Bahr kämpft um seine Milliarden

Gesundheitsminister Daniel Bahr muss an vielen Fronten kämpfen: Im Kabinett muss er seine Pflegereform verteidigen, gegen Finanzminister Schäuble die Zuschüsse für den Gesundheitsfonds retten. Die Opposition sieht Bahr isoliert.

Veröffentlicht:
Aktenstudium im Kabinett: Bahr kämpft für den Steuerzuschuss.

Aktenstudium im Kabinett: Bahr kämpft für den Steuerzuschuss.

© Wolfgang Kumm / dpa

BERLIN (sun/fst). Gesundheitsminister Daniel Bahr weht zurzeit ein scharfer Wind ins Gesicht. Er muss seine Pflegereform gegen harsche Kritik aus dem Kabinett verteidigen und sich gleichzeitig gegen Zugriffe auf die Milliarden Euro im Gesundheitsfonds wehren.

Offenbar verfolgt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) seine Pläne, die Steuerzuschüsse zur gesetzlichen Krankenversicherung dauerhaft um zwei Milliarden Euro zu kürzen.

Am Wochenende ist bekannt geworden, dass Schäuble die Neuverschuldung schneller senken will und dazu ein Sparpaket im Umfang von knapp zehn Milliarden Euro aufgelegt hat.

Mit diesem Sparkurs erhält er ausgerechnet Rückendeckung von Philipp Rösler, Bahrs Parteikollege.

Rösler hatte im Nachrichtenmagazin "Spiegel" angekündigt, er wolle den Sparkurs Schäubles mittragen und sei sich mit Bahr einig, "dass auch das Gesundheitsministerium davon nicht ausgenommen ist".

Zuschuss auch aus dem Konjunkturpaket

Aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) klingt das jedoch weniger versöhnlich. Der Bundesanteil an den Einnahmen des Gesundheitsfonds in Höhe von 14 Milliarden Euro sei gesetzlich festgelegt, sagte eine Sprecherin des Ministeriums der "Ärzte Zeitung".

Das BMG wolle eine nachhaltige Finanzierung, diese müsse vor möglichen konjunkturellen Schwankungen sicher sein.

Tatsächlich wurde im Zuge der Beratungen zum Wettbewerbsstärkungsgesetz festgelegt, dass der Zuschuss für 2007 und 2008 jeweils 2,5 Milliarden Euro betragen soll.

In den Folgejahren sollte dieser um jeweils 1,5 Milliarden Euro auf 14 Milliarden Euro steigen. Dieses Ziel sollte ursprünglich erst im Jahr 2016 erreicht werden.

Infolge der Wirtschaftskrise 2009 mussten jedoch die Einnahmeverluste der Krankenkassen kompensiert werden. Daher wurde im Zuge des Konjunkturpaktes II noch im selben Jahr ein Steuerzuschuss von 3,2 Milliarden Euro gewährt.

In den beiden folgenden Jahren gab es jeweils 6,3 Milliarden Euro. Das Sozialversicherungs-Stabilitätsgesetz ermöglichte 2010 eine weitere einmalige Zahlung von 3,9 Milliarden Euro.

Ein Jahr später eiste das BMG nochmals zwei Milliarden Euro für den Sozialausgleich der Zusatzbeiträge los.

Zusatzbeiträge vor dem Ende?

Jetzt ist der Gesundheitsfonds gefüllt: Und das müsse auch so bleiben, fordern die Kassen. Die Steuerzuschüsse würden für versicherungsfremde Leistungen benötigt.

Hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt sich beispielsweise die kostenlose Mitversicherung von Kindern. Das sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

"Es kann nicht sein, dass sich der Staat je nach Haushaltslage aus den Sozialkassen bedient", sagte Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen.

Für Bahr geht es um mehr als die Milliarden im Gesundheitsfonds. Gesundheitsexperten halten die von der Koalition neu ausgestalteten Zusatzbeiträge für politisch tot.

Angesichts prall gefüllter Sozialkassen würden diese auch im Jahr 2013 sicher nicht flächendeckend eingeführt. Damit sei aber auch das ursprüngliche Vorhaben gescheitert, die Gesundheits- von den Lohnkosten zu entkoppeln. Und die Opposition unkt bereits: Bahr sei im Kabinett isoliert.

Zoff bei der Pflege: Schäuble rügt Bahr fürs schlechte Nachrechnen

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wirft Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) vor, die Mehrausgaben für die Pflegereform aus dem Blick verloren zu haben. Das BMF erwarte infolge der Beitragsanhebung zum 1. Januar 2013 um 0,1 Beitragssatzpunkte einen Rückgang des Lohn- und Einkommensteueraufkommens verteilt auf Bund, Länder und Gemeinden um jährlich 135 Millionen Euro. Darüber hinaus sei fraglich, dass Heimbesuche der Ärzte tatsächlich zu Einsparungen bei Krankenhauseinweisungen führen könnten, wie vom Minister vorgerechnet.

Das Sozialministerium zerpflückt Bahrs Pflegereform

Gegenwind für Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) auch aus dem Sozialministerium: Mit harschen Worten hat Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) ihre Zustimmung zur Pflegereform verweigert. Die geplante Reform würde "die bereits bestehenden Ungleichbehandlungen zwischen Behinderten und Pflegebedürftigen" fortsetzen, so die Fachleute aus dem Sozialministerium. Zudem gehe die Reform für den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff nicht schnell genug. Anders als vom BMG geplant, könne dieser sofort umgesetzt werden, heißt es in einer Stellungnahme des Sozialministeriums.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Bahr kämpft um seine Bonität

Jetzt abonnieren
Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Versorgung von Privatpatienten

PKV-Vergütung bringt Praxen knapp 74.000 Euro zusätzlich

Kommentare
Dr. Bernhard reiß 21.02.201220:24 Uhr

Keine klare Linie

Die Koalition mit der CDU war ein Fehler. Das zeigte sich eigentlich schon zu Beginn der Regierungsphase, denn die CDU kennt nur den Erhalt, zu zukunftsfähigen Lösungen ist sie nicht in der Lage. Das zeigen die Rohkrepierer die sie installiert haben. Ob Bolognaprozeß oder Elterngeld, Haushaltskonsolidierung oder Griechenlandkrise. Und die sog. Reformprozesse während der großen Koalition waren auch nicht gerade wegweisend. Von der Einführung des Gesundheitsfonds mal ganz abgesehen. UNimmt man dann noch das mißlungene Maöver mit Herrn Wulf dazu, dann fällt ein großer Schatten auf die Führungsqualitäten der Kanzlerin. Es braucht halt schon etwas mehr Einsichtsfähigkeit, will man ein Gesundheitssystem sichern, das jahrelang gegen die wand gefahren wurde. Durch immer mehr Leistungen, vorallem Versicherungsfremde, unzureichende Beitragsdeckung und eine Bürokratie, die alleine die Ärzte pro Jahr 160 Mio Euro kostet. was kostet es dann erst "die Anderen". Für Arbeit, die im wesentlichen für die Rundablage geleistet wird.

Dr. Thomas Georg Schätzler 21.02.201212:50 Uhr

Sparen, bis der Arzt kommt?

Ausgerechnet Ex-Bundesgesundheitsminister (BGM) und Kollege, Dr. med. Philipp Rösler (FDP), versteht nicht, worum es beim Bundesanteil in Höhe von 14 Milliarden € aus Steuermitteln an den Gesundheitsfonds geht. Und fällt damit seinem Parteikollegen, dem amtierenden BGM Daniel Bahr (FDP), in den Rücken. Denn Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) will von seinem eigenen Haushaltsversagen (Stichworte: hälftige Mehrwertsteuer für die Beherbergungsbetriebe, volle Mehrwertsteuer für Windeln, Medizin und Körperpflege) ablenken, um die GKV zu schröpfen.

Der Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds ist k e i n e s f a l l s fiskalpolitische Manövriermasse zugunsten der gesamteuropäisch motivierten Schuldenbremse: Er dient rechtsverbindlich der "Mitfinanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben" wie dem Sozialausgleich bei GKV-Beitragsfreiheit für bis 18-Jährige, nichtarbeitende Ehefrauen, geringfügige GKV-Beiträge bei prekären Arbeitsverhältnissen, Minijobs, geringen Renten und ALG I+II-Beziehern. Er bildet Befreiungen von Praxis- und Verordnungsgebühren bzw. Zuzahlungen ab.

Die GKV bedient zusätzlich die Finanzierung sämtlicher Krankheitsfolgen von Alkohol, Tabak, Verkehrs- und sonstigen Unfallverletzungen. Das gilt auch für a l l e Attentatsopfer und durch Straftaten Verletzte, wenn sie nicht durch Beihilfe, Private Krankenversicherung, Opferentschädigungsgesetz oder gesetzliche Unfallversicherung versorgt werden.

14 Mrd. € sind bei 180 Mrd. € GKV-Gesamtumsatz gerade 7,8 Prozent. Das reicht hinten und vorne nicht für die per GKV-Gesundheitsfonds als Vorleistung erbrachten Solidar-, Transfer- und Subsidiärleistungen. Und es stimmt bedenklich, dass ein juristisch hochqualifizierter Finanzminister ausgerechnet im Gesundheitswesen Mittelzuwendungen streichen will, während das Vorhalten von Rettungs-, Krankenhaus- und Versorgungsstrukturen bzw. Rehabilitationsressourcen ihm persönlich das Leben gerettet hat.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Empfehlungs-Wirrwarr

Drei Hypertonie-Leitlinien: So unterscheiden sie sich

Lesetipps
Die Ärzte Zeitung hat jetzt auch einen WhatsApp-Kanal.

© prima91 / stock.adobe.com

News per Messenger

Neu: WhatsApp-Kanal der Ärzte Zeitung