Tabu-Thema
Sexuelle Übergriffe im Heim ansprechen!
Übergriffe gibt es in Altenheimen weit mehr als bekannt werden. Was es braucht es, um Missbrauchsfälle zu verhindern? Ein Pflegewissenschaftler antwortet.
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Nicht weiter: Sexuelle Übergriffe sollten schon im Keim erstickt werden.
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Stuttgart. Senioren- und Pflegeheime sollten nach Überzeugung des Pflegewissenschaftlers Johannes Nau offensiv mit den Themen sexuelle Übergriffe und Gewalt umgehen. „Alle Heime brauchen ein Schutzkonzept, klare Regeln und Fortbildung für ihre Mitarbeiter, so dass Exzesse wie der in Ulm verhandelte mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Zahlen zu dem schambehafteten Thema gebe es nicht. „Nur ein Bruchteil der Fälle wird überhaupt bekannt. Wir müssen das Thema aus der Tabu-Ecke rausholen.“
Vor dem Landgericht Ulm steht eine Altenpflegerin, die in einem Heim im Kreis Göppingen zwei Seniorinnen sexuell missbraucht und dabei Videoaufnahmen gemacht haben soll. Das Urteil soll am Montag fallen.
Heime sollen nicht Schwarzen Peter bekommen
Heimträger, die von sich aus das Thema Gewalt gegen Bewohner angingen, setzten sich schnell dem Verdacht aus, es gebe dort Probleme, sagte Nau. Deshalb müssten Land oder Bund Auflagen für einen adäquaten Umgang mit dem Thema und eine angemessene Aufarbeitung von Übergriffen erlassen. „Dann hat kein Heim den Schwarzen Peter.“
Die Heimleitungen müssten ihre Haltung gegenüber Übergriffen und sexueller Belästigung öffentlich vertreten und klarmachen, dass solches Verhalten absolut inakzeptabel sei. Respektvoller Umgang müsse das Maß aller Dinge sein. Das Personal sollte in der Lage sein, Wahrnehmungen wie unerklärliche blaue Flecken beim Bewohner anzusprechen und diesen zu ermuntern, seine Scham zu überwinden.
Spreche ein Pflegender im Team schlecht über Bewohner, müsse er sofort in die Schranken gewiesen und das dahinter stehende Problem gelöst werden. Beispiel: Ein Pflegender beschwert sich darüber, dass sich eine bettlägerige Bewohnerin bei der Umlagerung „anstelle“. Das Team dürfe ihn dann nicht in seiner Herablassung bestätigen, sondern fragen, wie die Lagerung weniger schmerzhaft verlaufen könne.
Entsprechende Fortbildungen könnten Pflegende dafür sensibilisieren, sagte Nau, der Schulleiter des Evangelischen Bildungszentrums für Gesundheitsberufe Stuttgart ist. In die Ausbildung werde das Thema Gewalt in der Pflege erstmals mit dem Rahmenlehrplan 2020 für die neue generalistische Ausbildung für die Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege integriert. (dpa)