Konferenz von EU-Gesundheitspolitikern
Bilanz der Corona-Pandemie: Mehr Kooperation und Solidarität nötig
Wo muss die EU in der Bekämpfung der Pandemie besser werden? Bei einer Konferenz von Gesundheitspolitikern aus Bundestag und EU-Parlament wird der Ruf nach mehr Abstimmung und Koordination laut.
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Unter einer Flagge? Insbesondere zur Beginn der Pandemie reagierten die Mitgliedsstaaten nicht solidarisch.
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Brüssel. Das Coronavirus hat das Selbstbewusstsein Europas erschüttert. Es ist diese Erkenntnis, die am Montag immer wieder deutlich wurde, als im Deutschen Bundestag die Vorsitzenden für Gesundheit, Forschung und digitale Angelegenheiten aus den nationalen Parlamenten der EU und des Europäischen Parlamentes virtuell an einem Tisch saßen.
„Wir sind alle verwundbar geworden“, eröffnete Sandra Gallina, stellvertretende Direktorin der EU-Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Brüsseler Kommission, die Debatte. Und niemand sparte mit der bitteren Selbsterkenntnis, dass die Gemeinschaft am Anfang der Pandemie nicht ihre Stärke in Form von Solidarität demonstrieren konnte.
„Wir brauchen den Blick über die Grenzen“
Denn die Mitgliedstaaten agierten zunächst nach dem Motto: Jeder ist sich selbst der Nächste. „Und trotzdem haben alle einander geholfen“, betonte Gallina. „Wir brauchen den Blick über die Grenzen“, ergänzte der gesundheitspolitische Sprecher der christdemokratischen EVP im europäischen Abgeordnetenhaus, Peter Liese. Und dieser Blick zeige: „Die Mitgliedstaaten verzeichnen eine höchst unterschiedliche Entwicklung“, so Andrea Ammon, Direktorin des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC). Allein die Testpraxis mache die Differenzen klar. Die einen Mitgliedstaaten schafften gerade mal 318 Tests pro 100.000 Einwohner, andere dagegen bis zu 6000.
Hat Europa wirklich gelernt? Zehn Tage Quarantäne in einem Land, im anderen sind 14 Tage. In einem Staat müssen Tests vor der Einreise vorliegen, im anderen danach. Die Einwohner des Hotspots Brüssel dürfen Paris nicht besuchen, den Parisern sind Besuche der belgischen Hauptstadt gestattet – sogar ohne Test bei der Rückkehr.
Gesundheitsminister haben sich nur auf Empfehlungen verständigt
Zwar hatten sich die EU-Gesundheitsminister noch am vergangenen Freitag auf eine Vereinheitlichung verständigt. Doch das sind Empfehlungen. Es macht weiter jeder, was er will. Dabei appellierte Ammon: „Wir müssen besser werden bei der Überwachung, bei der Digitalisierung, bei der Vorbereitung auf regionaler Ebene und bei den Maßnahmen zum Schutz vor neuen Wellen und Viren.“
Große Fortschritte sehen die Experten in der Forschung. So würden mutmaßlich Impfstoffe Anfang des kommenden Jahres vorliegen. In anderen Punkten gab es Kritik: „Wir Wissenschaftler leiden oft unter der europäischen Verwaltung“, sagte der Direktor des Instituts für Virologie der Berliner Charité, Christian Drosten. Das Beantragen von Forschungsgeldern sei oft zu kompliziert, um dringend notwendige Mittel zu bekommen. Und er appellierte, dass die Wissenschaft sich bemühen müsse, ihre Arbeit der Öffentlichkeit verständlicher zu machen.
Drosten plädiert für globale Verantwortung der Wissenschaft
„Die Wissenschaftskommunikation ist der einzige Weg der unabhängigen Information“, betonte er. Die Menschen müssten auch verstehen, dass Forschung die Politik nur beraten könne, nicht aber die politische Verantwortung trage. Gleichzeitig sprach sich Drosten für mehr solidarische Politik aus, um die globale Verantwortung der Wissenschaft und der europäischen Politik aufzugreifen: „Wir sollten Förderprogramme in Form von Stipendien für Wissenschaftler aus Afrika und Lateinamerika ausgeben“, forderte er.
Drosten hinterließ mit seinem Abschlussstatement Ernüchterung: „Es gibt keinen Hinweis darauf, dass das Virus sich abschwächt oder Veränderungen unterliegt.“ Mit anderen Worten: Nicht nur Europa, sondern die ganze Welt muss lernen, mit dem Virus und potenziellen Nachfolgern zu leben. Und wie am Anfang der Pandemie gehe es darum, die Wissenschaft zu stärken und die Strukturen der nationalen, regionalen und europäischen Gesundheitsapparate auszubauen. Denn auch darin waren sich alle Experten einig: „Die Gefahr ist noch längst nicht gebannt.“