„EvidenzUpdate“-Podcast
Rauchstopp – E-Zigaretten oder Kohle?
Ein Mittel, das Menschen hilft, mit dem Rauchen aufzuhören, wie großartig wäre das?! In diesem „EvidenzUpdate“ schauen wir, was wirkt – mit neuen Daten zu finanziellen Anreizen und E-Zigaretten.
Veröffentlicht:Millionen Bundesbürger rauchen und Profiteur ist neben den Tabakherstellern auch der Finanzminister, der darüber gut 15 Milliarden Euro für den Bundeshaushalt einnimmt. Zwar sinkt die Zahl derjenigen, die rauchen, seit Jahren, fast jeder zweite Erwachsene gilt mittlerweile als Nieraucher. Nur wie könnte dem einen oder der einen mehr geholfen werden, die Glimmstängel wegzulegen? In dieser Episode vom „EvidenzUpdate“-Podcast schauen wir uns zwei Arbeiten an.
Im UK hat eine Gruppe die Wirkung finanzieller Anreize zum Rauchstopp bei Schwangeren untersucht. Wir schauen uns nicht nur die Studie an, sondern überlegen auch, ob die Ergebnisse auf das männliche Geschlecht übertragbar sind. Die zweite Arbeit ist die mittlerweile 7. Aktualisierung eines Cochrane-Reviews zu E-Zigaretten und der Frage, ob sie beim Rauchstopp helfen können. Wir überlegen, ob diese Geräte künftig in den hausärztlichen Werkzeugkasten gehören könnten. (Dauer: 39:35 Minuten)
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Quellen
- OECD, Union E. Health at a Glance: Europe 2022. Heal Glance Europe Published Online First: 2022. doi: 10.1787/507433b0-en
- Journal of Health Monitoring · 2017 2(2). doi: 10.17886/RKI-GBE-2017-030
- Lampert T, Lippe E von der, Müters S. Verbreitung des Rauchens in der Erwachsenenbevölkerung in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2013;56:802–8. doi: 10.1007/s00103-013-1698-1
- Tappin D, Sinclair L, Kee F, et al. Effect of financial voucher incentives provided with UK stop smoking services on the cessation of smoking in pregnant women (CPIT III): pragmatic, multicentre, single blinded, phase 3, randomised controlled trial. Bmj 2022;379:e071522. doi: 10.1136/bmj-2022-071522
- Hartmann-Boyce J, Lindson N, Butler AR, et al. Electronic cigarettes for smoking cessation. Cochrane Db Syst Rev 2022;2022:CD010216. doi: 10.1002/14651858.cd010216.pub7
- Hartmann-Boyce J, McRobbie H, Lindson N, et al. Electronic cigarettes for smoking cessation. Cochrane Db Syst Rev 2020;10:CD010216. doi: 10.1002/14651858.cd010216.pub4
Transkript
Nößler: Gute 15 Milliarden Euro verdient der deutsche Fiskus an ungesundem Verhalten, nämlich übers Rauchen. Heute wollen wir einmal schauen, was die Wissenschaft so hergibt, wie man den Finanzminister bei diesem Einnahmeposten am besten ärgern könnte. Und damit endlich wieder herzlich willkommen zu einer neuen Episode vom EvidenzUpdate-Podcast. Wir, das sind ...
Scherer: Martin Scherer.
Nößler: Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der DEGAM und Direktor des Instituts und Poliklinik für Allgemeinmedizin am UKE in Hamburg. Und hier am Mikrofon ist Denis Nößler, Chefredakteur der Ärzte Zeitung aus dem Haus Springer Medizin. Moin nach Hamburg, Herr Scherer!
Scherer: Hallo, Herr Nößler.
Nößler: Hallo, wie geht es Ihnen?
Scherer: Besser als Ihnen. Ich habe keine einzige Zigarette geraucht heute, und die letzten Wochen auch nicht.
Nößler: Sicher?
Scherer: Sehr sicher.
Nößler: Okay. Wobei, mir geht es ja auch nicht schlecht, trotz Zigarette hin oder her. Unser Thema Rauchen heute. Wir müssen aber eine kleine Retrospektive, glaube ich, einlegen. Wir waren jetzt zwei Monate auf Sendepause. Könnte sein, dass wir den Hörerinnen und Hörern ein bisschen schuldig sind, warum, oder?
Scherer: Nostra maxima culpa. Das ist natürlich nicht gut, sollte auch nicht wieder so sein. Aber es gibt Gründe dafür, es waren Herbstferien. Dann hatten Sie, glaube ich, einen wilden November mit zig Veranstaltungen. Und dann brauchten Sie erst mal Erholungsurlaub und so weiter. Aber das können Sie besser selber erzählen.
Nößler: Genauso, gut zusammengefasst. Wir hatten uns tatsächlich für nach den Herbstferien wieder fix verabredet. Und das kennt wahrscheinlich jeder, der uns zuhört, hin und wieder, da nimmt sich dann was vor, dann kommt dann doch wieder irgendwas dazwischen und dann kommt man in so einen Circulus vitiosus hinein. Na gut, wir geloben aber Besserung, das wollen wir jetzt nicht mehr so lange pausieren.
Scherer: Wir haben uns auch ein paar Episoden jetzt fix vorgenommen. Und dazu dann mehr im Cliffhanger.
Nößler: Im guten alten Cliffhanger. In der heutigen Episode, Sie haben es gesagt – ich war jetzt eben noch mal, das darf man gar nicht sagen, eine rauchen, nein war ich nicht – wollen wir über den Rauchstopp reden. Und zwar ganz klassisch, wie schafft man es in der Praxis am besten, die Menschen vom Glimmstängel loszubekommen? Eine ordentliche, gute Primär-, vielleicht auch Sekundärprävention, vielleicht Epidemiologie sollte man ganz klassisch vorne wegschicken. Weil wenn man sich da umschaut, ein bisschen recherchiert, man findet eigentlich relativ widersprüchliches oder nicht so konsistentes Datenmaterial, oder?
Scherer: Zumindest findet man hohe Schwankungsbreiten, wie bei allen Self Report Data, das kennen wir auch aus Schmerzstudien, je nachdem wie man fragt, misst man unterschiedliche Prävalenzen. So ist es beim Rauchen auch. Und die Angaben oder Prävalenzen schwanken so zwischen 20 und 30 Prozent.
Nößler: In Deutschland für Erwachsene.
Scherer: Ganz genau. Es gibt auch Daten aus dem internationalen Kontext im OECD-Bericht, Health at a Glance, da rauchte gut jede fünfte erwachsene Person. Und da gibt es noch unterschiedliche andere Berichte. Eine ältere RKI-Erhebung, die berühmten GEDA-Daten, Gesundheit in Deutschland aktuell. Die letzten Interviews sind aus den Jahren 2014 und 2015, also sieben Jahre her. Das waren 21 Prozent der Frauen und 27 Prozent der Männer ab 18 Jahren, die zumindest gelegentlich rauchten.
Nößler: Kleine methodische Limitation haben Sie schon angedeutet, wenn ich das richtig verstehe. Diese ganzen Surveys, sagt der Name ja schon, auch der OECD-Bericht, die basieren alle auf Befragungen.
Scherer: Die basieren alle auf Befragungen, dann kommt es sehr darauf an, wie die Fragen formuliert sind. Und natürlich gibt es eine objektivere Methode, das sind Speicheltests zum Nachweis von Nikotinmetaboliten, aber die Daten, die wir hier berichtet haben, die wir kursorisch angerissen haben, das sind alles Selfreport-Daten.
Nößler: Und ich glaube, dieser Speicheltest, der wird gleich noch mal Teil einer Arbeit sein, mit der wir uns beschäftigen wollen. Da kam nämlich auch vor, um das zu bestätigen, dass jemand raucht oder nicht. Aber man kann schon grundsätzlich sagen, wenn man sich diese Daten auch so in Zeitreihen anschaut, egal wo in Europa, die Prävalenz sinkt.
Scherer: Die Prävalenz sinkt. Und der kulturelle Kontext ist auch ein völlig anderer. Wenn Sie sich zurückerinnern, in den 60er, 70er Jahren, da war die Zigarette ein völlig anderes Symbol. Die stand für wirtschaftlichen Aufschwung. Heute steht die Zigarette für jemanden, der es immer noch nicht gepackt hat aufzuhören.
Nößler: Ist tatsächlich auch assoziiert. Also in diesem GEDA-Bericht, den Sie erwähnt haben, da kann man durchaus auch gucken auf Landkarten. Und wenn man diese Landkarten mit Prävalenzen vergleicht mit beispielsweise Arbeitslosenstatistik, dann findet man da Zusammenhänge.
Scherer: Und wenn Sie sich die jüngeren Generationen anschauen, dann sind es schon grünere Themen, grünere Lebensziele. Die Co-Benefits sind grünes Leben, gut für mich, gut für den Planeten. Da passt die Zigarette nicht so richtig rein. Natürlich rauchen auch Jüngere und die Zigarette wird auch so schnell nicht aus unserem Alltagsbild verschwinden. Aber der kulturelle Kontext um die Zigarette herum, der hat sich verändert.
Nößler: Und es hat sich auch die Art des Rauchens teilweise weiterentwickelt. Da kommen wir auch noch gleich zu, ist auch Teil dieser Episode heute. Es gibt ja auch nicht so traditionelle Tabak- oder Nikotinprodukte – kommt alles gleich noch. Es gibt einen Begriff, den findet man in diesen Arbeiten, die Sie zitiert haben, immer wieder auch für die Nieraucher*innen. Ist ein Begriff, der so vorkommt. Also die Erhebung, wer hat denn eigentlich nie zum Glimmstängel gegriffen. Und da sind wir wohl bei den ab 18-Jährigen mittlerweile bei schon fast der Hälfte der Population, die also niemals in ihrem Leben geraucht haben. Wenn man sich vielleicht noch mal erinnert, Herr Scherer, jemand, der aufhört, also wenn wir heute über Rauchstopp reden, jemand, der lange geraucht hat, viele Packungsjahre drin hat, der wird es doch wahrscheinlich nie wieder wirklich schaffen auf das beispielsweise kardiovaskuläre Risikoprofil wie ein Nieraucher, oder?
Scherer: Das schafft er doch. Und zwar ist das Schöne – und das kann man sich auch in der zum Beispiel motivierten Gesprächsführung oder auch in anderen Konsultationsformen gut zunutze machen – es gibt wirklich Erfolgsaspekte, die sich je nach Dauer des Nichtrauchens einstellen. Stellen Sie sich das mal vor, nur nach 48 Stunden, da verfeinert sich schon wieder der Geruchs- und Geschmackssinn. Halten Sie das durch, 48 Stunden, wenn ich mal so fragen darf?
Nößler: Ja.
Scherer: Also einmal 48 Stunden nicht rauchen und schon schmeckt alles besser und riecht alles besser. Nach einem Monat weniger Hustenanfälle. Das würde dann bedeuten, dass Sie vielleicht vor unserem Podcast gar nicht mehr abhusten müssen, sondern dass wir gleich loslegen können.
Nößler: Jetzt hat Herr Scherer über den Spucknapf hier verraten.
Scherer: Nach einem Jahr schon – und das müsste man jetzt eigentlich in Zeitlupe sprechen – halbiert sich das kardiovaskuläre Risiko. Stellen Sie sich das mal vor. Und nach fünf Jahren halbiert sich das Lungenkrebsrisiko. Und jetzt kommt es. Es kommen nämlich die Nieraucher. Nach zehn Jahren Smoking Cessation oder nach zehn Jahren nicht mehr Rauchen liegt das Lungenkrebsrisiko wieder bei dem Niveau eines Nierauchers und nach 15 Jahren das Kardiovaskuläre, nach dem Sie mich eigentlich gefragt haben. Das haben wir auch alles schön drin in unserer DEGAM-Patienteninformation Rauchentwöhnung. Aber das sind natürlich einzelne Erfolgsmeilensteine, wo man sagen kann, Nichtrauchen lohnt sich. Es gibt keine einzige Pille, die so gesund ist wie das Nichtrauchen.
Nößler: Lebensstiländerung. Beste Tablette ever. Wenn ich jetzt noch mal richtig rekapituliere: Geruchs- und Geschmackssinn nach zwei Tagen, nach einem Monat deutlich weniger Husten, nach einem Jahr halbiertes kardiovaskuläres Risiko, nach fünf Jahren halbiertes Lungenkrebsrisiko, nach zehn Jahren beim Lungenkrebs auf dem Niveau der Nieraucher und nach 15 Jahren das kardiovaskuläre Risiko auf dem Niveau der Nieraucher. Das heißt, wenn man eine 50-jährige Person, die vielleicht doch etliche Jahre geraucht hat, dazu bringen kann, dass sie wirklich dauerhaft die Finger davon lässt, dann kann man sagen, mit 65 hast du bei deinen Risiken richtig was gutgemacht.
Scherer: Ja. Insofern dienen tatsächlich die Nieraucher als eine hilfreiche Kontrastfolie für die Gesprächsführung. Das müssen Sie mir jetzt mal sagen, wie man sich so fühlt als Raucher. Wahrscheinlich schlecht. Man sieht da draußen die ganzen Nieraucher und denkt, da kann ich nie hinkommen. Aber die Zahlen, die ich Ihnen eben geschildert habe, die zeigen, da können Sie doch hinkommen. Herr Nößler, Sie können es schaffen!
Nößler: Naja, das ist wahrscheinlich die entscheidende Frage, die man sich als Raucher stellen müsste, damit man überhaupt eine Motivation entwickelt. Ich stelle mal eine Hypothese auf: Es gibt ja vielleicht doch Raucher, für die das mal – davon abgesehen, dass es natürlich eine Abhängigkeit ist – ein Genussmittel ist. Und genauso wird es verstanden. Man drängt das Risiko in den Hintergrund, denkt gar nicht über die Risiken nach, obwohl beileibe muss man nicht für studiert haben, die Risiken kennt man ja nun, die sind gesellschaftlich bekannt und Common Sense. Die Frage, die ich mir dann stellen würde, wenn man jemanden irgendwie dazu bringen möchte aufzuhören, ist, wie kann man das überhaupt thematisieren, dieses Risiko? Also das Risiko vor dem Genuss in Anführungszeichen in den Vordergrund stellen.
Scherer: Da sind wir schon mittendrin in dem Ausbau einer Veränderungsbereitschaft. Aber wenn man diese Zahlen sich einmal vergegenwärtigt, viele kennen das Risiko und machen es trotzdem, Sie haben es schon angesprochen. Aber vielen ist es vielleicht gar nicht bewusst, dass sie es schaffen können, innerhalb kürzester Zeit relevante Gesundheitsrisiken zu minimieren, dass sie denken: Mensch, ich war jetzt ein Leben lang Raucherin, Raucher, das Risiko, das bleibt, das Lungenkrebsrisiko bleibt, das kardiovaskuläre Risiko bleibt. Das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Basisinformation und ein ganz wichtiger Baustein für den Aufbau einer Veränderungsbereitschaft, einer Veränderungsmotivation, einer teils extrinsischen, teils intrinsischen Veränderungsmotivation, dass man sagt, Mensch, guck doch mal, wenn du das jetzt zehn Jahre durchhältst, bist du mit dem Lungenkrebsrisiko wie bei jemandem, der nie geraucht hat. Und nach 15 ahren bist du auch wieder mit einem kardiovaskulären Risiko da, wo du eigentlich hingehörst.
Nößler: Da würde mich natürlich jetzt sofort interessieren, welche Hebel Ihnen aus der eigenen Erfahrung, die Sie gemacht haben mit Menschen, die einmal oder lange Zeit geraucht haben, als erfolgsversprechendsten in Erinnerung geblieben sind. Wir können ja mal eine ganz hypothetische Kasuistik konstruieren. Nehmen wir mal an, der Nößler übersiedelt nach Hamburg und er braucht jetzt einen neuen Hausarzt. Und dann wählt er sich den Scherer in seiner Ambulanz und sagt, den Scherer, den will ich jetzt zum Hausarzt haben. Und dann macht er vielleicht mal einen Check-up 35 und guckt sich den mal an und befragt den, was der so macht. Und dann kommt raus, der raucht.
Scherer: Moment. Der Scherer kitzelt erst mal die Informationen aus ihm raus, ohne dass er es merkt. Er macht erst mal eine Basisanamnese, eine Sozialanamnese, eine vegetative Anamnese, eine allergologische Anamnese, eine eigene Anamnese. Sie wollen ja schließlich Patient werden bei mir. Dann muss man erst mal ein ausführliches Erstgespräch machen. Und innerhalb dieses Erstgesprächs kann man dann beiläufig drei Fragen stellen. Frage 1: Rauchen Sie? Natürlich wie viel dann auch, wenn ein Ja kommt. Frage 2: Wie lange? Frage 3: Haben Sie schon einmal versucht aufzuhören? Allein diese drei Fragen, da gibt es doch auch Evidenz für, können die Saat einer Veränderungsmotivation aufkeimen lassen.
Nößler: Allein den Gedanken, der dabei entsteht im Gespräch.
Scherer: Ganz genau. Es ist also eine Mikrointervention, eine kommunikative kleine Intervention. Getarnt als Anamnese.
Nößler: Getarnt als Anamnese, ja. Aber sie setzt natürlich eine Reflexion aus. Also es beginnt bei dem Gegenüber eine Reflexion. Und jetzt, bei diesem vorgestellten Gespräch, machen wir mal weiter. Dann sagt die Person, sie raucht, sie raucht so ein gutes Päckchen am Tag vielleicht, vielleicht seit 20 Jahren. Und auf die Frage: „Haben Sie jemals aufgehört zu rauchen?“ sagt diese Person: „Nö“. Würden Sie das für ein probates Mittel halten, dass man dann durchaus mal über Risiken auch redet? Oder würden Sie sagen, dann lege ich das jetzt erst mal neben hin.
Scherer: Da einfach die nonverbale Kommunikation. Und dann muss ich erspüren, und das können auch die Kolleginnen und Kollegen, die lange im Geschäft sind: Will der überhaupt darüber jetzt reden, der Nößler, oder will der jetzt überhaupt lieber über Fußpilz sprechen oder über andere Dinge. Also da muss man wirklich sehen, ob das in dem Moment passt. Möglicherweise kommen Sie mit einem konkreten Beratungsanlass, da muss man da erst mal drauf eingehen. Aber der Anfang ist gemacht, es ist zur Sprache gekommen, es muss nicht gleich in diesem ersten Gespräch in extenso thematisiert werden. Da kann man dann – und so ist es auch gedacht – cardiovascular prevention is a lifelong task, ist eine lebenslange Aufgabe, die Verhaltensänderung, die schneller natürlich desto besser, aber man geht dann vielleicht im Folgekonsultation noch mal drauf ein, behält es im Hinterkopf und kommt darauf zurück, wenn es passt. Man will ja auch nicht aufdringlich sein.
Nößler: Und sobald man dann in die Situation kommt, dass man sich die Frage stellt, passt es heute, kann ich das vielleicht thematisieren, dann kommt natürlich die Frage – und da nähern wir uns dem Evidenzthema von heute, also Stichwort innere Motivation, haben Sie schon angedeutet, das wäre so ein Hebel, den man natürlich dann versucht mitzubekommen und zu sagen, aha, da bewegt sich was und dann versucht man, daran anzusetzen und diese Basis zu nehmen. Und dann gibt es natürlich alle möglichen Dinge, die man so kennt. Da gibt es pharmazeutische und nicht-pharmazeutische Intervention. Bevor wir jetzt gleich in die aktuelle Evidenzlage einsteigen, was man so gefunden hat, was wäre denn so das typische Armamentarium, an das Sie denken?
Scherer: Also eine ganz wunderbare Intervention ist das Motivational Interviewing, das aus unterschiedlichen Steps besteht. Aber zwei Hauptphasen des Motivational Interviewing bestehen zum einen erst mal aus dem Aufbau einer Veränderungsbereitschaft und dann in einer zweiten Phase die Stärkung der Selbstverpflichtung. Das Motivational Interviewing ist eine sehr gut handhabbare Interventionsform, auch für den hausärztlichen Kontext, ist ein patientenzentrierter Ansatz mit dem Ziel, diese intrinsische Motivation zu einer Verhaltensänderung aufzubauen. Und dann aber in dem nächsten Schritt zu so einer Art Commitment zu kommen, zu einer Selbstverpflichtung, ja, ich verspreche mir das jetzt mal.
Nößler: Also im Prinzip gar nicht zu sagen, du machst jetzt mit mir einen Vertrag, dass du aufhörst, sondern du machst mit dir ein Versprechen, dass du es versuchen willst.
Scherer: Ganz genau. Natürlich kann ich versuchen, als Gesprächspartner diese Selbstverpflichtung auch zu unterstützen. Aber das ist eine ganz gute Interventionsform, die gut erlernbar ist, wo es auch durchaus Wirksamkeitsnachweise für gibt. Ich glaube, da liegt auch ein Stück der Zukunft drin, Motivational Interviewing. Da könnte man noch mehr machen, jetzt in Hausarztpraxen.
Nößler: Das wäre dann veritable sprechende Medizin, nicht nur hörende. Und so Dinge wie, das ist ja so das Heilsversprechen der modernen Medizin, das ja gerne propagiert wird, ist, es gibt für alles einen Drops. Ich benutze jetzt bewusst mal diesen Begriff Drops. Also irgendeine Tablette, die kann ich mir einwerfen und dann wird alles gut. Das ist natürlich eine Illusion. Aber die Dinge, an die viele denken, Nikotinersatztherapie, Pflasterchen, Kaugummis, kennt man das, unterstützende OTC-Geschichten. Es gibt verschreibungspflichtige, fragwürdige Substanzen. Hat das irgendeinen Platz?
Scherer: Muss einen Platz haben als Teil der Palette. Aber Sie haben es schon angesprochen, die DNA unserer Gesellschaft ist auf Konsum und Verbrauch ausgerichtet. Das ist ganz tief in uns verankert, viel tiefer als wir es so denken. Und in der Medizin ist es nicht immer förderlich, weil es uns in eine Passivität drängt. Deshalb sind auch in vielen therapeutischen Ansätzen die Lebensstilmaßnahmen, die eigentlich immer an erster Stelle kommen, sei es die arterielle Hypertonie, sei es die Herzinsuffizienz, sei es die Coxarthrose. Egal, welche Arbeitshypothese Sie haben, egal, welche Diagnose Sie haben, es kommen immer erst die Lebensstilmaßnahmen, aber dann wird gerne mal ein Hupfer drübergemacht, hin zum Tropf, hin zum Maschinchen, hin zu einer doch recht passiven Intervention.
Nößler: Also Verzicht als medizinisches Basisprinzip, in dem Fall Verzicht auf die Noxe, Verzicht auf einen ungesunden Lebensstil.
Scherer: Verzicht impliziert ja eine gewisse Passivität. Verzicht kann ja ein sehr aktiver Vorgang sein.
Nößler: Ich finde diesen Konsumaspekt total spannend. Aber das schreit fast nach einer eher metaphysischen Episode, die wir uns zu gegebener Zeit noch vornehmen könnten.
Scherer: Vielleicht schon beim Jahreswechsel, für die Silvesterepisode.
Nößler: Vielleicht beim Jahreswechsel. Schreiben wir uns mal auf für die Silvesterepisode. Konsum und Medizin. Da könnte man, glaube ich, eine ganze Bibliothek mit füllen. Herr Scherer, bevor wir abschweifen – das können wir auch ganz gut –, wollen wir in die Evidenz reingehen. Sie haben zwei Arbeiten mitgebracht heute, frische Evidenz zum Thema: Was könnte helfen, beim Rauchstopp zu unterstützen. Vielleicht ist der Begriff „unterstützen“ an dieser Stelle wichtig. Eine Arbeit, die Sie mitgebracht haben – wo tun wir die im Übrigen hin?
Scherer: In die Shownotes.
Nößler: In die Shownotes. Da geht es um finanzielle Anreize. Also kann man dadurch, dass ich jemandem Geld verspreche oder eine Geldleistung, jemanden beim Rauchstopp unterstützen? Das ist eine Arbeit aus dem UK an Schwangeren. Was ist das für eine Arbeit?
Scherer: Man hat versucht, Schwangere, die geraucht haben, vom Rauchen wegzubringen. Und man hat sich die Frage gestellt, ob diese Intervention, diese finanzielle Incentivierung geeignet ist, sie generalisierbar in ihrer Wirksamkeit nachzuweisen, in ihrer Kosteneffektivität auch zu überprüfen und insgesamt natürlich die Machbarkeit und die Akzeptanz dieser Maßnahmen sich anzuschauen. Das war ein einfacher pragmatischer Trial, einfach verblindet, Multicenter, das waren sieben Nikotinambulanzen, in denen rekrutiert wurde, in Schottland, Nordirland und England, da haben knapp 450 schwangere Frauen mitgemacht. Und die wurden halb/halb auf eine Kontroll- und Interventionsgruppe verteilt. Die Kontrollgruppe hat das Standardrauchstopp-Programm bekommen, das in Beratung bestand und in dem Angebot einer Nikotinersatztherapie. Und die Interventionsgruppe, die hat Kasse gemacht. Denen wurde tatsächlich Geld angeboten, bis zu 400 Pfund. Das ist schon ein Betrag.
Nößler: In der Interventionsgruppe haben die Voucher zusätzlich versprochen bekommen, mit denen sie dann Love2shop, irgendein Dienst wahrscheinlich, wo man dann irgendwas erwerben kann, deswegen kann die nicht doppelt verblindet sein. Weil man hat natürlich da mitgekriegt, dass ich ein Voucher in der Hand habe.
Scherer: Man merkt es, ob man was geschenkt kriegt oder nicht. Ich hoffe, das trifft auch zu Weihnachten zu.
Nößler: Man merkt es, dass man etwas geschenkt bekommt. Und die Rekrutierung, das ist wahrscheinlich methodisch noch interessant, die lief bis zum Beginn der Pandemie, hat Anfang 2018 begonnen.
Scherer: Ganz genau. Die war von Anfang 2018 bis Anfang April 2020, also haben sie geradeso eben noch die Kurve gekriegt. Es war dann natürlich auch die Frage, wie kriegt man das eigentlich raus, ob jetzt jemand wirklich mit dem Rauchen aufgehört hat. Selfreport ist natürlich ein Weg. Wenn ich jetzt ein Geschenkgutschein für 400 Pfund kriege, dann sage ich schnell mal: Ja, ich habe aufgehört. Da gibt es noch eine objektivierbare Methode, die wir auch im Eingangsteil schon angesprochen haben, das ist der Speicheltest auf Cotinin. Das ist dann Hauptmetabolit von Nikotin im Speichel, relativ zuverlässig, nach zehn Minuten ist das Ergebnis da. Das ist auch ein guter Test, um Rauchende von Nichtrauchenden zu unterscheiden. Was hat man gefunden? Es ist wenig überraschend. Es war wirksam.
Nößler: Geld ist wirksam. Da haben wir den Konsum wieder.
Scherer: Geld ist wirksam. Also es war so, dass die Intervention natürlich funktioniert hat und dass doppelt so viele Frauen in der Interventionsgruppe mit dem finanziellen Anreiz tatsächlich aufgehört haben zu rauchen als in der Kontrollgruppe. In der Kontrollgruppe waren es gerademal 12 Prozent und in der Interventionsgruppe 27 Prozent.
Nößler: Also das absolute Risiko in absoluter Wirksamkeit. Was sagt denn da der Freund von NNTs und absoluten Risikoreduktionen? Ist das stark?
Scherer: Das ist schon eine hochwirksame Intervention. Das Problem ist nur, dass hohe Fallzahlen in diesem Fall auch wirklich extreme finanzielle Aufwende bedeuten würden. Das Geld muss man erst mal aufbringen.
Nößler: Wobei man natürlich auf der anderen Seite sagen kann, Herr Scherer, nehmen wir mal 500 Euro, machen wir es mal rund, eine Größenordnung, die jeder versteht. Und wenn diese 500 Euro langfristig jemand von der Zigarette wegbringen könnten, was spart man dann an anderer Seite an Geld für erhöhte Risiken, die zu behandeln wären?
Scherer: Für die Solidargemeinschaft ist es sicherlich lohnend. Aber Sie müssen es erst mal kommuniziert kriegen. Und warum kriegen die Nichtraucher nichts? Dann haben wir ein ethisches Thema. Müsste man nicht jedem Nichtrauchenden auch Geld dafür geben, dass er gar nicht erst angefangen hat? Und wollen Sie es dann mit Alkohol genauso machen? Also, ich will es jetzt gar nicht zu sehr problematisieren. Aber ich denke schon, dass wir da auch in medizinethische Gefilde oder auch in gesellschaftliche Diskussionen kommen.
Nößler: Und eine sozialphilosophische Debatte, die man da sofort rausziehen kann. Gut. Jedenfalls haben wir schon mal klargestellt, Herr Scherer, da geben sich am Ende aus so einer reinen klinisch wissenschaftlichen Untersuchung ganz gesellschaftliche Debatten. Die stellen wir jetzt mal nebenan. Und behalten wir uns mal offen, vielleicht kann man das zu anderer Zeit noch mal besprechen. Wir hatten eingangs darüber gesprochen, dass ein ganz entscheidender Hebel die intrinsische Motivation ist. Ist jemand überhaupt zugänglich für dieses Thema oder nicht – hatten Sie gesagt. Kann man denn sagen, ob die Schwangeren, die da rekrutiert wurden in der Studie, diese Stop-Smoking-Services, von denen da die Rede ist, selbst aufgesucht haben oder wurden die da hingekarrt?
Scherer: Für mich geht es implizit aus dem Text hervor, dass die schon eine gewisse intrinsische Veränderungsbereitschaft hatten, weil sie schon an Nichtraucherambulanzen, an Rauchentwöhnungsambulanzen angegliedert waren. Ich glaube, davon kann man ausgehen.
Nößler: Also die hatten das Thema offensichtlich irgendwie präsent.
Scherer: Ja.
Nößler: Jetzt ist ja eine Schwangerschaft ein sehr relevantes Lebensereignis. Und die meisten haben dann natürlich im Kopf, nein, das ist jetzt so eigentlich total kontraindiziert, wenn ich da jetzt rauche. Das ist jetzt meine Hypothese, die stelle ich jetzt einfach mal auf, die Motivation, vielleicht den Glimmstängel mal liegenzulassen, wenigstens während der Schwangerschaft und für kurze Zeit danach. Kann man in irgendeiner Weise diese Arbeit aus dem UK auch auf das andere Geschlecht generalisieren? Oder glauben Sie, es wäre viel zu gewagt?
Scherer: Das ist nicht sonderlich gewagt. Weil wir aus anderen analogen Ansätzen wissen, dass Verhaltensänderung meistens funktioniert, bei Behandlerinnen und Behandlern genauso wie bei Patientinnen und Patienten. Also Geld ist ein wirksamer Motivator, um Verhaltensänderung voranzubringen. Wenn ich zum Beispiel an meinen letzten Strafzettel denke, hat es funktioniert.
Nößler: Parken Sie seitdem ordentlich?
Scherer: Ich fahre etwas langsamer.
Nößler: Okay. Also auch das hat funktioniert. Insofern an dieser Stelle, Grüße in die Reinhardstraße nach Berlin zum GKV-Spitzenverband. Wir müssen über Geld reden. Machen wir an anderer Stelle. Das heißt, die Frage Kassenleistung ja/nein, haben Sie ja schon angedeutet, da macht sich noch ein ganz anderer Berg der Debatte auf. Das wollen wir heute mal ausblenden.
Scherer: Wenn Sie jetzt zum Beispiel in Richtung systemische Intervention denken, das funktioniert jetzt nicht so, dass dann wir unseren Patientinnen, Patienten einen Scheck ausstellen. Damit es eine Kassenleistung würde, bräuchte man schon einen Angang hier, der evaluatorisch ist in Deutschland, vielleicht sogar über eine G-BA-Richtlinie. Aber genauso wie Sie es eben impliziert haben, müssten vorher wirklich komplizierte Diskussionen geführt werden über Priorisierungen von finanziellen Einsätzen und wo geben wir unser Geld hin, in welchen Bereichen, wie wägt man den Nutzen der Geldverteilung gegeneinander ab. Das sind wirklich extrem komplizierte Debatten. Und das wäre doch erst mal eine Nuss, die zu knacken.
Nößler: Wir hatten ja auch just in dieser Woche – das haben Sie ganz sicher auch mitbekommen, wir reden hier über Verhaltensprävention im klassischen Sinne – diesen Bewegungsgipfel in Berlin mit Sportbund und wer da alles mit dabei war, wo man dann auch sagt, naja, eine Verhaltensprävention kann ich auch ein Stück weit über eine Verhältnisprävention beeinflussen. Da macht sich ja ein Riesenthema am Ende auf. Also, ich sehe schon, das klingt fast nach Fortsetzungsfolgen. Herr Scherer, Sie sagen, Geld wirkt immer. Nur wenn wir es dann einsetzen wollen, dann müssen wir eben noch andere Fragen stellen und die müssen wir dann diskutieren. Das nehme ich an der Stelle mal mit. Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, diese Studie gibt schon einiges an Evidenz her aus dem UK.
Scherer: Ja, ganz sicher. Also das ist etwas, worauf man aufbauen kann und wo man sich wirklich Gedanken machen kann, wie lässt sich das in unseren Versorgungskontext übertragen. Aber die Idee, mit Geld etwas am Verhalten zu bewirken, die ist nicht sonderlich originell und bei Weitem nicht neu. Man kann es auch nicht überall machen, denn das Geld ist begrenzt. Also man muss sich wirklich sehr genau überlegen, wo man diese Karte spielt. Aber beim Schutz des ungeborenen Lebens, da lohnt sich das allemal.
Nößler: Eventuell müsste man dann mit Josef Hecken noch mal eine Zigarette rauchen gehen. Ja, wenn es um Geld geht, steht dann der Finanzminister – wir hatten es eingangs gesagt – 15 Milliarden Euro verdient der Fiskus mit diesen Glimmstängeln. Auch das ist ja eine echte Nummer. Jetzt schauen wir noch auf eine zweite Arbeit, die Sie mitgebracht haben heute. Eine zweite Möglichkeit, wie man einen Rauchausstieg unterstützen kann, und da wird es heiß, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Es geht um E-Zigaretten. E-Zigaretten als Alternative zur klassischen Zigarette. Die sind ja noch nicht so alt, diese Dinge, und da gibt es ja auch verschiedene Möglichkeiten, Verdampfer, Erhitzer, ich weiß gar nicht, wer so richtig da einen Überblick hat. Und seither gibt es eine sehr umfängliche Debatte darüber. Es gibt so diese Harm-Reduction-Theorie, das ist die eine. Und die andere Theorie, die dem entgegensteht, ist, das kann eine Einstiegsdroge sein. Und darüber wird natürlich insbesondere in der Kinder- und Jugendmedizin diskutiert. Und was Sie aber heute mitgebracht haben, ist eine Cochrane-Analyse, und zwar ziemlich frisch aktualisiert im Review, wo man mal die Evidenz sich angeschaut hat, inwieweit man bei Erwachsenen mit einer E-Zigarette zum Nikotinausstieg unterstützen kann. Und was haben die denn da eigentlich gesucht, die Cochrane-Autoren?
Scherer: Es war jetzt mittlerweile die siebte Analyse, das siebte Update. Und sie haben 78 vollendete Studien gefunden mit immerhin über 22.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Zu diesen 78 Studien waren es 40 RCTs und immerhin ein Viertel davon hat eine durchschnittliche Qualität, dass man sagen kann, das Bias-Risiko war relativ gering. 50 hatten eher ein hohes Risiko, fehlerbehaftet zu sein. Aber so ist es eben häufig, bei diesen Cochrane Reviews, dass sie mit der methodischen Qualität stehen und fallen. Wie gesagt, dieses Mal so viele Studien und so viele Partizipanten wie noch nie.
Nößler: Also, die haben verglichen zwischen jenen, die eine E-Zigarette benutzt haben versus jenen, die klassische Nikotinersatztherapie verwendet haben. Das war jetzt der Vergleich. Und da kann Cochrane jetzt zeigen auf Basis der Evidenz: Ja, E-Zigarette schafft vier von 100 mehr gegenüber Nikotinersatztherapie weg. Sie haben die Verhaltenstherapie eben als Basis der Intervention bezeichnet. Was kann Cochrane dazu sagen? Haben Sie dazu was gefunden in der Evidenz?
Scherer: Verglichen mit Verhaltenstherapie waren die Raten in der E-Zigarettengruppe ebenfalls höher. Da waren es zwei zusätzliche Personen auf 100, die aufgehört haben in der E-Zigaretten-Gruppe.
Nößler: Also auch da finden die etwas, ein Signal – reden wir mal von Signalen. Jetzt ist natürlich die spannende Frage – und das begleitet die Diskussion über E-Zigaretten, Tabakerhitzer und Ähnliches, seit es sie gibt – was kann man eigentlich über die Schädlichkeit dieser Produkte sagen? Die funktionieren ja nun anders, da ist Glykol drin.
Scherer: Das ist kein Drops.
Nößler: Ist kein Drops und ist im Zweifel auch einfach schädlich. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Das sollte auch jeder wissen. Herr Scherer, Sie haben gesagt, das ist mittlerweile die siebte Cochrane-Auswertung zu eben dieser Frage, ob die E-Zigaretten helfen können beim Rauchstopp. Das machen die jetzt schon seit einigen Jahren, dass sie immer wieder aktualisieren und die neue Evidenz, die sie finden einarbeiten. Wenn man das jetzt mal vergleicht mit die letzten zwei Jahre. Wir sind jetzt bei Version 7, haben die gesagt. Wenn man die letzten zwei Jahre zurückschaut. Evidenz ist ja etwas Lebendiges, etwas Fluides. Was hat sich seitdem verändert?
Scherer: Es sind mehr Studien dazugekommen und auch mehr Studien in guter Qualität. Wir haben jetzt die 78 Studien drin, wovon zehn ganz okay waren. In der letzten Version beziehungsweise in einer der früheren Versionen, Version 4 zum Beispiel waren es 50 Studien, von denen vier mit einer Qualität waren, die ganz in Ordnung war. Und während man in der früheren Version noch von einer moderarten Wahrscheinlichkeit oder von einer mittelgradigen Evidenz gesprochen hat, dass die E-Zigarette was bringt, würde man jetzt schon von einer höhergradigen Evidenz sprechen. Also da hat es schon einen gewissen Fortschritt gegeben, auch einen Fortschritt in der Genauigkeit oder auch in der Sicherheit der Aussagen, die in diesem Cochrane Review gemacht wird.
Nößler: Wenn Cochrane so was sagt, klingt es ja fast schon wie so ein kleiner Ritterschlag.
Scherer: Auch da sagen sie noch: „More studies needed to confirm the effect size“ und so weiter. Also da bleiben sie sich schon treu.
Nößler: Und dann die Frage: Dauer von solchen Studien, die Sie da in Ihrer Analyse ...
Scherer: Ist ein guter Punkt. Natürlich sind das alles Studien, die keine Langzeiteffekte untersucht haben, sondern relativ kurze Laufzeiten hatten.
Nößler: Wenn Sie sagen, okay, die haben jetzt irgendwie gute 80 Studien gefunden mit insgesamt guten 22.000 Participants, dann sind wir wieder bei dem großen N, das dann je Studie relativ klein ist und am Ende man doch relativ große Schwankungsbereiche dadurch auch produziert.
Scherer: Weil es eben sich um eine extrem heterogene Population handelt, die da gepoolt wurde.
Nößler: Herr Prof. Scherer, Fazit: Kann man auf Basis dieser Evidenz, die Cochrane gefunden hat, E-Zigaretten als Unterstützungsoption erwägen?
Scherer: Zumindest sind sie ein wirksames Tool. Ja, als eine Option in dem gesamten Werkzeugkasten. Man muss allerdings sagen, man kann sie in Erwägung ziehen. Die Domäne der Hausarztpraxis ist jedoch die sprechende Medizin. Das empathische Begleiten, das Erspüren der Veränderungsbereitschaft bis hin zum Motivation Motivational Interviewing, das ist die Domäne.
Nößler: Also, von Martin Scherer gibt es keinen Freifahrtschein in der Hinsicht, E-Zigarette für alle, die aufhören wollen mit dem Rauchen. Sondern ein Freifahrtschein fürs Sprechen.
Scherer: So ist es.
Nößler: Knackig zusammengefasst, würde ich sagen, so eine 40-seitige Cochrane-Analyse, Herr Scherer.
Scherer: Naja, wir kriegen ja häufiger mal die Rückmeldung, dass wir knackig sein sollen in unseren Podcasts. Und wir arbeiten daran.
Nößler: Wir arbeiten daran und geloben jetzt schon Besserung, nachdem wir jetzt ein bisschen länger Pause hatten, was wir nicht mehr machen wollen, waren wir jetzt wieder etwas länger, was wir zuletzt nicht gemacht haben. Also wir arbeiten daran, haben Sie gesagt. Herr Scherer, wollen wir an der Stelle einen Brake machen, einen Rauchstopp im echten Wortsinn?
Scherer: Was raucht sind die Köpfe. Und wir wollten, glaube ich, dieses Jahr noch zwei weitere Podcast-Episoden machen.
Nößler: Cliffhanger.
Scherer: Einmal zu dem, was uns alle auf Trab halten, auch in hausärztlichen Praxen. Und dann der obligatorische Jahresrückblick.
Nößler: Was hält Sie denn auf Trab? Vielleicht kann man da schon mal ein bisschen spoilern.
Scherer: Ich sage nur abhusten.
Nößler: Uh, okay. Also, vielleicht mit Katar, irgendwas mit Atemwegen, irgendwas Respiratorisches, wir werden sehen. Wir sind gespannt. Also, wir hören uns dann in der nächsten Woche wieder und in der übernächsten Woche, Minimum. Und dann sind wir im neuen Jahr. Dann sage ich an dieser Stelle, vielen Dank an alle, die uns zuhören. Noch mal der Hinweis an alle, die Kritikwünsche und Fragen haben, Kommentare: evidenzupdate@springer.com. Und ich bedanke mich sehr bei Ihnen, Martin Scherer, dass wir nach etwas längerer Pause jetzt wieder zusammengefunden haben. Und freue mich, wenn wir uns wieder hören an gleicher Stelle und an gleicher Welle.
Scherer: Ganz meinerseits. Einen schönen Advent.