Interview
Darmkrebs-Vorsorge auch an Risiken ausrichten
Im Darmkrebsmonat März wird traditionell für Vorsorgekoloskopien geworben. Bringt die Werbung etwas in Zeiten der Pandemie? Dr. Christa Maar hofft ja und erklärt im Interview, welche Schwerpunkte bei der Darmkrebsprävention 2021 im Fokus stehen.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Frau Dr. Maar, im vergangenen Jahr stand der März, traditionell als Darmkrebsmonat beworben, ganz im Zeichen der COVID-19-Pandemie. Konnten Sie sich mit ihren Botschaften trotz des Lockdowns Gehör verschaffen?
Dr. Christa Maar: Mitten im Darmkrebsmonat März hat uns Corona redaktionell massive Einbrüche beschert. Verständlich, dass in dieser Zeit niemand mehr über Darmkrebsvorsorge geschrieben hat. Inwieweit unsere Kampagne in den Medien wahrgenommen wurde, lässt sich schwer messen. Die Medienhäuser haben uns dankenswerter Weise trotz Corona umfangreich mit Anzeigenschaltungen unterstützt. Das Gleiche gilt für die TV-Sender. Unser Werbespot lief beispielsweise rund 2000mal auf 24 Sendern.
Seit dem ersten Lockdown ist die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen aus Angst vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 rückläufig, allerdings trifft das laut Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung weniger auf die Koloskopie zu – ein Erfolg Ihrer Aufklärungskampagnen?
Das wäre schön. Tatsächlich gab es lediglich in der letzten März-Woche 2020, also unmittelbar mit Beginn des harten Lockdowns, einen deutlichen Einbruch bei den Vorsorgekoloskopien. In Summe sieht es aber so aus, dass in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres trotz COVID und Lockdown 9500 Personen mehr eine Vorsorgekoloskopie wahrgenommen haben als im Vergleichszeitraum 2019.
Gibt es schon Rückmeldungen, wie sich die Zahl der Vorsorgekoloskopien seit Beginn des zweiten Lockdowns entwickelt hat?
Nein. Aber wenn ich mit Gastroenterologen spreche, sagen die mir, dass es keinen Rückgang gibt. Die Hygienestandards sind in den Praxen so hoch, dass bei der Untersuchung keine Gefahr besteht, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren.
In diesem Jahr steht der März in Deutschland bereits zum 20. Mal im Zeichen der Darmkrebsvorsorge. Welche Schwerpunkte setzt Ihre Stiftung diesmal?
In Deutschland erkranken jedes Jahr rund 61.000 Menschen neu an Darmkrebs, 24.600 sterben jährlich an dieser Erkrankung, obwohl sie vermeidbar wäre. Darmkrebs ist die zweithäufigste Krebserkrankung in Deutschland nach Brustkrebs und die zweithäufigste Krebstodesursache nach dem Lungenkarzinom. Die Zahl der Krebserkrankungen in Deutschland wird weiter steigen, weil die Menschen immer älter werden. Deshalb müssen wir die Prävention dringend stärken. Aber in dieser Hinsicht bewegt sich in Deutschland leider viel zu wenig. Wir müssen das Gesundheitssystem von Grund auf modernisieren.
Sie plädieren beispielsweise für den Ausbau der risikoadaptierten Vorsorge.
Die „Nationale Dekade gegen Krebs“, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vor zwei Jahren ins Leben gerufen, hat die Prävention von Krebserkrankungen zu einem von drei Hauptthemen erklärt. Es ist das erste Mal, dass der Prävention eine derart zentrale Rolle für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens zuerkannt wird.
Klar, dass man bei diesem Thema die notwendigen großen Schritte nicht mit den bisher verwendeten Vorsorgemethoden erreichen kann. So wie es in der Therapie darum geht, die Behandlung von Tumorerkrankungen immer mehr auf die individuellen Merkmale des Tumors zuzuschneiden, so muss sich auch die Prävention und Früherkennung von Krebs darauf einstellen, die neuen Erkenntnisse und Möglichkeiten in risikoadaptierte Vorsorgemaßnahmen umzusetzen.
Sie wurden vom Ministerium als Patin für die Arbeitsgruppe Prävention berufen. Was hat die Gruppe sich für die nächste Zeit vorgenommen?
Ein erklärtes Ziel der „Nationalen Dekade“ ist, dass alle Themen, die im Rahmen der Dekade erforscht werden, von Forschungsverbünden bearbeitet werden müssen. Das heißt, es arbeiten verschiedene Forschungseinrichtungen an einem einzigen Thema zusammen, um komplexe Prozesse zu entschlüsseln. Bei dem ersten Projekt, das die Arbeitsgruppe Prävention auf den Weg gebracht, geht es darum, die Ursachen für den seit cirka 20 Jahren zu beobachtenden Anstieg von Darmkrebs bei jungen Erwachsenen zu erforschen, für den es bisher nur Vermutungen, aber keine wirklichen wissenschaftlichen Begründungen gibt.
Dr. Christa Maar
- Vorstand der Felix Burda Stiftung
- Präsidentin des Netzwerks gegen Darmkrebs e.V.
- Co-Vorsitzende der Arbeitsgruppe Prävention der Nationalen Dekade gegen Krebs
Ziel ist natürlich, dadurch zu risikoadaptierten Vorsorgemöglichkeiten zu kommen und damit zu verhindern, dass junge Menschen an diesem Krebs sterben. Es gibt ja bereits eine wirksame risikoadaptierte Vorsorgemöglichkeit für junge Menschen, die allerdings nur für einen Teil der Betroffenen zutrifft: die Feststellung eines familiären Risikos für Darmkrebs mittels Erhebung der Familienanamnese. Vier einfache Fragen, vom Hausarzt bei allen jungen Patienten abgefragt, und Betroffene zur risikoangepassten Vorsorge überwiesen, das hätte in den 13 Jahren, die das Thema bereits auf der Agenda steht, vielen Menschen unter 50 Krankheit und Tod ersparen können.
Es gibt viele Studien, die belegen, dass junge Menschen, deren Eltern oder Großeltern Darmkrebs haben oder hatten, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko haben, ein kolorektales Karzinom zu entwickeln. Nur haben sie bis heute kein Anrecht auf eine bezahlte Vorsorgekoloskopie. Für das familiäre Risiko für Darmkrebs gibt es bis heute keine Abrechnungsziffer. Der behandelnde Arzt muss eine Diagnose erfinden, um die Untersuchung abrechnen zu können.
Das zu ändern, hat auch das von Ihnen ins Leben gerufene Modellprojekt FARKOR in Bayern zum Ziel, bei dem die Ärzte bei allen Versicherten im Alter von 25 bis 49 Jahren die Familienanamnese erheben um festzustellen, ob es in der Familie Fälle von Darmkrebs und damit ein erhöhtes Risiko für nahe Verwandte besteht .
Beteiligt sind Hausärzte, Gastroenterologen, Gynäkologen und Urologen. Es wird interessant sein zu sehen, wie viele Betroffene auf diese Weise über risikoangepasste Vorsorge beraten werden können und bei wie vielen im Anschluss bei der Vorsorgekoloskopie ein frühes Karzinom oder Vorstufen von Karzinomen erkannt werden.
Sie haben mehrfach kritisiert, dass das 2019 eingeführte Einladungsverfahren zur Darmkrebsfrüherkennung zu umständlich sei, da Versicherte den immunologischen Stuhltest beim Arzt abholen und in die Praxis zurückbringen müssen. Hat der GBA inzwischen auf Ihre Kritik reagiert , um das Prozedere für die Zukunft einfacher zu gestalten ?
Nein, ich sehe nicht, dass sich hier etwas bewegt. Der Gemeinsame Bundesausschuss wartet wahrscheinlich erst einmal fünf Jahre ab, um Zahlen zu generieren. Wie viele Menschenleben setzt man in diesem Zeitraum aufs Spiel? Denn: Für den Großteil der Betroffenen ist das derzeitige Verfahren eine Riesenbarriere, die ihre Teilnahme verhindert. Dabei ginge es viel einfacher und effektiver, wie uns andere Länder vormachen.
Beispielsweise die Niederlande, wo man den Versicherten den immunologischen Stuhltest zusammen mit dem Einladungsschreiben und einem frankierten Umschlag fürs Labor zuschickt.
Und das mit großem Erfolg: Die Niederländer haben eine Teilnahmequote von 70 Prozent, während es bei uns um die zehn Prozent sind. Im vergangenen November habe ich an einer europäischen Konferenz zur Darmkrebsvorsorge teilgenommen. Hier haben mehrere Länder von Erfolgen mit dem Einladungsverfahren berichtet, unter ihnen Slowenien oder das Baskenland, die beide auf eine Teilnahmerate von 60 Prozent kommen.
Warum kann man bei uns den Test nicht wenigstens in der Apotheke abholen? Weil man in Deutschland meint, dass es ohne den Hausarzt, der seine Patienten berät, nicht geht. In den erwähnten Ländern dagegen argumentiert man genau umgekehrt: dass die Hausärzte derart überlastet sind, dass man sie mit der Ausgabe, dem Annehmen und ans Labor schicken des immunologischen Stuhltests sowie der Weitergabe der Laborbefunde an die Patienten nicht zusätzlich belasten will.
Dem steht bei uns die informierte Entscheidung entgegen.
Mit der informierten Entscheidung haben wir uns eine heilige Kuh ins Gesundheitssystem gestellt, der alles andere untergeordnet wird. Beispiel HPV-Impfung: Man weiß, dass sie einen sicheren Schutz bietet vor diesem Virus. Aber bei uns sind bisher nur etwa 40 Prozent der Mädchen geimpft – in Australien sind es 80 Prozent, in Großbritannien 86, in Norwegen 81 Prozent. Warum? Weil die Impfteams dort in die Schulen gehen, um zu impfen. Und dort werden auch die Jungs gleich mitgeimpft.
In Deutschland dagegen setzt man auf die informierte Entscheidung, die junge Menschen dazu zwingt, erst zum Arzt zu gehen, bevor sie sich gegen HPV impfen lassen. Ob sie die Informationen, die sie dort erhalten, dann auf sich anwenden können, ist dabei die entscheidende Frage. An der Universität Bielefeld wurde kürzlich wieder die Gesundheitskompetenz der Bundesbürger ausgewertet. Das Ergebnis: knapp 59 Prozent der erwachsenen Deutschen verfügen über eine geringe Gesundheitskompetenz, 75 Prozent der Befragten fallen insbesondere das Verstehen, die Beurteilung und die Anwendung von Gesundheitsinformationen, die sie erhalten, schwer.
Zurück zum Darmkrebsmonat März. Ihre im vergangenen Jahr initiierte Kampagne zur sogenannten Präventiophobie („Wenn die Angst vor der Darmkrebsvorsorge größer ist als die Angst vor dem Krebs“) war ein Riesenerfolg. Setzen Sie in punkto Vorsorge auch in Zukunft auf Humor?
Humor schafft Aufmerksamkeit. Noch immer erinnere ich mich gern an das witzige Statement von Harald Schmidt im Rahmen unserer ersten Prominenten-Kampagne 2002: „Alle zwei Jahre sage ich JA zur Darmspiegelung. Ich gönn mir ja sonst nichts.“ Wir setzen jedes Jahr auf innovative Ideen. Wir brauchen Hingucker. Erst muss man die Leute dazu bringen, hinzuschauen, dann bleibt auch die Botschaft hängen.
Seit 2003 zeichnet Ihre Stiftung herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Darmkrebsvorsorge mit dem Felix Burda Award aus. Im vergangenen Jahr musste die traditionelle Gala, auf der sie verliehen werden, wegen Corona zweimal abgesagt werden. Wie sind die Planungen für das laufende Jahr?
Ob wir den von uns für Sommer anvisierten Termin halten können, steht in den Sternen. Das hängt auch von den schleppend verlaufenden Impfungen ab.
Sie könnten die Veranstaltung ins Netz verlegen …
Vielleicht wird es darauf hinauslaufen, dass wir auf diese Weise wenigstens die Preisträger verkünden können. Denn die Nominierten warten nun schon bald ein Jahr lang auf die längst getroffene Entscheidung der Jury. Wir haben aktuell noch alle Optionen im Blick.