Leitartikel
Ärzte stehen bei der Ampel in der zweiten Reihe
Ärzte und die medizinische Versorgung spielen im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP eine untergeordnete Rolle. Immerhin: Quasi als erste „Amtshandlung“ hat der designierte Kanzler Olaf Scholz ein starkes gesundheitspolitisches Signal ausgesendet.
Veröffentlicht:Reaktionsschnell und fähig zu schnellem und konkretem Handeln: Das ist die Botschaft von SPD, Grünen und FDP im am Mittwoch vorgestellten Koalitionsvertrag. Ärzte und medizinische Versorgung stehen in diesem Programm eher in der zweiten Reihe. Ziel ist eine „moderne sektorenübergreifende Gesundheits- und Pflegepolitik“. Das ist ein weites Feld.
Immerhin: Quasi als erste „Amtshandlung“ hat der künftige Kanzler Olaf Scholz (SPD) ein starkes gesundheitspolitisches Signal ausgesendet. Ein ständiger Corona-Krisenstab von Bund und Ländern im Kanzleramt soll die Reaktionszeiten der Politik auf die aktuellen Entwicklungen in der Pandemie verkürzen helfen. Das ist ein deutlicher Ausdruck von Kritik an der Regierungsarbeit in der ablaufenden Legislatur.
Damit richtet der noch amtierende Finanzminister und Vizekanzler den Zeigefinger auch auf sich selbst. Tatsächlich hatten Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) bereits im Februar 2020 einen Nationalen Krisenstab aufs Gleis gesetzt, von dem seither nie mehr jemand etwas gehört hat. Gegen diese Form von Symbolpolitik hätte Scholz also ruhig schon früher einmal aufstehen können.
Welche Politik kündigt die Ampel mit ihrem Koalitionsvertrag an?
Aus ihren unterschiedlichen Standpunkten haben die drei Parteien ein politisches Programm gezimmert, das die Gegensätze überwinden helfen soll, indem sich jede der Partnerparteien und ihre Klientel wiederfinden kann.
Der voraussichtliche Superminister für „Wirtschaft, Klimawandel, Energiewende und Transformation“ Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), ein also auch für den Gesundheitssektor bedeutsames Ressort, ruft ein „lernendes Deutschland“ aus. Alle Akteure der Gesundheitswirtschaft sollen schon in der Aus- und Weiterbildung mit der „digitalen Transformation“ konfrontiert werden.
Die Überschrift über dem Koalitionsvertrag lautet „Mehr Fortschritt wagen“. Das ist angelehnt an das Programm des ersten SPD-Bundeskanzlers Willy Brandt, der mit „Mehr Demokratie wagen“ den Bruch mit der Adenauer-Ära einleitete. Der Fortschritt ist in diesem Fall die Ausrichtung des Landes auf das Ziel Klimaneutralität: Eine gigantische Querschnittsaufgabe.
Der Klimawandel und die Folgen für die Gesundheit
Der designierte Finanzminister, FDP-Vorsitzender Christian Lindner, will die Kräfte des im Lande reichlich vorhandenen „Know-how und Kapitals entfesseln“. Das soll auch für die Gesundheitswirtschaft gelten, die einen eigenen Absatz im Koalitionsvertrag erhalten hat. Umweltbedingten Gesundheitsschäden zu begegnen, ist im Vertrag ausdrücklich angesprochen.
Koalitionsvertrag
Die Gesundheitspolitik der Ampel-Koalition
Abgesehen von den starken Sofortreaktionen auf die Pandemie, bleibt die Gesundheitspolitik im Vertrag aber blass. Gut ist die starke Berücksichtigung „weicher“ Themen wie zum Beispiel der Gendermedizin, die im Studium Platz finden soll, oder der Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen und der Patientenrechte. Die Ampel-Politik stellt das Thema Pflege nach oben. Die Babyboomer-Jahrgänge werden in den kommenden beiden Jahrzehnten ein Alter erreichen, in dem Pflegebedürftigkeit wahrscheinlicher wird.
Die künftige Koalition stellt Weichen, zum Beispiel mit Möglichkeiten für die Kommunen, die Pflegeversorgung vor Ort besser zu organisieren, sowie mit der Förderung neuer Wohnformen in den Quartieren. Das adressiert die grüne Wählerschaft.
Und wo sind die Hausärzte?
Die Eigenanteile der Bewohner von Heimen sollen weiter abgesenkt werden, als noch von der GroKo geplant. Das ist ein von der SPD vorangetriebenes Projekt. Eine freiwillige paritätisch finanzierte Vollversicherung, angeboten auch von der privaten Assekuranz, soll bis 2023 erarbeitet werden. Hier findet sich die FDP gut wieder.
Unterbelichtet ist dagegen die medizinische Versorgung. Das Wort Hausarzt kommt im Koalitionsvertrag überhaupt nicht vor. Nur einmal ist vom „hausärztlichen Bereich“ die Rede, immerhin im Zusammenhang mit der geplanten Aufhebung der Budgetierung der ärztlichen Honorare. Das könnte vielleicht als Anreiz für den ärztlichen Nachwuchs interpretiert werden, sich in eigener Praxis niederzulassen.
Die Richtung ist aber eine andere. Viel stärker als die Einzelpraxis akzentuiert wird nämlich die gemeinsame Berufsausübung, zum Beispiel die in Medizinischen Gesundheitszentren, die in der kommunal getragenen Variante mit Zweigpraxen besonders gefördert werden soll.
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