Konzepte gesucht
Berlin - Hauptstadt der Alten?
Im Jahr 2030 werden bis zu 270.000 Menschen über 80 in Berlin leben. Der Gesundheitssenator sucht Konzepte für eine gute medizinische Versorgung.
Veröffentlicht:BERLIN. Mit über 80 Jahren und gesundheitlichen Einschränkungen in Berlin leben? Damit das künftig leichter fällt, hat der Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) die Strategie "80Plus - Gesundheitliche und pflegerische Versorgung hochaltriger Menschen" gestartet.
"Die Versorgung der hochaltrigen Menschen muss neu gedacht werden, wir brauchen dazu sektorenübergreifende Konzepte", so Czaja zum Auftakt des Strategieprozesses, der auf eine Anpassung des Versorgungssystems an die Bedürfnisse der Generation 80Plus zielt.
Wie nötig das ist, zeigen die Statistiken. Von 2009 bis 2030 verdoppelt sich die Zahl der Menschen über 80 in Berlin beinahe. Sie steigt laut Czaja von heute 140.000 auf 270.000.
Berlin ist damit überraschender Weise nach Brandenburg das Bundesland mit der deutlichsten Steigerung der Anzahl von Menschen, die älter als 80 Jahre sind.
"In dieser Lebensphase sind sie besonders auf ineinandergreifende, interdisziplinär aufeinander abgestimmte Hilfesysteme angewiesen", so Czaja unter Verweis auf das gehäufte Auftreten von Multimorbidität und Pflegebedürftigkeit in dieser Altersgruppe.
Erste Ergebnisse 2016
Der Senator lobte die Qualität der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung in Berlin. "Aber es gibt Probleme an den Übergängen für die Patientinnen und Patienten, insbesondere für die Hochbetagten. Unser Ziel ist es deshalb, die bestehenden Strukturen so zu entwickeln, dass sie einer älter werdenden Gesellschaft noch besser gerecht werden", so der Senator bei der Auftaktveranstaltung zu dem Strategieprozess.
Rund 300 Akteure waren dazu eingeladen. Sie sind nun aufgerufen, Lösungsansätze zu entwickeln.
Grundlage des breit angelegten Diskussionsprozesses ist ein ausführliches Papier der Senatsgesundheitsverwaltung.
Es analysiert den Handlungsbedarf in den Feldern Prävention, ambulante geriatrische Versorgung, Versorgung am Lebensende, Selbstbestimmung und Teilhabe, Aus-, Fort- und Weiterbildung, stationäre Versorgung und bei der Vernetzung ambulanter und stationärer Versorgung.
Zu jedem Handlungsfeld sind laufende Arbeitsgruppen geplant. Auch ein Beirat wird eingerichtet. Zudem sollen sich die Experten im kommenden Jahr in vier Fachdialogen austauschen.
Ergebnisse will Czaja im Juni 2016 präsentieren. Dann sollen konkrete und verbindliche Verabredungen zwischen den Beteiligten stehen. Sie bilden die Bausteine für eine Rahmenstrategie zur gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung hochaltriger Menschen.
In einer alternden Gesellschaft geht die Schere zwischen dem Versorgungsangebot und dem steigenden Bedarf immer weiter auf. Darauf wies die Berliner Gerontologin Professor Adelheid Kuhlmey bei der Auftaktveranstaltung zum Strategieprozess hin.
"Diese Schere kann das Gesundheitssystem nicht alleine schließen", sagte Kuhlmey. Dazu sei die ganze Gesellschaft gefordert. Unter anderem müsse die Wohnungswirtschaft genug barrierefreien Wohnraum zur Verfügung stellen.
Auch Fahrstühle zu Arztpraxen sind nach ihren Angaben ein Bedarf, den hochaltrige Berliner immer wieder anmelden.
Sieben niedergelassene Geriater in Berlin
Beim Berliner Versorgungssystem diagnostiziert Kuhlmey die gleichen Krankheiten wie Czaja: "Wir haben in Berlin einen sehr guten Zugang zu Ärzten, auch zu Fachärzten. Aber wir haben ein Schnittstellen- und Informationsproblem."
Sie unterstützt auch Czajas Therapieempfehlung: "Es geht darum, ein sehr gutes Netz so zu organisieren, dass 80Plus-Patienten nicht dauernd zwischen die Maschen fallen."
Für Berlin konkret nötig sei eine bessere ärztliche Betreuung in Heimen und eine bessere Vernetzung. Zugleich mahnt sie eine "Geriatrisierung des ambulanten Systems" an.
Kuhlmey kritisierte, dass es unter den rund 6000 ambulant tätigen Ärzten in Berlin "ganze sieben niedergelassene Geriater" gebe.
Die KV Berlin entgegnet, dass Geriatrie zum allgemeinen Ausbildungsumfang der Fachärzte für Allgemeinmedizin gehöre und für Hausärzte alltägliche Routine sei. Insofern lasse sich die Versorgung älterer Patienten in Berlin schwer in Zahlen zu Spezialisierungen oder Weiterbildungen beschreiben.
"Problematischer ist die fehlende geriatrische Ausbildung im stationären Bereich", teilte sie auf Anfrage mit.
Für weitere Informationen stand der zuständige Sachbearbeiter nicht zur Verfügung.Dem Ersatzkassenverband vdek Berlin/Brandenburg ist vor allem die Zusammenarbeit der beiden Bereiche wichtig.
Der neue vdek-Regionalchef Michael Domrös kündigte an, dass sein Verband sich aktiv in den Prozess einbringen will.
"Wir werden in mehreren Handlungsfeldern und damit auch im Beirat mitarbeiten. Im Mittelpunkt steht dabei der Ausbau der sektorenübergreifenden Versorgung", so Domrös.