Fehlende Pflegekräfte

DIVI: Für Intensivstationen stehen die Zeichen seit Jahren auf Sturm

In der vierten Corona-Welle laufen Intensivstationen erneut über. Die Situation gebe Anlass zu großer Sorge – auch weil Pflegepersonal fehle, warnen Intensivmediziner. Die Politik schaue schon zu lange weg.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Auf der COVID-19-Station am Universitätsklinikum Leipzig versorgt ein Pfleger einen Patienten. Auf vielen Intensivstationen fehlt in der Republik aber genau das, Fachpersonal, mahnt die DIVI.

Auf der COVID-19-Station am Universitätsklinikum Leipzig versorgt ein Pfleger einen Patienten. Auf vielen Intensivstationen fehlt in der Republik aber genau das, Fachpersonal, mahnt die DIVI.

© Waltraud Grubitzsch / dpa

Berlin. Deutschlands Intensivmediziner schlagen einmal mehr Alarm. Die vierte Corona-Welle führe zur erneuten Überlastung der Intensivstationen. Weil Pflegepersonal fehle, könnten Betten nicht vorgehalten werden.

„Wir sind in großer Sorge um die Versorgung der Patienten, weil die Intensivpflege seit Jahrzehnten und ganz besonders während der Pandemie nicht so in den Fokus gerückt ist, wie es nötig gewesen wäre“, sagt Professor Felix Walcher, Präsident elect der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Magdeburg, der „Ärzte Zeitung“.

„Kind ist in den Brunnen gefallen“

Die DIVI habe bereits im Frühjahr 2020 in Empfehlungen und Anregungen auf die brisante Lage der Intensivpflege hingewiesen, so Walcher. Nach dem Jahreswechsel 2020/21 sei in einer Stellungnahme und im Sommer 2021 in Form einer groß angelegten Initiative mit anderen Fachgesellschaften, in denen gut 100.000 Ärzte und Pflegekräfte vertreten seien, auf die Situation hingewiesen worden.

„Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen – und es wird einige Zeit brauchen, um es wieder herauszuholen“, sagt Walcher. Viele der Beschäftigten seien – auch nach 20 Monaten Pandemie – ausgelaugt und ausgebrannt. Viele kehrten dem Beruf den Rücken „und die kommen so schnell auch nicht zurück, wenn nicht noch etwas Entscheidendes passiert“.

Laut DIVI ist die Zahl der freien Intensivbetten in Deutschland zuletzt stetig gesunken. Anfang 2021 hätten die Krankenhäuser noch 26.475 betreibbare Intensivbetten gemeldet – Ende Oktober seien es knapp 4270 Betten weniger gewesen.
Lesen sie auch

Immer mehr Abgänge

Auch eine „Blitzumfrage“ des Deutschen Krankenhausinstituts unter 233 Kliniken mit Intensivbetten zeigt: Die Personalnot hat sich seit Ausbruch der Pandemie nochmals verschärft. In drei Viertel der Kliniken stehen derzeit weniger Intensivpflegekräfte zur Verfügung als 2020. Kündigungen, interne Stellenwechsel und verringerte Arbeitszeiten werden als häufige Gründe genannt.

In gut einem Drittel der Häuser fehlen – in Vollzeitkräften berechnet – fünf Prozent des Pflegepersonals, in einem weiteren Drittel bis zu zehn Prozent. Jeder elften Klinik sind während Corona zehn Prozent der Intensivkräfte abhandengekommen.

Überraschend kommt das nicht. Schon vor zehn bis 15 Jahren hätten für die Intensivstationen die „Zeichen auf Sturm“ gestanden, sagt DIVI-Experte Walcher. „Wir haben seither immer wieder Bettenmangel in Ballungszentren und Schwerpunktkrankenhäusern, weil wir schwerkranke Patienten aus anderen Teilen des Landes übernehmen müssen.“ Die Pandemie wirke wie ein Brennglas, da COVID-Patienten „add-on“ hinzukämen.

„Benötigen einen Skill-Mix“

Die Belastung der Intensivpflegekräfte sei unter anderem auch hoch, „weil die quasi alles machen: „Angefangen bei der Materialbewirtschaftung über Dokumentation bis hin zum Putzen der Betten an Wochenenden, weil die speziellen Reinigungskräfte nicht da sind“, sagt Walcher. Deshalb benötigten die Intensivstationen auch einen Skill-Mix: „Die, die einfache Tätigkeiten ausüben und die, die hochkomplexe Beatmungsgeräte bedienen und hochwertige Pflege erbringen.“

Grundsätzlich gelte es, Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte spürbar zu verbessern, so Walcher. Dazu gehöre auch eine angemessene tarifliche Entlohnung. „Es kann ja nicht sein, dass die Pflege auf den Intensivstationen mehr Verantwortung übernimmt und am Ende gibt es dafür aber nicht messbar mehr Geld.“ Ein weiterer Aspekt sei die bessere Vergütung von Arbeit an Wochenenden und Feiertagen oder ein Bonussystem für das Ad-hoc-Einspringen im Krankheitsfall von Kolleginnen und Kollegen.

Flexiblere Arbeitszeiten nötig

„Hauptgrund für den Berufsausstieg ist die dauerhafte Überlastung durch eine schlechte Personalausstattung“, stimmt die Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, Dr. Bernadette Klapper, zu. „Die Beschäftigten – nicht nur auf Intensivstationen – arbeiten dauerhaft an und über der Belastungsgrenze, „und das nicht erst seit der Pandemie“, sagt Klapper.

Um die Entwicklung zu stoppen, müssten Arbeitgeber für Sicherheit, psychologischen Ausgleich und Entlastung sorgen – etwa mit flexibleren Arbeitszeitmodellen. Gerade Beschäftigte der Intensivpflege wechselten zu Zeitarbeitsfirmen – auch, weil Arbeitsbedingungen dort besser seien, so Klapper. Zudem brauche es ein „faires Gehalt“. Der DBfK fordere daher ein Einstiegsgrundgehalt von 4000 Euro brutto.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Verband weist auf Probleme der ambulanten Versorgung hin

SpiFa: „Keine einzige Baustelle des Gesundheitswesens beseitigt“

Frage der Woche

Ampel-Aus – um welches Gesetzesvorhaben tut es Ihnen besonders leid?

Das könnte Sie auch interessieren
Ein Roboter, der Akten wälzt? Künstliche Intelligenz kann bereits mit Leitlinien umgehen – jedenfalls wenn sie so gut strukturiert sind wie die der DEGAM.

© Iaroslav / stock.adobe.com

Digitalisierung in der Medizin

Kollegin Dr. ChatGPT? Wie Künstliche Intelligenz Ärzten helfen könnte

Digital und innovativ: Klinikum Siegen überzeugt von Fluency Direct

© Solventum Germany GmbH

Solventum Spracherkennung

Digital und innovativ: Klinikum Siegen überzeugt von Fluency Direct

Anzeige | 3M Healthcare Germany GmbH
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2024

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Kommentare
In der Klinik Königshof in Krefeld werden Menschen mit psychischen Erkrankungen behandelt. Die digitale Terminvergabe über Doctolib senkt eine Hemmschwelle: Es fällt leichter, mit wenigen Klicks einen Termin zu buchen, als im direkten Gespräch am Telefon.

© St. Augustinus Gruppe

Unternehmensstrategie für Krankenhäuser

Patientenportal stärkt die Reichweite der Klinik

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Patientenportale: Greifbarer Mehrwert für Klinik und Patienten

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung von Krankenhäusern

Patientenportale: Greifbarer Mehrwert für Klinik und Patienten

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Abb. 1: Zeitaufwand pro Verabreichung von Natalizumab s.c. bzw. i.v.

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [9]

Familienplanung und Impfen bei Multipler Sklerose

Sondersituationen in der MS-Therapie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Biogen GmbH, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Erhöhtes Thromboserisiko

Fallbericht: Lungenembolie bei einem Hobby-Bergsteiger

Lesetipps
Ein Mettbrötchen

© juefraphoto / stock.adobe.com

Tödlicher Einzeller im Hirn

Fallbericht: Amöbenenzephalitis nach Verzehr von rohem Fleisch?

Ärztin misst bei einer Patientin den Blutdruck

© goodluz / stock.adobe.com

Unter 120 mmHg

Striktere Blutdruckkontrolle bei Diabetes wohl doch sinnvoll