Streit um Corona-Auffrischungsimpfungen
Ärzte kritisieren Spahns Booster-Hoppla-hopp scharf
Der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn will den Booster-Schuss für alle. Doch Ärztevertreter halten dies für übereilt. Nötig sei die Corona-Auffrischungsimpfung zunächst bei vulnerablen Personengruppen.
Veröffentlicht:Berlin. Trotz steigender Corona-Inzidenz haben Ärzte zu mehr Gelassenheit in der Pandemie aufgerufen. Das gelte auch und gerade für die Debatte um Drittimpfungen. „Jetzt Booster-Impfungen wahllos für alle zu empfehlen, macht keinen Sinn“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, am Dienstag in Berlin.
Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will Booster-Impfungen allen Bürgern anbieten, die diese sechs Monate nach Abschluss der ersten Impfserie wünschen. Das geht aus einem Beschlussentwurf des Bundes für die Gesundheitsministerkonferenz Ende dieser Woche in Lindau hervor. Laut Ministerium kommen konservativ gerechnet bereits jetzt bis zu 13 Millionen Bundesbürger für den Booster infrage. Spahn will dafür auch die Impfzentren reaktivieren.
Dem Impfdashboard von BMG und Robert-Koch-Institut zufolge sind bis dato 55,5 Millionen Bundesbürger vollständig gegen COVID-19 geimpft. Etwa 2,1 Millionen haben einen Booster-Schuss erhalten.
Corona-Pandemie
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Gassen: Praxen brauchen klare Rahmenbedingungen
Gassen betonte, die Ständige Impfkommission (STIKO) habe klar benannt, welche Personen mit der Auffrischungsimpfung „jetzt“ besonders zu schützen seien: Über-70-Jährige, Menschen mit Vorerkrankungen sowie medizinisches Personal. „Deshalb müssen wir die geordnet abarbeiten.“
Die Praxen schafften die Drittimpfungen aus eigner Kraft, sie bräuchten aber „klare Rahmenbedingungen“, so Gassen. Nötig sei ein geordnetes Einladungsverfahren und mehr Flexibilität beim Bestellen von Impfstoff.
KBV-Vizechef Stephan Hofmeister sprach sich für gezielte Einladungen durch Krankenkassen und Behörden aus. Berlin mache gerade vor, wie das gehe. Mobile Impfteams könnten die Arztpraxen beim Boostern unterstützen. Hofmeister warnte ebenfalls davor, jetzt allen die Drittimpfung anzuempfehlen.
„Das hilft uns nicht.“ Die Praxen verbrauchten viel Zeit, um verunsicherte Menschen aufzufangen. „In dieser Zeit wird weder geimpft noch werden andere Menschen behandelt.“
STIKO-Chef: Priorisierung auch bei Booster-Impfungen wichtig
„Es ist ein wesentliches Prinzip in der Medizin, zuerst die zu impfen, die am meisten davon profitieren, und nicht die, die am schnellsten laufen können“, stellte auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), Professor Martin Scherer, fest.
Es brauche beim Boostern ein geordnetes Vorgehen und „mehr Ruhe im System“. „Absolut prioritär“ sei der Schutz der Bewohner von Pflegeheimen. „Das müssen wir dieses Mal besser machen als letztes Jahr.“
STIKO-Chef Professor Thomas Mertens betonte, es sei „natürlich“ immer besser, jemanden zu impfen als Impfdosen wegzuschmeißen. Aber auch für die Booster-Impfungen brauche es eine „gewisse Art der Priorisierung“. Die Häufung von Durchbruchsinfektionen entspreche „ungefähr dem, was man auch erwarten konnte“.
Primäres Ziel der Impfungen sei der Schutz vor Erkrankung. Es gebe nur sehr wenige Impfstoffe, die sterile Immunität bewirkten. „Das ist eine sehr hohe Forderung und wird auch zum Beispiel von einem schlichten Rötelimpfstoff nicht erreicht.“
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Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Professor Frank Ulrich Montgomery, hatte sich zuvor für ein breites Boostern ausgesprochen. „Wir wissen ja inzwischen, dass die Immunität nach sechs Monaten nachlässt. Dann macht es doch Sinn, die Immunität mit einer Drittimpfung wieder aufzufrischen“, sagte Montgomery der „Ärzte Zeitung“ am Rande des 125. Deutschen Ärztetages in Berlin.
DEGAM-Chef Scherer rief dazu auf, „wachsam, aber nicht ohne Zuversicht“ durch den Herbst und Winter zu gehen. Das „Instrumentarium“ im Kampf gegen die Pandemie wie AHA-Regeln und Impfung werde sich nicht groß verändern. Die derzeitige Situation sei so etwas wie eine „Blaupause für die nächsten Jahre“.
Hofmeister sagte, alle sollten sich darauf konzentrieren, „positive Botschaften zu setzen – selbstverständlich bei aller weiteren nötigen Vorsicht“. Man gehe auf die „wahrscheinlich letzte Etappe“ in der Pandemie.