Corona-Maßnahmen
Grünes Licht für umstrittenes Pandemiegesetz
Bundestag und Bundesrat haben grünes Licht für das umstrittene dritte Bevölkerungsschutzgesetz gegeben. Die Debatten wurden von teils massiven Protesten im Regierungsviertel begleitet.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Bundestag und Bundesrat haben am Mittwoch das dritte Bevölkerungsschutzgesetz jeweils mit großer Mehrheit verabschiedet. Union und SPD konkretisieren in dem Gesetz Reichweite und Grenzen des Regierungshandelns im Kampf gegen das Coronavirus.
FDP, Linke und AfD im Bundestag stimmten gegen das Gesetz, die Grünen dafür. Das Gesetz tritt bereits am Donnerstag in Kraft. Nach dem Bundestag gab am Nachmittag auch die Länderkammer grünes Licht. Mehrere Länder meldeten jedoch per Protokollerklärung Kritik am Gesetz an.
Die knapp zweistündige Aussprache im Bundestag wurde von zahlreichen Demonstrationen begleitet. Dort wurde auch der Vergleich mit dem „Ermächtigungsgesetz“ von 1933 wiederholt. Der Vergleich hatte bereits im Vorfeld der Parlamentsdebatte für Empörung unter zahlreichen Abgeordneten gesorgt.
Paragraf 28a Infektionsschutzgesetz
Koalition peitscht Corona-Gesetz durch das Verfahren
Spahn: Müssen dynamisch handeln!
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, Corona sei dynamisch. „Wir müssen auch dynamisch sein.“ Steigende Infektionszahlen führten zu steigendem Leid. Mit dem Bevölkerungsschutzgesetz würden klare Kriterien gesetzt, um schnell auf die Entwicklung zu reagieren.
Krankenhäuser würden bei der Behandlung von COVID-19-Erkrankten unterstützt. Risikogruppen könnten mit Schutzmasken versorgt werden. Zudem werde eine Impfstrategie vorbereitet. Ausdrücklich betonte Spahn: „Ich gebe Ihnen mein Wort: Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben.“
Mit dem dritten Bevölkerungsschutzgesetz werden im neu gefassten Paragrafen 28a des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) Regelbeispiele für Schutzmaßnahmen in der Pandemie benannt. Per Verordnung darf die Exekutive in Bund und Ländern die Eingriffe anordnen. Dazu gehören etwa Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, Abstandsgebote, Maskenpflicht oder das Schließen von Kulturstätten.
Paragraf 28a Infektionsschutzgesetz
Corona-Eingriffe: Es wird konkret, was der Staat darf
Zankapfel Paragraf 28a
Vogelfrei ist die Exekutive aber nicht. So müssen die Maßnahmen „verhältnismäßig“ sein. In bestimmten Bereichen sollen Beschränkungen zudem nur zulässig sein, wenn „auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen“ eine wirksame Eindämmung der Pandemie „erheblich gefährdet wäre“. Hierzu zählen religiöse Zusammenkünfte und Demonstrationen.
Geregelt ist ferner, dass Besuchsbeschränkungen etwa in Pflegeheimen „nicht zur vollständigen Isolation“ der Bewohner führen dürfen. Auch gilt die Anordnungshoheit nur solange, wie der Bundestag eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ feststellt.
Kritik am Gesetz entzündet sich daran, dass die Regierung in der Pandemie am Parlament vorbei durchregieren könnte. Vertreter von Union und SPD wiesen dies in der Parlamentsaussprache zurück.
Maag: Spielraum der Exekutive eingeengt
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unions-Fraktion, Karin Maag, sagte, es habe „weitere Präzisierungen“ im IfSG gebraucht. Der Handlungsspielraum der Exekutive werde dadurch nicht erweitert, sondern eingeengt.
Deutschland befinde sich mit Blick auf Corona weiter in einer „kritischen Lage“. Zwar stabilisiere sich die Zahl der Neuinfektionen. „Von einer Beherrschbarkeit sind wir aber noch weit entfernt.“
Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dr. Johannes Fechner, sagte, die Koalition stelle die Maßnahmen gegen Corona mit dem Gesetz auf eine „sichere Rechtsgrundlage“. Als „vollkommen absurd“ wies Fechner den Vergleich zum „Ermächtigungsgesetz“ zurück.
„Das Ermächtigungsgesetz der Nazis war der Auftakt für die Nazi-Barbarei, die Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Wir machen genau das Gegenteil: Wir schützen die Gesundheit, wir schützen das Leben unserer Bürger.“
Lindner: Aufzählung von Freiheitseinschränkungen
FDP-Fraktionschef Christian Lindner kritisierte, das neu gefasste Infektionsschutz leiste für eine „durchhaltbare Risikostrategie leider nur wenige Beiträge“. Die Liberale lehnten das Gesetz aber vor allem wegen des Paragrafen 28a ab. Dabei handele es sich „im Kern um eine Aufzählung von Freiheitseinschränkungen“.
Das Gesetz gebe der Exekutiven keine „Leitplanken“ für ihr Handeln vor, so Lindner. Es stelle ihr vielmehr einen „Freifahrtschein“ aus. Eingriffe in Freiheitsrechte seien nach dem Prinzip „Wenn, dann“ einer konkret definierten Infektionssituation zuzuordnen.
Nur dann könnten die Menschen staatliches Handeln einschätzen. Zudem müsse weiter ein regional differenziertes Vorgehen in der Pandemie möglich sein.
AfD: Smarte Gesundheitsdiktatur
Harsche Kritik formulierte AfD-Fraktionschef Alexander Gauland. Das „Infektionsschutzgesetz der Bundesregierung“ sei das „größte Grundrechtseinschränkung in der Geschichte der Bundesrepublik“. Maßnahmen wie die Corona-App, Kontaktverfolgung, „digitale Gesundheitskontrolle“ und „indirekte Impfpflicht“ seien „Symptome einer nahenden, smarten Gesundheitsdiktatur“.
Unions-Fraktionsvize Georg Nüßlein (CSU) warnte davor, aus der Pandemie ein „politisches Geschäft zu machen“. Grund- und Freiheitsrechte vorzuschieben, „um damit das Vertrauen in unseren Rechtsstaat zu erschüttern, das ist ein geradezu perverses Kalkül“.
Linke: Der Sommer wurde verpennt
Der Linken-Politiker Jan Korte warf der Bundesregierung vor, den „Sommer verpennt“ zu haben, um die Pandemielage und geeignete Gegenstrategien zu analysieren.
Dass im Gesetz mehr Begründung für die Einschränkungen eingefordert werde, sei richtig. Dennoch lehne man das Gesetz ab. „Jeder Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechts bedarf der Debatte und Zustimmung oder Ablehnung des Bundestags – und genau das ist nicht vorgesehen.“