KBV-Chef Gassen

"Das Versorgungsstärkungsgesetz schwächt"

Am Donnerstag beschäftigt sich der Bundestag erstmals mit dem Versorgungs­stärkungsgesetz. Im Vorfeld wettern KBV und Verbände heftig gegen den Entwurf. Offenbar gibt es in der Koalition aber Überlegungen, an der einen oder anderen Stelle noch zu schrauben.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:
Klare Botschaft der KBV-Spitze: Die Postercars fahren in dieser Woche durch das Berliner Regierungsviertel.

Klare Botschaft der KBV-Spitze: Die Postercars fahren in dieser Woche durch das Berliner Regierungsviertel.

© Beerheide

BERLIN. Vor der ersten Lesung des Versorgungsstärkungsgesetzes am Donnerstag schlägt den Gesundheitspolitikern der großen Koalition heftige Kritik vieler Ärzteverbände entgegen.

So bezeichnete Dr. Andras Gassen das Gesetz als ein "trojanisches Pferd". In Wahrheit schwäche es die Versorgung, so der KBV-Chef.

"Das Gesetz wird als Geschenk an die Patienten bezeichnet. Tatsächlich birgt dieses .Geschenk‘ aber die Gefahr, die jetzigen Strukturen der ambulanten wohnortnahen Versorgung zu schädigen, wenn nicht gar zu zerstören", erklärte Gassen am Mittwoch in Berlin.

Die Terminservicestellen seien aus KBV-Sicht ein "populistisches Placebo", die "Kann"-Regelung zum Aufkauf von Praxen erntet "Verständnislosigkeit".

Generell sieht die KBV im Duktus des Gesetzes eine klare Aussage: "Statt Freiberuflichkeit zu stärken, sendet der Gesetzgeber die Botschaft an die Praxen: Ihr seid ersetzbar", so Gassen.

Auch die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung kritisiert die KBV erneut scharf. "Das ist der hilflose Versuch, ein Loch mit dem Anderen zu stopfen", erklärte KBV-Vize Regina Feldmann.

In Kliniken würden ambulante Fälle "von irgendjemand behandelt, mit dem der Patient davor und danach nie wieder Kontakt haben wird", so Feldmann weiter.

"Eine kontinuierliche und koordinierende Betreuung kann nur in der Praxis des Vertrauens stattfinden, nicht in einem anonymen Großbetrieb, der auf Masse ausgerichtet ist."

Gassen: "Regierung hat Vorschläge abgeschmettert"

Gemeinsam forderten beide KBV-Vorstände den Dialog mit den zuständigen Gesundheitspolitikern, um einzelne Regelungen nachzuarbeiten.

"Wir wünschen uns, dass sie vorher mit uns sprechen, statt unsere berechtigten Hinweise hinterher als Panikmache abzukanzeln", sagte Feldmann.

Dabei hofft die KBV auch auf die Länder: "Die Länder haben Änderungen angemahnt, die aus unserer Sicht in die richtige Richtung gingen. Aber die Regierung hat fast alle diese Vorschläge abgeschmettert", so Gassen.

Er hoffe nun auf einen Dialog und mehr Dynamik in den anstehenden Ausschussberatungen zu dem Gesetz.

Offenbar gibt es bereits in der großen Koalition Überlegungen, einzelne Teile des Gesetzes zu ändern. Dazu gehöre beispielsweise die Definition von Überversorgung.

In der Unionsfraktion ist Kritik an der Grenze von 110 Prozent laut geworden. Die CDU-Gesundheitspolitiker Karin Maag und Michael Hennrich haben bereits höhere Grenzwerte von 200 und 180 Prozent ins Spiel gebracht.

Sabine Dittmar, für die SPD-Fraktion Berichterstatterin für das Versorgungsstärkungsgesetz, hält die Anbindung der Aufkaufregelung an einen fixen Versorgungsgrad für nicht zielführend.

Der Gesetzgeber solle vielmehr über die vorgesehene Regelung hinaus den Gemeinsamen Bundesausschuss auffordern, die Bedarfsplanung zu schärfen und fachgruppenspezifischer auszurichten, sagte sie der "Ärzte Zeitung". Dittmar war bis 2010 noch als Allgemeinärztin in eigener Praxis tätig.

"Quasi-Enteignung"

Auch der NAV-Virchow-Bund schlägt mit seiner Kritik in eine ähnliche Kerbe: "Statt über geeignete Wege zur Steuerung der Patientenströme nachzudenken, werden der ambulanten Versorgung mit dem Gesetz Kapazitäten entzogen", heißt es in einer Mitteilung.

Durch die Neu-Gewichtung der Stimmen in der Selbstverwaltung und den Aufbau weitere Sektorengrenzen werde das Gesetz zu einem "Versorgungsschwächungsgesetz", sagte der Bundesvorsitzende des NAV-Virchow-Bundes Dr. Dirk Heinrich.

Auf heftige Kritik stößt der Praxisaufkauf - als "Quasi-Enteignung" - auch beim Hartmannbund.

"Sollte der Gesetzgeber sich trotz aller vorgetragenen Bedenken nicht mehr bewegen, dann wird der Hartmannbund exemplarisch den ersten Kollegen, der nach Verabschiedung des Gesetzes vom ,Wegkaufen‘ einer Praxis gegen seinen Willen betroffen ist, bei rechtlichen Schritten gegen diese Maßnahme unterstützen", sagte der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhard, der "Ärzte Zeitung". (Mitarbeit: af)

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