Vorsorge in der Schwangerschaft

"Babyfernsehen" - Ist das noch evidenzbasierte Medizin?

Eine Umfrage stellt fest, dass schwangere Frauen mehr Vorsorgeuntersuchungen erhalten als vorgesehen. Die Bertelsmann Stiftung stellt die Frage: Stecken dahinter wirtschaftliche Interessen von Ärzten und Hebammen?

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Ultraschalluntersuchung: Die Bertelsmann-Stiftung sieht werdende Mütter überversorgt.

Ultraschalluntersuchung: Die Bertelsmann-Stiftung sieht werdende Mütter überversorgt.

© oneblink1 / Fotolia.com

BERLIN. Kardiotokografische Untersuchungen und "Babyfernsehen" in 3D sind der Renner bei werdenden Müttern.

Eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung unter 1300 jungen Müttern hat ergeben, dass im Verlauf der Schwangerschaft deutlich mehr Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen werden als die Mutterschaftsrichtlinie vorschreibt. Unerheblich war dabei, ob eine Risikoschwangerschaft oder ein unauffälliger Verlauf vorgelegen hatte.

So hat praktisch jede schwangere Frau (97 Prozent) im Untersuchungszeitraum 2013 per kardiotokografischer Untersuchung die Herztöne des Fötus abhören lassen, obwohl diese Untersuchung laut Mutterschaftsrichtlinie an bestimmte Indikationen wie drohende Frühgeburt und Mehrlingsschwangerschaften gebunden sein sollte.

Als Routinemaßnahme werde die Kardiotokografie "explizit" nicht angesehen, heißt es im aktuellen Gesundheitsmonitor der Stiftung.

Die normale Ultraschalluntersuchung erfreut sich ebenfalls großer Beliebtheit. 80 Prozent der Frauen gaben an, vier und mehr Ultraschalluntersuchungen erhalten zu haben. Der Spitzenwert lag bei 29 Untersuchungen, im Schnitt waren es 7,6. Die Mutterschaftsrichtlinie sieht drei vor.

Emotionale Belastung durch zu viele Untersuchungen

Die Autorinnen des aktuellen Gesundheitsmonitors der Bertelsmann Stiftung werfen die Frage auf, ob die Finanzierung derartiger Interventionen bereits auf der Primärversorgungsebene falsche Anreize setze. Es müsse untersucht werden, ob die beiden Facharztschienen in Deutschland möglicherweise Überversorgung von Schwangeren förderten.

Grund: "Die Qualität der gesundheitlichen Versorgung wird von Schwangeren oft über das Ausmaß medizinischer Maßnahmen und weniger über ein abwartendes Verhalten definiert", heißt es in der Bewertung der Studienergebnisse. Das abwartende Verhalten eines Arztes oder auch einer Hebamme werde von den Frauen schnell als Unterlassung empfunden und lasse sie auf dem Markt nach Alternativen suchen.

Ganz harmlos ist das möglicherweise nicht. Weiterführende Untersuchungen können Frauen emotional belasten. Sie führten zu einem "defizitären, gleichsam pathologischen Blick auf die Schwangerschaft", heißt es im Monitor.

Zusätzlich zu einer möglichen psychischen Belastung führen die Autorinnen der Studie auch medizinische Gegenanzeigen ins Feld. So lehnten die amerikanischen und kanadischen Gesundheitsbehörden medizinisch nicht indizierte Ultraschalluntersuchungen aufgrund bis heute nicht eindeutig geklärter Nebenwirkungen für das Ungeborene ab.

Wirtschaftliche Interessen?

Zusätzlichen Schub erhalten die Ultraschalluntersuchungen auch durch das sogenannte "Babyfernsehen", also bewegte Ultraschallbilder. Für die Autorinnen der Studie wird jedoch damit die Wertigkeit der Ultraschalluntersuchung als "explizit medizinischer Untersuchung" in Frage gestellt.

Es sei durchaus denkbar, dass die Nachfrage nach "Babyfernsehen" gleichermaßen von den wirtschaftlichen Interessen der anbietenden Ärzten wie von subjektiven Bedürfnissen der Mütter gesteuert werde.

Die Autorinnen der Studie nehmen daher auch die Vergütungssysteme von Ärzten und Hebammen in den Blick. Das ursprüngliche Ziel von Kostendämpfung mit der Einführung von Fallpauschalen scheine bei der Betreuung schwangerer Frauen verfehlt zu werden.

Fallpauschalen und Wettbewerb hätten möglicherweise dazu geführt, dass "seitens der Leistungsanbieter das Bedürfnis entsteht, Nischen zu identifizieren, die eine als passend empfundene Vergütung pro Fall ermöglichen."

Bei der Geburtsvorbereitung habe sich eine bedürfnisinduzierte Versorgungssituation jenseits der evidenzbasierten Medizin wie auch der geltenden Richtlinien entwickelt.

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