Arbeit in Pandemie-Zeiten
Corona-Intensivpfleger: „Es könnte die eigene Mama sein, die da liegt“
Der Intensivkrankenpfleger Ricardo Lange hat schon viel erlebt. Der Tod gehört zu seinem Berufsalltag dazu. Bei der wöchentlichen Corona-Lage erzählte er plastisch, was sich in Corona-Zeiten geändert hat.
Veröffentlicht:Berlin. Die wöchentliche Corona-Lage im Haus der Bundespressekonferenz ist zu einem Routinetermin für Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und RKI-Chef Professor Lothar Wieler geworden. Es geht um Inzidenzen, Notbremsen, Impfrekorde, Liefertermine.
Am vergangenen Donnerstag gestaltete sich das Briefing anders als sonst. Das lag weniger an Spahn und Wieler. Vielmehr legte der Intensivpfleger Ricardo Lange aus Brandenburg einen denkwürdigen Auftritt hin. In kurzen, einfachen Sätzen schilderte Lange den Corona-Alltag auf den Intensivstationen. Er sprach von langen Schichten in wasserabweisender Plastik-Schutzausrüstung. Man schwitze, wenn man sie trage, und friere, wenn man sie nach Schichtende ausziehe.
Die Arbeit sei körperlich anstrengend – etwa bei der Bauchlage, die man täglich mehrfach durchführe. Dazu benötige man immer fünf Leute – vier Pflegekräfte, einen Arzt. Die Bauchlage sei mit Risiken verbunden. Rutsche der Beatmungsschlauch beim Umdrehen heraus, habe der Patient ein Problem und schwebe in Lebensgefahr.
Auch die seelische Belastung sei groß, berichtete Lange. „Stellen Sie sich vor, Sie sind Intensivkrankenpfleger. Sie kommen zum Frühdienst und nehmen einen COVID-Patienten auf. Er ist wach, ansprechbar und scheinbar stabil. Sie unterhalten sich, reden über Familienverhältnisse. Kurz vor Feierabend sagen Sie ihm, es wird alles gut werden, und gehen nach Hause. Am nächsten Tag kommen Sie zum Frühdienst, das Bett ist leer. Der Patient hat die Nacht nicht überlebt.“
„Das macht was mit einem“
Sterben gehöre zur Intensivkrankenpflege dazu. „Wir werden als Intensivkrankenpfleger immer todkranke Menschen betreuen“, sagte Lange. Aber in normalen Zeiten stürben die Menschen anders. „Sie sterben im Beisein ihrer Familien.“ Angehörige könnten den Sterbenden anfassen – „ohne Handschuhe, ohne Schutzkittel, ohne Visier“.
Nicht so in Corona-Zeiten. Da stünden in der letzten Stunde Vermummte am Sterbebett, berichtete Lange.
Anschließend müssten er und seine Kollegen die verstorbenen COVID-Patienten aus Gründen des Infektionsschutzes in „schwarze Plastiksäcke packen, wir legen sie dort hinein und ziehen den Reißverschluss zu. Und glauben Sie mir: Das macht was mit einem.“
Denn es passiere nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal, sondern „unzählige Male“. Als Mensch müsse man sich an eine solche Extremsituation erst einmal gewöhnen. „Es hätte ja auch meine Mama sein können, die da liegt.“
Lange gestand ein, als Intensivpfleger „betriebsblind“ zu sein. „Ich sehe natürlich nur die schweren Verläufe.“ Er wolle diese Betriebsblindheit aber zurückgeben an alle, die nicht auf einer Intensivstation arbeiteten oder im privaten Umfeld von Corona betroffen seien – sie sähen oftmals nur die „leichten Fälle“ oder Menschen, die nicht an COVID erkrankten. „Das heißt aber nicht, dass es diese schweren Verläufe nicht gibt.“