Sozialabgaben im Fokus

Arbeitgeber sind für Wettbewerb der Tarife in der GKV

Die Arbeitgeberverbände warnen vor steigenden Sozialabgaben. In einem Gutachten legen sie ihr Gegengift dar: Eine völlig neue Selektivvertragswelt à la USA.

Von Florian Staeck Veröffentlicht:
Arbeitgeber sehen die steigenden Lohnnebenkosten mit Sorge. Für die GKV haben sie jetzt weitreichende Reformpläne vorgelegt.

Arbeitgeber sehen die steigenden Lohnnebenkosten mit Sorge. Für die GKV haben sie jetzt weitreichende Reformpläne vorgelegt.

© Wolfgang Filser

Berlin. Um Betriebe bei den Sozialabgaben zu entlasten, sollten die Bürger nach Ansicht von Arbeitgebern länger arbeiten. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) eingesetzte Kommission zur Zukunft der Sozialversicherung, deren Gutachten am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde.

Die Reformagenda der Arbeitgeber für die Gesetzliche Krankenversicherung ist weitreichend. Es gebe „Anzeichen für Ineffizienzen des jetzigen Systems“, die Kostensenkungen erlauben, ohne dass es Einbußen bei der Qualität und Flächendeckung der Versorgung gebe, heißt es im Bericht.

Alle auch international erfolgversprechenden Ansätze basierten auf einem „konsequenten Versorgungsmanagement“, bei dem „die Krankenkassen die Regie übernehmen sollten“, heißt es in dem Bericht.

Arbeitgeber wollen ein in den USA abgeschautes Vertragsmodell

Dabei schweben den Arbeitgebern Selektivverträge mit Netzen von Leistungserbringern vor, die weit über bisherige Formen der integrierten Versorgung hinausgehen. Die bisherigen Selektivverträge erreichten nicht „die nötige vertikale und horizontale Verknüpfung zu Netzwerken für eine umfassende Versorgung“.

Die größten Erfahrungen mit derartigen Versorgungsmodellen gebe es in den USA, dort oft als „Preferred-provider Networks“ bezeichnet. Die dortigen Erfahrungen deuteten auf „nennenswerte Kostensenkungsmöglichkeiten durch konsequentes selektivvertragliches Versorgungsmanagement hin“, heißt es in der Studie.

Schlecht kommt bei den Arbeitgebern die bisherige Krankenhausplanung weg. So wie sie bisher organisiert werde, führe sie „zu Überinvestitionen in die Zahl von Krankenhäusern und Betten, aber zur Unterinvestition in die medizinische Ausstattung“. Im Falle eines Versorgungsmanagements, wie es sich der BDA vorstellt, werde eine „übergeordnete Bedarfsplanung“ verzichtbar.

Klinikfinanzierung soll komplett in der Hand der Kassen sein

Wenig übrig haben die Arbeitgeber auch für die dualistische Krankenhausfinanzierung. Diese führe per se zu Fehlanreizen. Abhilfe schaffen könne nur eine monistische Finanzierung allein durch die Kassen. Dafür müssten ihnen dann auch Steuermittel zur Verfügung gestellt werden.

Die größten Veränderungen in den Reformvorstellungen des BDA kommen auf die Krankenkassen zu. Sie müssten ein „marktliches Verhalten gegenüber den Leistungserbringern und anderen Vertragspartnern entwickeln“, heißt es.

Zudem müsse ein striktes Versorgungsmanagement mit einer freieren Tarifgestaltung einhergehen. Dazu gehöre für die Versicherten die Wahl zwischen einerseits Tarifen mit Versorgungsmanagement und andererseits Tarifen mit weiterhin freier Arzt- und Krankenhauswahl. Wichtig sei, dass von den unterschiedlichen Tarifen „echte Preissignale“ ausgehen.

Parität soll es nur noch im günstigsten Tarif geben

Hierbei kommt das alte Arbeitgebermodell der einkommensunabhängigen Zusatzbeiträge wieder zum Zug: Die paritätische, lohnbezogene Finanzierung soll es demnach nur noch für den günstigsten Tarif mit selektivvertraglichem Versorgungsmanagement geben. Für alle anderen Tarife mit mehr Wahlfreiheit werden Zusatzbeiträge erhoben, die vom Einkommen unabhängig sind.

Die Begründung ist bemerkenswert: Das mit einer solchen Beitragsgestaltung angestrebte Kostenbewusstsein „macht es erforderlich, diese Zusatzbeiträge neuer Art weder paritätisch zu finanzieren noch einkommensabhängig auszugestalten“.

Wenn Wahl- und Wechselmöglichkeiten einfach und verständlich ausgestaltet sind, seien Zusatzbeiträge, die Versicherte ohne Deckelung selbst bezahlen müssen, „ein wichtiges Preissignal und keine soziale Härte“.

Für den Fall, dass eine solche weitreichende Umgestaltung politisch nicht durchsetzbar ist, liefern die Arbeitgeber gleich eine „Auffanglösung“ mit: Die gesetzliche Begrenzung des Arbeitgeberanteils an den GKV-Beiträgen, wie sie bereits 2011 bis 2018 bestanden hat. Denn dies sei die „zielsicherste Möglichkeit“, dass steigende Beitragssätze auf die Lohnkosten durchschlagen.

Flankiert werden sollte dies durch einkommensunabhängige Zusatzbeiträge, die so „sozialvertretbar“ ausgestaltet sind, dass sie ohne Sozialausgleich auskommen.

40 Prozent nur mit „unbequemen Maßnahmen“ zu halten

Nur mit teils unbequemen Maßnahmen könne erreicht werden, dass die Beitragsbelastung dauerhaft unter 40 Prozent bleibe, heißt es in dem Abschlussbericht. Wirtschaftsverbände warnen seit langem vor steigenden Sozialabgaben. Aktuell summieren sich Rentenversicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Arbeitslosenversicherung auf rund 40 Prozent des Bruttolohns.

Die BDA-Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass der Anteil bei derzeitiger Rechtslage bis 2040 auf fast 50 Prozent steigen wird. Grund dafür ist unter anderem die alternde Bevölkerung. Durch die steigende Belastung würden deutsche Firmen international weniger wettbewerbsfähig. (mit dpa-Material)

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