Politischer Prozess

Chefin der türkischen Ärztekammer wegen Terrorpropaganda verurteilt

Ein Istanbuler Gericht befand Sebnem Korur Fincanci, der Terrorpropaganda schuldig – und verhängte zwei Jahre und acht Monate Haft. Trotzdem wurde sie aber zunächst entlassen. Protest kam von der Bundesärztekammer.

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Eine Frau hält ein Foto der Chefin der türkischen Ärztekammer (TTB) und bekannten Menschenrechtlerin Fincanci mit der Aufschrift „Freiheit für Sebnem“ hoch, während sie an einer kleinen Kundgebung zu ihrer Unterstützung vor dem Istanbuler Justizgericht teilnimmt.

Eine Frau hält ein Foto der Chefin der türkischen Ärztekammer (TTB) und bekannten Menschenrechtlerin Fincanci mit der Aufschrift „Freiheit für Sebnem“ hoch, während sie an einer kleinen Kundgebung zu ihrer Unterstützung vor dem Istanbuler Justizgericht teilnimmt.

© Francisco Seco/AP/dpa

Istanbul. Die Chefin der türkischen Ärztekammer (TTB) und bekannte Menschenrechtlerin Professor Sebnem Korur Fincanci ist in der Türkei zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Ein Istanbuler Gericht befand die 63-Jährige am Mittwoch der Terrorpropaganda schuldig und verhängte zwei Jahre und acht Monate Haft gegen sie. Fincanci muss nicht ins Gefängnis, unter anderem wegen der vorausgegangenen Zeit in Untersuchungshaft. Die TTB-Chefin gilt auch als ausgesprochene Kritikerin des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Die Vorwürfe beziehen sich auf ein Interview Fincancis mit dem Sender Medya Haber TV. Dem Verständnis der türkischen Staatsanwaltschaft zufolge betreibt der Sender Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Das Verteidigungsministerium hatte Beschwerde gegen die Ärztekammer-Chefin eingereicht. Fincanci wies die Vorwürfe zurück.

Beschwerde des Verteidigungsministeriums

In dem Interview hatte Fincanci zudem eine unabhängige Untersuchung der unbestätigten Vorwürfe gefordert, dass das türkische Militär Chemiewaffen im Kampf gegen die auch in Deutschland als Terrororganisation gelistete PKK im Nordirak einsetzt. Die türkische Regierung hat die Vorwürfe zurückgewiesen.

Nach der Urteilsverkündung stimmte das Publikum Sprechchöre in dem überfüllten Gerichtssaal an und feierte die Entscheidung zur Entlassung Fincancis aus der Untersuchungshaft. Manche riefen, erst am Beginn des „Widerstandes“ zu stehen. Fincanci hatte seit Oktober 2022 in Untersuchungshaft gesessen.

Hessischer Friedenspreis im Jahr 2018

Fincanci erhielt im Jahr 2018 den Hessischen Friedenspreis für ihren Einsatz für die Aufarbeitung von Folter und Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Kurz darauf wurde sie wegen „Terrorpropaganda“ verurteilt. Anlass war die Unterschrift der Menschenrechtlerin unter die Friedenspetition „We will not be a party to this crime“ gegen den Militäreinsatz in den kurdisch geprägten Landesteilen. Die zweijährige Haftstrafe wurde jedoch vom türkischen Verfassungsgericht als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit bezeichnet und aufgehoben.

Fincanci wurde 1959 in Istanbul geboren, studierte Medizin an der örtlichen Universität und lehrte dort Forensik. Sie ist auch Vorstandsmitglied der Menschenrechtsstiftung der Türkei.

Reinhardt schreibt an Erdogan

Die Bundesärztekammer (BÄK) hat den türkischen Staatspräsidenten Erdogan am Mittwochabend aufgefordert, die Repressalien gegen Vertreter der türkischen Ärzteschaft unverzüglich zu beenden. „Seit Jahren pflegt die Bundesärztekammer einen engen und vertrauensvollen Austausch mit der türkischen Partnerorganisation, die ein wichtiger, engagierter Pfeiler der internationalen Ärztegemeinschaft in der Region ist und mit Prof. Dr. Korur Fincanci eine der aufrichtigsten Anwältinnen für Menschenrechte an ihrer Spitze hat“, heißt es in einem Schreiben von BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt an Erdogan.

Die Anschuldigungen gegen die Vertreter des Ärzteverbandes seien haltlos, die staatlichen Eingriffe in die Strukturen der gewählten türkischen Ärzteschaft inakzeptabel. „Sie greifen nicht nur die Unabhängigkeit von Ärztinnen und Ärzten an, sondern die gesamte türkische Gesellschaft“, so Reinhardt. (dpa/bar)

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