PC statt Stift

Verlernen Kinder zu schreiben?

Die Schreibschrift kämpft ums Überleben, denn immer öfter werden in Schulen Tablets eingesetzt. Experten streiten, ob diese Entwicklung Folgen für Kernkompetenzen von Schülern haben könnte.

Veröffentlicht:
Die Klassenarbeit in Schreibschrift: schon bald ein Dokument aus der guten alten Zeit?

Die Klassenarbeit in Schreibschrift: schon bald ein Dokument aus der guten alten Zeit?

© Westend61 / imago

NÜRNBERG. Die Schreibschrift ist in Gefahr: In Finnland müssen Schüler sie schon gar nicht mehr lernen, andere Länder diskutieren über die Abschaffung. Auf dem Vormarsch sind – auch an deutschen Schulen – Tablet und PC. Sechs Aspekte rund um das Schreiben mit der Hand.

Immer weniger Schüler könne mit dem Stift umgehen: Zum Tag der Handschrift am 23 Januar schlug die Nürnberger Bildungsforscherin Stephanie Müller Alarm: "Etwa 70 bis 80 Prozent der Grundschüler können nicht mehr richtig mit der Hand schreiben".

Die Folgen sind laut der Expertin gravierend: "Das Erlernen der Handschrift ist ein hochkomplexer Vorgang, der für die Feinmotorik der Kinder wichtig ist. Kinder, die wenig mit der Hand schreiben, haben weniger motorische Fähigkeiten". Die Handschrift sei deshalb mehr, als nur Linien und Striche auf einem Stück Papier.

Hinzu kommt: In den meisten Ländern spielen Tinten-Füller im Unterricht keine große Rolle: Neben dem Bleistift, der sich weltweiter Beliebtheit erfreut, werden chinesische Schriftzeichen etwa mit einem Kalligraphiestift- oder Pinsel erlernt. Und in Indien greifen Schüler am liebsten zum Kugelschreiber.

Anders hierzulande: An vielen deutschen Grundschulen bekommen Schüler als symbolische Anerkennung einen Füller-Führerschein, wenn sie gut genug mit dem Tinten-Füller umgehen können.

Stift oder Tablet?

Der Psychologieprofessor Daniel Oppenheimer von der UCLA Anderson School of Management in Los Angeles führte mit seinen Studenten einen Versuch durch: Die eine Hälfte musste bei seiner Vorlesung von Hand mitschreiben, die andere tippte das Gehörte in den Computer.

Die Mitschreiber schnitten deutlich besser ab. Weil sie nicht jedes Wort notieren konnten, hatten sie insgesamt mehr Lehrstoff im Gehirn gespeichert.

Wissenschaftler am Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) in Ulm untersuchen seit mehr als einem Jahr an 150 Kindern, mit welchem Medium sich Lern-Effekte am stärksten im Gehirn verankern: Klassischer Stift, Tastatur oder digitaler Tablet-Stift.

"Schnürli"-Schrift für Eidgenossen

Voraussichtlich 2018 sollen die Ergebnisse der vom Stiftehersteller Staedtler finanziell unterstützten Studie veröffentlicht werden. In der ZNL-Vorstudie zeigten sich bereits etliche Vorteile der Schreibschrift.

In Finnland setzen Schulen auf Tablet und PC: Finnische Schüler müssen die Schreibschrift seit vergangenem Herbst nicht mehr lernen. Ähnliche Überlegungen oder Tests gibt es in den USA und in der Schweiz, wo die "Schnürli-Schrift" zur Debatte steht.

Die Bundesregierung will von diesem Jahr an fünf Milliarden Euro für die Digitalisierung von Schulen ausgeben. "Einmaleins und ABC nur noch mit PC", heißt es dazu auf der Internetseite des Bundesbildungsministeriums.

Bildungsexpertin Stephanie Müller warnt vor zu häufigem Einsatz von Lernsoftware auf Tablets: "Da ist alles nur zweidimensional!" Kinder wollen laut Müller Dinge ertasten und erfühlen. "Egal, was auf dem Tablet angezeigt wird, am Ende fassen die Kinder nur auf eine Glasscheibe".

Der Tastsinn leide darunter. "Das ist meiner Meinung nach ein Grund dafür, weshalb immer mehr Kinder nicht mehr mit dem Stift umgehen können", sagt Müller.

Seinen Ursprung hat der Tag der Handschrift in den USA. Initiiert wurde er 1977 von der Writing Instrument Association (WIMA). Das Datum 23. Januar ist für die USA historisch bedeutsam: Es war der Geburtstag des Amerikaners John Hancock, der am 4. Juli 1776 als erster die amerikanische Unabhängigkeitserklärung unterzeichnete.

Ein riesiges Geschäft

Beim Streit um die Zukunft der Handschrift spielen auch ökonomische Interessen eine wichtige Rolle. Denn der Abschaffung der Schreibschrift müsste dann der massive Einsatz von Computern folgen: Die Anschaffung von Rechnern für über acht Millionen Schulkinder, die damit verbundenen regelmäßige Wartung und die entsprechende Schulung von Lehrern wäre ein riesiges Geschäft. (dpa/eb)

Jetzt abonnieren
Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Aktuelle Umfrage

Patienten vertrauen offiziellen Seiten

Kooperation | In Kooperation mit: AOK-Bundesverband

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Kommentare
Heike Drolshagen 01.02.201713:00 Uhr

Verlernen Kinder zu schreiben?

Für mich steht als antwort dazu ein klares "ja". Aber nicht nur das, die Handschrift abzuschaffen hat noch einige weitere negative Folgen:
die Feinmotorik der Hände wird nicht mehr geschult (dafür gibt es heute die Ergotherapie);
alles, was durch die Hand geht, wird leichter gelernt und bleibt länger haften, d. h. auch das Gedächtnistraining wird vernachlässigt;
die Konzentrationsfähigkeit wird schlechter: beim Lesen kann amn schnell malabgelenkt werden vom Inhalt, muss ich ihn schreiben, beleibe ich bei der Sache;
die Rechtschreibung (und Grammatik)wird zunehmend schlechter bis hin zur Unkenntlichkeit mancher Worte (und Inhalte).
So weit dazu. Es wird sicherlich weitere Argumentationen geben, die gegen das Abschaffen der Handschrift sprechen, so auch: was mache ich, wenn die Technik ausfällt?

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

S2k-Leitlinie

Husten – was tun, wenn er bleibt?

Lesetipps
Im Jahr 2023 wurden 10,8 Millionen Neuerkrankungen und 1,25 Millionen Todesfälle durch Tuberkulose registriert, mit stark heterogener globaler Verteilung.

© Dr_Microbe/stock.adobe.com

Vielversprechende Ergebnisse

Neue Strategie zur Tuberkulose-Früherkennung