Wissenschaft und Politik

Deutschland sucht die neuen Pandemie-Marker

Wie umgehen mit der sich abzeichnenden vierten Corona-Welle? Wissenschafter und Politiker sind auf der Suche nach Markern, um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden. Die Zahl der Neuinfektionen alleine verliert mit dem Anstieg der Impfquoten an Aussagekraft.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht: | aktualisiert:
Gesundheitswissenschaftler wie Professor Reinhard Busse von der TU Berlin mahnen exaktere Daten zur Hospitalisierung von COVID-19-Patienten an.

Gesundheitswissenschaftler wie Professor Reinhard Busse von der TU Berlin mahnen exaktere Daten zur Hospitalisierung von COVID-19-Patienten an.

© Stephanie Pilick / springer medizin

Berlin. Mit steigenden Impfraten verringert sich das Gewicht der Corona-Inzidenzen. Gleichwohl braucht die Politik Anhaltspunkte, ob und wenn ja ab wann welche Alltagseinschränkungen in der sich abzeichnenden vierten Corona-Welle gelten sollen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wird nicht müde zu betonen, dass Ziel der Corona-Politik der Regierung nach wie vor sei, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern.

Wissenschaftler haben nun für Deutschland exaktere Daten zur Hospitalisierung von COVID-19-Patienten angemahnt. Es würden Aufnahmen gezählt, nicht aber die Verweildauer. Die Daten hierzulande seien zudem fall- und nicht personenbezogen. Es gebe Doppelzählungen, selbst bei internen Verlegungen im Krankenhaus.

„Alles, was wir wissen, haben wir vom InEK, und dessen Daten stimmen nicht mit denen des DIVI überein“, sagte Professor Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin und Mitglied des Fachbeirats beim Bundesgesundheitsministeriums bei einer virtuellen Presseveranstaltung des Science Media Centers am Dienstag. Gleichwohl gehe er davon aus, dass höhere Inzidenzen zugelassen werden könnten, ohne sofort Alltagsbeschränkungen auszurufen.

Lesen sie auch

Mehr Intensivmedizin in Deutschland

Busse verwies darauf, dass es in den vergangenen beiden Wellen in Deutschland zu deutlich mehr intensivmedizinischen COVID-19-Behandlungen gekommen sei als bei den europäischen Nachbarn. Die hätten aus den Erfahrungen der ersten Welle von März bis Mai 2020 offenbar andere Schlüsse gezogen.

Während in Deutschland zwischen März und Mai 2021 zwei Prozent aller Infizierter intensivmedizinisch behandelt wurden, seien es in Spanien 1,6, in Frankreich 1,5 Prozent, in den Niederlanden 0,7 Prozent und in Dänemark und Großbritannien sogar nur 0,5 Prozent.

Als einen Grund nannte er, dass „die Wahrscheinlichkeit, dass man im Krankenhaus in Deutschland dabehalten wird“ höher sei als anderswo. Während in Dänemark die erfahrensten Oberärzte Nachtschicht schöben, seien es in Deutschland oft unerfahrene Assistenzärzte, die übergroße Vorsicht walten ließen.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus Datawrapper Um mit Inhalten aus Datawrapper zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir Ihre Zustimmung. Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte aus Sozialen Netzwerken und von anderen Anbietern angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät notwendig. Weitere Information dazu finden Sie hier.

Indikator Krankenhausaufnahme

Tatsächlich seien Daten zur Hospitalisierung wichtige Indikatoren, um Belastungen des Gesundheitswesens in einer sich andeutenden vierten Corona-Welle zu modellieren, betonte Professor Christian Althaus, Leiter der Forschungsgruppe Immuno-Epidemiologie an der Universität Bern.

Er gehe davon aus, dass im Winter die Inzidenzen wieder „relativ“ hoch ausfallen dürften. Sie müssten aber in ein Verhältnis zu den Neuaufnahmen in den Krankenhäusern gesetzt werden, um Aussagekraft zu gewinnen. Noch könne sich das Virus gut ausbreiten. Mit einer Art Herdenimmunität könne erst im kommenden Jahr gerechnet werden.

Welle unter älteren Menschen „unwahrscheinlich“

Wegen der hohen Impfquoten in den älteren Kohorten gehe er von einem höheren Infektionsgeschehen unter jüngeren Menschen aus, sagte Professor Andreas Schuppert, Leiter des Lehrstuhls für Computacional Biomedecine an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen.

Eine eigene Welle bei der hochaltrigen Bevölkerung halte er für „unwahrscheinlich“, sagte Schuppert. In Pflegeheimen gebe es so etwas wie Herdenimmunität. Problematisch seien die Altersgruppen zwischen 60 und 80 Jahren.

Sie lebten nicht in Heimen und nähmen normal am Leben teil. Ohne Impfung liefen sie das höchste Risiko, mit COVID-19 auf einer Intensivstation zu landen. Die Sommermonate sollten genutzt werden, um die Datenerfassung zu optimieren.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Drohende Unterversorgung

Im Nordosten fehlen immer mehr Ärzte auf dem Land

Praxisabgabe mit Hindernissen

Warum Kollege Gieseking nicht zum Ruhestand kommt

Wochenkolumne aus Berlin

Die Glaskuppel zum Wahlkampf: Auf dem Markt der politischen Angebote

Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Therapie

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Medizinischer Infusions-Tropf mit buntem Hintergrund

© Trsakaoe / stock.adobe.com

Hochdosis-Therapie

Vitamin C bei Infektionen und Long-COVID

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Internationaler Vitamin-C-Kongress im Juni

© Spinger Medizin Verlag

Vitamin C als hochdosierte Infusionstherapie

Internationaler Vitamin-C-Kongress im Juni

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Abb. 1: Zeitaufwand pro Verabreichung von Natalizumab s.c. bzw. i.v.

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [9]

Familienplanung und Impfen bei Multipler Sklerose

Sondersituationen in der MS-Therapie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Biogen GmbH, München
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Praxisabgabe mit Hindernissen

Warum Kollege Gieseking nicht zum Ruhestand kommt

Lesetipps
Krankenkassen haben zum Jahreswechsel schlechte Botschaften für ihre Mitglieder: die Zusatzbeiträge steigen stark. Die Kritik an versäumten Reformen der Ampel-Koalition ist einhellig.

© Comugnero Silvana / stock.adobe.com

Update

62 Kassen im Beitragssatz-Check

Höhere Zusatzbeiträge: So teuer wird Ihre Krankenkasse 2025