Arznei-Infos in Deutschland sind solide, werden aber wenig genutzt

Deutschland verfügt über sehr gute Strukturen zur Arzneimittelinformation, aber Ärzte und Apotheker nutzen sie eher selten.

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Packungsbeilagen und Fachinfos: Nur eine mögliche Form der Arznei-Information. Doch die einschlägigen Behörden und Institutionen bieten noch viel mehr Infos.

Packungsbeilagen und Fachinfos: Nur eine mögliche Form der Arznei-Information. Doch die einschlägigen Behörden und Institutionen bieten noch viel mehr Infos.

© Jochen Tack / imago

KÖLN (akr). "Der Bekanntheitsgrad der Bundesinstitute und Behörden könnte besser sein." Darauf hat Professor Martin Schulz, Geschäftsführer Arzneimittel bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, aufmerksam gemacht.

Das Problem: Ärzten und Pharmazeuten entgehen dadurch oft Informationen. Dabei könnten sie eigentlich auf ein umfangreiches Angebot zurückgreifen, etwa über die Websites des Robert-Koch-, des Paul-Ehrlich- und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie der Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker.

Sie böten Hilfe für die Routine wie auch im Krisenfall. "Wir haben in Deutschland nicht nur ein solides Informations-, sondern zudem ein schnelles gut funktionierendes Rückrufsystem", betonte Schulz beim 2. Kongress für Arzneimittelinformation in Köln.

Fachleute in anderen Ländern würden die deutschen Kollegen häufig darum beneiden.

"Es brennt aber nicht nur, wenn unerwünschte Nebenwirkungen auftreten", ergänze Professor Wolf-Dieter Ludwig von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ).

Ein entscheidender Punkt seien auch neue Medikamente. Um Ärzte darüber auf dem Laufenden zu halten, erstellt die AkdÄ seit 2009 zum Beispiel regelmäßig einen Flyer zu neuen Arzneimitteln.

Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gibt sie auch die Schrift "Wirkstoff aktuell" heraus.

Die Risiken von Arzneimitteln könne man allerdings nur richtig bewerten, wenn man ihnen den Nutzen gegenüberstellt, betonte die Ärztin Brigitte Keller-Stanislawski vom Paul-Ehrlich-Institut.

"Wenn der Nutzen bei einer schweren Erkrankung sehr hoch ist, werden höhere Risiken in Kauf genommen als bei einem geringen Nutzen und einer leichten Erkrankung", sagte sie.

Sicherheitsinformationen sollten ihrer Auffassung nach sowohl Fakten als auch aktuelle Diskussionen und Schlussfolgerungen beinhalten.

Auch Unklarheiten müssten erwähnt werden. Ihr Institut gibt zum Beispiel ein Bulletin zur Arzneimittelsicherheit heraus.

www.akdae.de, www.rki.de, www.pei.de

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 21.01.201114:57 Uhr

Der Beipackzettel warnt vor den Erkrankungen, die der Arzt verzweifelt zu heilen vorgibt!

Mehr Informationen durch Behörden und Institutionen sind bei der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch Ärztinnen und Ärzte dringend notwendig. Denn die Packungsbeilagen und Fachinfos sind oft in einer völlig verquasten Sprache und kruden Logik abgefasst. Besonders beliebt: Infos, die die zu behandelnde Krankheit als Nebenwirkung und spezifisches Behandlungsrisiko bei der eigentlich therapeutischen Medikamentenanwendung beschreiben!

Dies ist z. B. bei den Packungsbeilagen für Enalapril/Lercanidipin (Handelsnamen Zaneril oder Carmen ACE) der Fall, ein "second line" Kombi-Antihypertensivum. Die Kombination eines Calciumkanalblockers mit ACE-Hemmer wird häufig bevorzugt, wenn die hypertensive Herzkrankheit gesichert und eine koronare Herzkrankheit im Frühstadium angenommen werden muss. Dazu Anfang dieser Woche der aufgeregte Anruf meines Patienten, der im Zug auf dem Weg zur Arbeit sitzend, den ''Beipack'' genauer las: "Nebenwirkungen", "Herz-Kreislauf-System", "Häufig: Übermäßige Blutdrucksenkung"... "kurzzeitiger Bewusstseinsverlust"... "Herzinfarkt oder Schlaganfall"... "Herzengegefühl, unregelmäßiger Herzrhythmus"...

Was kann ein Laie davon halten, wenn er ein Medikament nehmen soll, das nachweislich antihypertensiv und koronarperfusionsfördernd vor Herz- und Hirninfarkt schützten soll und für diese Indikationen durch das BfArM amtlich zugelassen ist. Gleichzeitig wird aber vor genau diesen Krankheiten als Nebenwirkung mit dramatischen Folgen gewarnt.

Schon im Mittelalter versuchte man, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Heute macht man das moderner mit "Packungsbeilagen"!

Aber das ist noch steigerungsfähig. In manchen Präparaten wird vor Nebenwirkungen gewarnt, die gar keine sind. Das gerinnungshemmende Präparat Prasugrel (Efient) vermerkt in der Fachinfo unter "Tabelle 2" mit der Rubrik "Verletzung, Vergiftung und durch Eingriffe bedingte Komplikationen" "P r e l l u n g e n". Entweder ist einem Probanden während der lfd. Arzneimittelstudie eine 1.000-Pillen-Efient-Packung auf den linken Fuß gefallen, oder es kam zu Prellungen beim Prüfarzt, weil die Efient-Verordnungen zur Sprengung des Medikamentenbudgets geführt haben, vermutete ich. Ich erhielt darauf eine E-Mail von:

"med_info@lilly.com 13. Januar 2011
Ihre Anfrage zu Efient®
Sehr geehrter Herr Dr. Schätzler,
vor einiger Zeit hatten Sie bei uns angefragt, wie der Begriff "Prellung" als häufige Nebenwirkung von Efient® (arzneilich wirksamer Bestandteil Prasugrel) zu verstehen ist. Es handelt sich hier um eine stumpfe äußere Einwirkung, die zu einem Bluterguss geführt hat und nicht auf eine studienspezifische Behandlung zurückzuführen war z. B. Patient hat sich die Zehen oder Bein oder Kopf angestoßen. Daher wurde ''Prellung'' auch unter der Systemorganklasse Verletzung, Vergiftung und durch Eingriffe bedingte Komplikationen aufgeführt."

Meine Antwort darauf war: "Selbstverständlich ist mir bewusst, dass Sie mit medizinischen Fachinformationen seriös und in Übereinstimmung mit den Prüf- und Aufsichtsbehörden umgehen müssen. Aber bei welchen Studienteilnehmern werden n i c h t gelegentlich Malheure des Alltags (wie auch in der Kontrollgruppe) auftreten: Sie könnten sich den Kopf an einer niedrigen Kellerdecke stoßen (Schädelprellung) oder sie verstauchen sich an ihrem Fahrrad wegen einer Unachtsamkeit den Fuß (Gelenkdistorsion). Wenn das Alles als Nebenwirkung offiziell erfasst werden müsste? Frei nach H. Heine: ''Denk ich an die Packungsbeilage in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht''."

In diesem Sinne! Mit freundlichen Grüßen Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund


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