Bahrs Pflegehäppchen sorgt für Zoff

Minister Bahrs Häppchenpolitik bei der Information zur Pflegereform löst Krach in der Koalition aus. Zankapfel ist nach wie vor die Finanzierung. Wo der Königsweg lang führt, ist den Koalitionären unklar.

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Eine Schwester hilft beim Umbetten. Wie solche Handgriffe künftig bezahlt werden sollen, wird derzeit heiß diskutiert.

Eine Schwester hilft beim Umbetten. Wie solche Handgriffe künftig bezahlt werden sollen, wird derzeit heiß diskutiert.

© Gina Sanders / fotolia.com

BERLIN (sun/af/dpa). Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) hat Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) am Dienstag vorgeworfen, Kostensteigerungen in der Pflege anzukündigen noch bevor klar sei, was die Pflegeversicherung künftig leisten solle.

Haderthauer sprach sich gegen eine individuelle kapitalgedeckte Zusatzversicherung aus. "Es darf nicht sein, dass junge Gutverdiener sich aus der Solidargemeinschaft verabschieden", sagte Haderthauer.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hatte am Montag betont, dass bei der Pflegereform zwar noch nichts entschieden sei, es gute Pflege aber "nicht zum Nulltarif" gebe.

Die Pflegeversicherung solle um eine "kapitalgedeckte Säule" ergänzt werden, so Bahr. Politiker und Medien fanden in dieser Äußerung Hinweise, Bahr habe sich für den so genannten "Pflege-Riester" entschieden.

Kritik übte der Präsident des Deutschen Pflegerates. "Unsere Berufsgruppe ist bislang an der Entwicklung des Berufsgesetzes nicht beteiligt, ihre Kompetenz nicht eingebunden", sagte Westerfellhaus der "Ärzte Zeitung".

Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt hat unterdessen die schwarz-gelbe Koalition vor einer Anhebung der Beiträge zur Pflegeversicherung gewarnt. "Die Diskussion über die geplante Reform ist von viel Wunschdenken, aber wenig Realitätssinn geprägt", sagte Hundt der "Süddeutschen Zeitung" (Dienstag).

Die Finanzierung der Kosten für Pflege sei bereits jetzt schwierig, dennoch spreche man in Union und FDP unentwegt über umfangreichere Leistungen. Dabei müssten Arbeitnehmer und Arbeitgeber schon jetzt mehr als 40 Prozent des Bruttolohns an die Sozialkassen überweisen.

Die Linken wähnen Bahr mit den Plänen, einen Kapitalstock aufzubauen, auf einem "Irrweg". Gute Pflege brauche eine solidarische Finanzierung - Bahr wolle die Kosten aber allein auf die Versicherten abwälzen.

"Die geplante Einführung einer kapitalgedeckten Säule ist nichts anderes als die Kopfpauschale in der Pflege", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Linken Martina Bunge.

Linken-Pflegeexpertin Kathrin Senger-Schäfer betonte, dass eine Pflegereform aber in erster Linie die Interessen der pflegebedürftigen Menschen und der Versicherten in den Mittelpunkt stellen müsse.

Varianten der Pflegefinanzierung

Die Pflegeversicherung bleibt umlagefinanziert. Die Prognose des ehemaligen Wirtschaftsweisen Bert Rürup lautet, dass dann der je zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragene Beitrag von heute 1,95 (Kinderlose 2,2) Prozent bis 2050 auf drei bis 3,5 Prozent steigen könne. Dies bedeute einen Anstieg der gesamten Sozialversicherungsbeiträge binnen 40 Jahren um einen Prozentpunkt. Die Deutsche Bank geht von einem Anstieg auf sieben Prozent bis 2060 aus.

Aufbau einer kollektiven Demografiereserve in der Pflegeversicherung. Dieses Experiment ist noch nie gewagt worden. Politiker von CDU und CSU sprechen sich gleichwohl dafür aus. Gegen diese Variante sprechen ordnungspolitische Prinzipien. Kritiker sind besorgt, Regierungen könnten sich an diesem Geld vergreifen.

Pflege-Riester, eine an die Riester-Rente angelehnte Versicherung gegen die Risiken, pflegebedürftig zu werden. Die Versicherungswirtschaft ist dafür. Versicherungswissenschaftler wie Bert Rürup halten dagegen den Zeitpunkt für die Einführung einer individualisierten Pflichtversicherung für zu spät und außerdem für ungerecht. Eine sinnvolle Beitragshöhe um die 15 Euro könnte zudem bereits einen Sozialausgleich aus Steuermitteln auslösen. Die Deutsche Bank geht von 1,3 Milliarden Euro im Jahr ab dem Jahr 2020 aus. In dieser Frage zeigt Finanzminister Wolfgang Schäuble bislang keine Bereitschaft zum Kompromiss.

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Kommentare
Brigitte Bührlen 24.08.201110:21 Uhr

Wo bleiben die Gelder?

Pflege muss in Zukunft mehr kosten?
Interessant wäre es doch zu fragen, wo die bislang gezahlten Gelder bleiben, wofür sie ausgegeben werden.
Die Begehrlichkeit vom Pflegekuchen etwas abzubekommen ist groß, der Pflegemarkt boomt.
Bevor wir mehr bezahlen, sollten wir Rechenschaft über die Verwendung der zur Verfügung stehenden Gelder einfordern: welche Geldmittel kommen wirklich den Pflegebedürftigen und den sie Pflegenden zu Gute und welche Summen verschwinden unkontrolliert in den schwarzen Löchern des "Marktes"?

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