die Umstände vor Ort sind aber nicht zu vergleichen mit Krankenhäusern, wie wir sie hier kennen.“
Für die Taunussteiner Physiotherapeutin war es schon der achte Einsatz für „Ärzte ohne Grenzen“. „Mit Wissen, Hand und Mitgefühl lässt sich gerade im Bereich der Rehabilitation viel zur Verbesserung von Lebensqualität und Teilhabe beitragen“, sagt sie. Die Organisation bereitet die Mitarbeiter umfassend auf ihre Aufgaben in den Ländern vor. Besonders bei Einsätzen in Krisengebieten stehen Psychologen bereit. Die Zeit in Abyei wird nicht ihr letzter Auftrag für die Hilfsorganisation gewesen sein. Wann und wo es beim nächsten Mal hingeht, steht allerdings noch nicht fest.