Bürgerversicherung 2.0.: SPD will Arbeitgeber belasten

BERLIN (af/HL). Ein neues Konzept für eine Bürgerversicherung schlägt die SPD vor. Der Arbeitgeberanteil soll demnach bei 7,08 Prozent liegen, allerdings ohne Einkommensgrenze nach oben.

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Bislang verläuft die Bemessungsgrenze bei 44.550 Euro im Jahr. Arbeitnehmer sollen 7,6 Prozent ihres Bruttolohns zur Finanzierung des Gesundheitswesens beisteuern, sagte Professor Karl Lauterbach, der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, der "Ärzte Zeitung". Für sie soll die Beitragsbemessungsgrenze weiter gelten.

Mieten und Kapitaleinkünfte sollen nicht direkt zur Finanzierung der Krankenkassen herangezogen werden, sagten SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und Lauterbach bei der Vorstellung des Konzeptes am Montag in Berlin. Zusatzbeiträge sieht das Konzept nicht vor. Der Steuerzuschuss stiege von derzeit 15,3 Milliarden Euro um 300 Millionen Euro jährlich.

PKV-Verband: Arbeitsfeindliche Gesundheitssteuer

Kritik an dem Vorhaben kommt von den privaten Krankenversicherungen. Aus ihrer Sicht stellen die SPD-Pläne eine massive Steuererhöhung dar. Sie bedrohe vor allem qualifizierte, innovative und hochwertige Arbeitsplätze.

Die SPD wolle in Zukunft alle Versicherten in ein Einheitssystem lenken, das keine Rücklagen mehr für absehbare demografische Probleme bildet, heißt es in einer Reaktion des Verbandes der privaten Krankenversicherung auf die SPD-Pläne.

Das System der privaten Krankenversicherung mit kapitalgedeckten Alterungsrückstellungen werde mutwillig zerstört. Damit würde die Belastung für nachfolgende Generationen weiter verschärft.

An die Stelle individueller Leistungsansprüche eines jeden Bürgers trete eine staatliche gesteuerte Gesundheitsversorgung, deren Ausmaß sich nach der jeweiligen Kassenlage der Bundeshaushalte richten werde. Wie das aussehe, lasse sich in Großbritannien beobachten.

Die Absicht der SPD, den Bürgern die Wahl einer privaten Krankenversicherung zu verbieten, sei zudem verfassungswidrig. Außerdem komme dies einem Berufsverbot für die Versicherungsbranche gleich.

Keine Neuabschlüsse mehr für die PKV - plant die SPD

Gelten soll diese Einschränkung nur für Neuversicherte. Den Versichertenbestand in der PKV will die SPD unangetastet lassen, ebenso das aufgebaute Kapital. Dieses würde im einem sehr langen Zeitraum an die jetzt in der PKV Versicherten zurückfließen.

Problematisch dürfte der unbegrenzte Arbeitgeberbeitrag sein, weil er das in einer Versicherung typische Äquivalenzprinzip durchbricht.

Dies gilt in modifizierter Form auch in der gesetzlichen Krankenversicherung und wird durch die Beitragsbemessungsgrenze realisiert. Wird diese aufgehoben, so entsteht eine zusätzliche Einkommensteuer, analog zum Solidaritätszuschlag, dessen Verfassungskonformität strittig ist.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 12.04.201116:37 Uhr

Die SPD kreißte und gebar ein Mäuselein namens GKV-Reform

Mir war schon damals etwas mulmig, als am 14. 12. letzten Jahres SPD Generalsekretärin Andrea Nahles und der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Prof. Dr. med. Karl Lauterbach, ein etwas fahriges Konzept einer Bürgerversicherung vollmundig ankündigten:
http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/43900/SPD_will_steuerfinanzierte_Buergerversicherung.htm

Auf Nachfragen von Journalisten wollte man da die "durchgerechnete Fassung" der GKV-Alternative erst Anfang April 2011 präsentieren, was für verwunderte Erheiterung sorgte. Erfreulich nur, dass jetzt Herr Kollege Lauterbach als Facharzt für Gesundheitspolitik immerhin nach vier Monaten bereit war, einen seiner begehrten Sprechstundentermine zu vergeben.

Dass diese überlange Wartezeit keine politische Petitesse erwarten ließ, liegt auf der Hand. Doch was die SPD aktuell präsentiert, ist eine waghalsige Achterbahnfahrt, formal und inhaltlich:

1. Keine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der GKV.
2. Keine Angleichung der Beitragssystematik der GKV an die der Rentenversicherung (RV).
3. Das heftig kritisierte Ende der paritätischen Finanzierung unter Schwarz-Gelb zu Lasten der GKV-Versicherten wird ersetzt durch ein fragwürdiges Ende der Parität zum Nachteil der Arbeitgeber.
4. Die nur die unteren Einkommensschichten maximal belastenden Zusatzbeiträge wurden wie die verfassungswidrige "Kopfpauschale" als Umverteilung von Unten nach Oben von der gesamten Opposition kritisiert.
5. Jetzt sollen die Arbeitgeber einseitig die Verteilung von Oben nach Unten stemmen.
6. Es gibt beim Bundesverfassungsgericht nicht den Hauch einer Chance, das System der Privaten Krankenversicherung abzuschaffen, so lange das gesamte Beamtenbeihilferecht darauf aufbaut.
7. Wenn immer mehr Menschen von Mieteinkünften und Kapitalerträgen bzw. Einnahmen aus Beteiligungsgesellschaften leben, müssen diese wie alle sonstigen Einkommensarten anteilig berücksichtigt werden.

Es bleibt bei einem chaotischen Mix aus Bürgerversicherung mit je einem Drittel Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Steuerfinanzierungsanteil. Zu dumm, dass schon im Grundansatz die Parität nicht stimmt, da (O-Ton Frau Nahles) "der Arbeitgeberanteil von der g e s a m t e n Lohnsumme a l l e r bürgerversicherten Beschäftigten in einem Unternehmen" o h n e Beitragsbemessungsgrenze entrichtet werden soll. Viele High-Tech-Firmen mit Durchschnittsgehältern ü b e r der BBG zahlen dann wesentlich mehr als 1/3.

SPD-Super ist auch die Idee, den Steuerzuschuss von aktuell 15,3 Mrd. Euro jährlich um 300 Millionen zu erhöhen. Das GKV-Gesamtvolumen beträgt ca. 180 Milliarden Euro. Ein Drittel davon, das können auch Nahles und Lauterbach berechnen, sind 60 Milliarden. Wie viel Jahre wird es wohl dauern, wenn mit jährlichen 300 Millionen-Schritten von 15,3 Mrd. auf 60 Mrd. Euro aufgefüllt wurde? Also bei jährlichen 3 Milliarden-Schritten sind es knapp 15 Jahre. Bei 300 Millionen-Schritten dauert es 149 (einhundertneunundvierzig) Jahre. Selten so gelacht!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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