Hintergrund
Charité: Großes Verständnis für streikende Mitarbeiter
An Europas größter Universitätsklinik geht seit Montag fast nichts mehr. Vor allem die Pflegekräfte haben die Nase voll, denn sie verdienen deutlich weniger als ihre Kollegen an anderen Krankenhäusern in der Hauptstadt.
Veröffentlicht:Der Streik der Pflegekräfte an der Charité Universitätsklinik Berlin fällt härter aus als erwartet. Die Klinik probt dabei den Spagat zwischen Personal und Politik.
Deutschlands größte Uniklinik, die Charité Berlin, liegt lahm. Seit Montag streiken dort Pflegekräfte, Service- und Verwaltungsmitarbeiter. Von einem "ungewöhnlich heftigen Streik" spricht der ärztliche Direktor der Charité, Professor Ulrich Frei.
300 Betten sind unbelegt. 90 Prozent der geplanten Eingriffe und viele Untersuchungen werden verschoben. 200 OPs hat die Klinik am Montag abgesagt, nur 30 als Notfälle eingestufte Operationen wurden vorgenommen. Sonstige Notfälle wurden in andere Kliniken umgeleitet. Auf den Stationen war das Pflegepersonal auf Wochenendbesetzung reduziert.
Ärztlicher Direktor zeigt Verständnis
Überrascht hat Frei diese massive Mobilisierung der Gewerkschaft verdi nicht. "Es war klar, dass es eine erhebliche Mobilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben würde", so Frei. Der Ärztliche Direktor zeigt sogar Verständnis für die Forderungen. Sie seien zum großen Teil berechtigt, sagte er der "Ärzte Zeitung".
Derzeit verdienen Pflegekräfte an der Charité Berlin deutlich weniger als an anderen Kliniken. Das ist noch eine Nachwirkung davon, dass das Land Berlin sich vor Jahren aus dem Flächentarifvertrag TdL verabschiedet hat. Laut Frei liegt das Lohnniveau der Schwestern und Pfleger der Charité derzeit mehr als zehn Prozent unter TdL.
"Das ist nicht mehr vertretbar angesichts der Teuerung und weil andere Krankenhausanbieter in Berlin mehr zahlen", sagte Frei. Die Grundforderung sei nachvollziehbar und "unser ureigenes Interesse, weil wir zunehmend Rekrutierungsprobleme haben", so Frei weiter.
Doch die Charité steht vor einem Dilemma. Denn nicht nur das Personal richtet Forderungen an den Vorstand, sondern auch die Politik. Der Berliner Senat hat die defizitäre Uniklinik für 2011 zu einem ausgeglichenen Haushalt verpflichtet.
Nur mit diesem Versprechen hat der Charité-Vorstand die Zusage für einen dringend nötigen Investitionszuschuss von 330 Millionen Euro erhalten. 2010 fiel der Jahresabschluss zwar bereits um 58 Millionen Euro besser aus als im Vorjahr, doch er wies noch immer ein Minus von 17,8 Millionen Euro aus.
Erhöhte Effizienz in der Krankeversorgung
Die Ergebnisverbesserung führt der Charité-Vorstand vor allem auf erhöhte Effizienz in der Krankenversorgung zurück. Die weitere Ergebnisverbesserung in diesem Jahr wollte er mit Leistungssteigerung, fortgesetztem Flächen- und Personalabbau und einer Zusammenarbeit mit dem kommunalen Berliner Klinikriesen Vivantes in Sachen Einkauf und Strahlenklinik erreichen.
Jetzt kommt das ehrgeizige Sparziel doppelt in Gefahr. Auf rund 500.000 Euro beziffert Frei die Kosten eines einzigen Streiktages. 1,5 Millionen haben sich also schon summiert. Für eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte war zwar eine gewisse Spanne im Haushalt eingeplant, aber nicht in der geforderten Höhe. Die Gewerkschaft Verdi fordert 300 Euro mehr pro Monat und die vollständige Angleichung an das TdL-Niveau bis 2014.
Die Charité hat angeboten, die TdL-Angleichung über eine Dauer von fünf Jahren zu vollziehen. Ihr bisher vorliegendes Angebot sieht nach eigenen Angaben Einkommensverbesserungen von fünf Prozent vor. Nun gebe es Überlegungen für ein neues Angebot, so Frei. Konkrete Gespräche seien aber derzeit nicht im Gange.
"Wenn wir auf die Forderungen der Gewerkschaft auch nur annähernd eingehen, ist die Folge, dass wir zusätzlich Personal im dreistelligen Bereich in Dienstleistung und Verwaltung abbauen müssen", sagt er.
Weitere Entlassungen sind möglich
Bereits in den vergangenen Jahren wurde deutlich Personal abgebaut. Entlassungen in der Verwaltung seien aber noch möglich. "Da ist das Ende des Fahnenstange noch nicht erreicht", so Frei. Denkbar sei auch, dass im Zuge des für 2012 mit dem Senat vereinbarten Abbaus von 200 Betten eine Station komplett geschlossen werde.
Er verwies auf die bereits erfolgte Schließung der Geburtsmedizin am Standort Steglitz. Das sei "zwar handwerklich nicht elegant, aber höchst effektiv", so Frei.
Noch wirbt der Ärztliche Direktor auf allen Seiten um Verständnis für das Dilemma der Charité. Die Forderung der Berliner Landesregierung, keine Verluste zu machen, bestehe bislang unverändert fort, ruft er den Gewerkschaften zu. Dem Senat kreidet er an, er blende aus, "dass er für Teile des Defizits mitverantwortlich ist, weil er die Infrastrukturentwicklung jahrelang vernachlässigt hat".
Bis Montagabend habe es kein Signal gegeben, dass die Politik Verständnis hätte. "Aber es kann der Politik nicht egal sein, nicht im Wahljahr", sagte Frei.
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