Umfangreiches Maßnahmen-Paket

Bayerischer Sonderweg in der Pflege

Der Freistaat will die Situation für Pflegende und zu Pflegende schnell verbessern. Rund 465 Millionen Euro zusätzlich stehen dafür pro Jahr zur Verfügung. Die Kritik bleibt dennoch nicht aus.

Von Julika Sandt Veröffentlicht:
Mit rund 465 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr sollen im Freistaat Bayern die vordringlichsten Probleme in der Pflege angegangen werden.

Mit rund 465 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr sollen im Freistaat Bayern die vordringlichsten Probleme in der Pflege angegangen werden.

© Heinz Linke / Westende61/mauritius images Grafik Ärzte Zeitung

Das bayerische Kabinett hat ein Pflege-Paket geschnürt, das jetzt im Express-Verfahren ausgearbeitet und auf den Gesetzesweg gebracht werden soll. Die Staatsregierung verspricht den Pflegebedürftigen, dass noch im September – einen Monat vor der Landtagswahl – 1000 Euro bei ihnen ankommen werden. Im Pflege-Paket stecken auch zusätzliche Pflegeplätze und ein neues Landesamt für Pflege.

Der Ministerrat hat bei seiner Sitzung am Dienstag beschlossen, dass alle Pflegebedürftigen, die mindestens einen Pflegegrad 2 nachweisen können und ihren Hauptwohnsitz in Bayern haben, Landespflegegeld erhalten. Einmal jährlich sollen 1000 Euro an die geschätzt 360.000 Anspruchsberechtigten gezahlt werden. Laut Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml soll das Geld Pflegebedürftigen Spielraum geben, "um zum Beispiel Angehörigen oder anderen Menschen, die sie bei der Bewältigung ihres schwierigen Alltags unterstützen, eine materielle Anerkennung zukommen zu lassen".

Das Kabinett hat klar gemacht, dass es jede Bürgerin und jeden Bürger in Bayern dabei unterstützen will, seine individuelle Vorstellung vom Leben im Alter zu verwirklich – ambulant betreut zu Hause oder auch in einem Pflegeheim.

Kai A. Kasri, Landesvorsitzender des bpa Bayern

Bereits bei der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion im Januar hatte Markus Söder, inzwischen bayerischer Ministerpräsident, in seinem "10-Punkte-Plan für Bayern" angekündigt: "Mit einem Landespflegegeld sollen Menschen gefördert werden, die Angehörige pflegen." Wie eine Sprecherin des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege gegenüber der "Ärzte Zeitung" bestätigte, soll das Pflegegeld nun aber in gleicher Höhe an alle Pflegebedürftigen gezahlt werden – also auch an diejenigen, die stationär untergebracht sind. Wer also einen anderen Menschen aufopferungsvoll pflegt, erhält mit dem Landespflegegeld keinen Cent mehr und keine höhere Anerkennung als derjenige, der einen Pflegebedürftigen in einem Heim unterbringen lässt. Berücksichtigt wird auch nicht, dass pflegende Angehörige von Patienten mit Pflegegrad 4 oder 5 (d. h. schwerster Beeinträchtigung der Selbstständigkeit) gravierend stärker belastet sein dürften als Angehörige von Patienten mit Pflegegrad 2.

Kritik: Pflegegeld verfehlt Ziele

Die parlamentarische und außerparlamentarische Opposition sieht das Landespflegegeld kritisch: "Symbolpolitik" wirft die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Ruth Waldmann, der Staatsregierung vor: "Eine jährliche Einmalzahlung für Pflegebedürftige ist etwas mehr als ein Blumenstrauß, aber nicht das, was die häusliche Pflege wirklich weiterbringt". Statt einer jährlichen Einmalzahlung fordern die Sozialdemokraten einen steuerfinanzierten Lohnausgleich für pflegende Angehörige und die Anrechnung von Pflegezeiten bei der Rente.

Als "typisches Wahlgeschenk" bezeichnet Martin Hagen, Spitzenkandidat der Freien Demokraten für die Landtagswahl, das Landespflegegeld: "Es ist nicht zielgenau und setzt keine Anreize zur häuslichen Pflege durch Angehörige". Peter Bauer, pflegepolitischer Sprecher der Freie Wähler Landtagsfraktion, erklärt: "Wer sagt schon ‚Nein‘ zu 1.000 Euro Unterstützung? Die tatsächlichen Probleme – nämlich die fehlende Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege – löst das Landespflegegeld aber nicht".

Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Ulrich Leiner, moniert: "Die Zahlung des Landespflegegeldes kurz vor der Landtagswahl ist nur ein Wahlgeschenk, es kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die CSU-Regierung die Pflegenden – egal ob pflegende Angehörige oder professionelle Pflegekräfte – lange ignoriert hat. Der Ministerpräsident muss endlich nachhaltige Verbesserungen auf den Weg bringen".

Eine neue Pflege-Behörde

Obwohl Markus Söder seinen "10-Punkte-Plan" bereits im Januar verkündet hatte, verabschiedete der Landtag mit den Stimmen der CSU-Fraktion im Februar den Nachtragshaushalt 2018. Mittel für das Landespflegegeld und die anderen Leistungen des Pflegepakets sind darin nach wie vor nicht eingestellt. Die Kosten des neuen Landespflegegelds beziffert die Staatsregierung auf rund 400 Millionen Euro pro Jahr.

Den Verwaltungsaufwand für den Vollzug des Landespflegegeldes soll eine neu einzurichtende Behörde übernehmen: Dieses bayerische Landesamt für Pflege hat außerdem die Aufgabe, pflegefachliche Themen zu bearbeiten und sich um die Hospiz- und Palliativversorgung zu kümmern. Wo dieses Amt seinen Sitz haben wird, ist noch nicht entschieden. Auch die rechtlichen Grundlagen sind noch nicht erarbeitet. Es soll aber bereits ab diesem Sommer aufgebaut werden.

Mehr Pflegeplätze

Angesichts der demografischen Entwicklung will das bayerische Kabinett außerdem jährlich 1000 stationäre Pflegeplätze mit einem Investitionskostenzuschuss von 60 Millionen Euro fördern. Damit Pflegebedürftige möglichst lange in der gewohnten Umgebung bleiben können, sollen 500 neue Plätze für die wirtschaftlich weniger lukrative Kurzzeitpflege in professionellen Einrichtungen entstehen. Hierfür sind einmalig weitere fünf Millionen Euro veranschlagt. Zudem will die Staatsregierung die Angebote in der Hospiz- und Palliativversorgung innerhalb der nächsten fünf Jahre verdoppeln. Staatsministerin Huml meint dazu: "Viele Menschen haben den Wunsch, möglichst zu Hause in ihrem gewohnten Umfeld sterben zu können. Das schließt insbesondere auch die stationären Einrichtungen der Pflege ein." Derzeit gibt es in Bayern 186 Hospizplätze für Erwachsene und 456 Betten in 49 Palliativstationen.

Um ihre Pläne zum Ausbau von Pflegeplätzen umzusetzen, muss die Staatsregierung genügend Pflegekräfte gewinnen. Ein Kraftakt. Sie fordert den Bund jedenfalls auf, gemeinsam mit den Tarifpartnern dafür zu sorgen, dass in der Altenpflege flächendeckend nach Tarif bezahlt wird. Bereits heute fehlen in allen Pflegeberufen Fachkräfte. Wie der Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit vom Dezember 2017 zu entnehmen ist, bleiben Stellenangebote für Altenpflegefachkräfte und -spezialisten im Bundesdurchschnitt 171 Tage unbesetzt. Rechnerisch kommen lediglich 29 Arbeitslose auf 100 gemeldete Stellen. Die demografische Entwicklung dürfte den Fachkräftebedarf weiter erhöhen.

Woher das Personal nehmen?

Wie die Lücke geschlossen werden könnte, haben verschiedene Institute bereits 2012 gezeigt. Die Bertelsmann-Stiftung hat vorgerechnet, dass ein steigender Anteil der ambulanten Pflege und eine Stabilisierung der Angehörigenpflege die Versorgungslücke nahezu halbieren könnte. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) prognostiziert, mit steigender Attraktivität des Pflegeberufes und einer höheren Zahl der Erwerbspersonen durch Zuwanderung könne die Nachfragelücke bis zum Jahr 2050 deutlich reduziert oder sogar vermieden werden. Eine Studie der Prognos AG im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft resümiert, eine erhöhte Attraktivität des Pflegeberufes und verstärkte Umschulungen zu Pflegehelfern könnten einen großen Beitrag zur Vermeidung eines Pflegekräftemangels leisten.

Bleibt abzuwarten, ob und mit welcher Strategie die Staatsregierung in Bayern den Pflegekräftemangel anpackt. Für weitere Gesetzesinitiativen bleiben ihr in dieser Legislaturperiode nur noch acht Sitzungswochen.

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