Ökonomisierung
Brauchen Ärzte etwa ein „Gesundheitswesen wie die Feuerwehr“?
Kommerzialisierung hindert Ärzte daran, den Beruf vernünftig auszuüben. Sehr persönliche Beispiele dafür erzählten Ärzte in Hamburg – und schlugen Lösungen vor. Manche sahen die Schuld auch bei sich.
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Engagierte Ärzte in der Diskussion der Kammer Hamburg zur Kommerzialisierung des Gesundheitswesens.
© Dirk Schnack
Hamburg. Im Februar kündigte die Chefärztin, weil sie die Rahmenbedingungen auf ihrer Station nicht verbessern konnte. Bis heute ist sie ohne Arbeitsplatz – nicht weil es an Angeboten mangelte, sondern weil sie auch bei den potenziellen neuen Arbeitgebern keine Bedingungen vorfand, die sie sich, ihren Mitarbeitern und den Patienten zumuten wollte.
Nur ein Beispiel von vielen, die bei einer Veranstaltung der Ärztekammer Hamburg aus den Reihen der Ärzte zur Kommerzialisierung des Gesundheitswesens genannt wurden. Fast durchgängig stellten die unter anderem aus Berlin und München angereisten Ärzte fest, dass ihre Arbeit leidet, weil die Klinikträger auch ökonomische Interessen berücksichtigen müssen – und diese nach ihrer Beobachtung allzu häufig in den Vordergrund stellen.
Zu wenig Personal, zu wenig Zeit
Dies äußert sich häufig in einer zu knappen Personaldecke und in Zeitdruck. Mit der Folge, dass Ärzte ihre Arbeit wie die oben genannte Hamburger Chefärztin nicht mehr so ausüben können, wie sie es für angemessen halten. Insbesondere jüngere Ärzte berichteten, wie sie vor wenigen Jahren mit viel Idealismus in den Beruf gestartet waren und heute ernüchtert von den Rahmenbedingungen überlegen, ob das System ihnen die richtigen Rahmenbedingungen bietet, diesen Beruf weiter auszuüben.
Bei der Suche nach den Ursachen schienen die Verantwortlichen schnell ausgemacht: Private Klinikträger, denen vorgehalten wurde, mit dem Streben nach Gewinn und Wachstum die Interessen der Patienten nicht immer voranzustellen, und die Gesundheitspolitik, die mit den Fallpauschalen diese Entwicklung begünstigt habe.
Neben den meisten Ärzten vertrat auch Dr. Bernhard Albrecht, Arzt, Stern-Redakteur und Verfasser des „Ärzte-Appells“, diese Auffassung. Er hält den „Geist, der in privaten Häusern herrscht“ von Shareholdern beeinflusst, die in erster Linie hohe Rendite erwarten.
„Gesundheitswesen wie die Feuerwehr“
Manche Ärzte wünschten sich deshalb „ein Gesundheitswesen wie die Feuerwehr“, also ausschließlich von der öffentlichen Hand finanziert. Dr. Claudia Brase von der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft dagegen sieht die angespannte Situation in den Kliniken eher im Vergütungssystem bedingt – und in der Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln für Investitionen. Folge: „Man hat uns auf dem Rücken der Mitarbeiter kaputt gespart.“
Sie wünscht sich deshalb ein Vergütungssystem, über das die Gehälter von Ärzten refinanziert werden. Dr. Katharina Thiede, Sprecherin der Initiative „Twankenhaus“, die ihren Namen aus Twitter und Krankenhaus zusammensetzt, sieht eine Ursache der Probleme in der mangelnden Transparenz des Gesundheitswesens insgesamt. Sie strebt außerdem eine bessere Vernetzung der Gesundheitsberufe an und will erreichen, dass die direkte Beziehung zwischen Arzt und Patient nicht von ökonomischen Interessen bestimmt wird.
Nur wie? Für Hamburgs Kammerpräsident Dr. Pedram Emami, der wie alle seine Kollegen aus dem Vorstand der Hamburger Ärztekammer den Ärzte-Appell unterzeichnet hat, kann sich keine Lösung vorstellen, an der seine Berufsgruppe nicht beteiligt wäre. „Wir sind Teil des Systems“, steht für ihn fest. Und das bedeutet, dass Ärzte nicht nur Opfer sind, sondern an der Entwicklung bis hin zum heute von den Medizinern beklagten Zustand mitgewirkt haben.
Auch an die eigene Nase fassen
Er forderte Ärzte auf, bei Missständen die Ärztekammer einzuschalten und bei Zuständen, die sie für verbesserungswürdig halten, mit der Klinikleitung zu kommunizieren. In Verantwortung für die jüngeren Kollegen sieht der Oberarzt am UKE insbesondere Ober- und Chefärzte, von denen er Präsenz erwartet, damit sie in solchen Fragen auch als Ansprechpartner für Assistenzärzte dienen. „Stellen wir uns die Frage, was wir selbst falsch machen“, appellierte Emami an seine Kollegen – um mit den Antworten an einem besseren System mitwirken zu können.