Psychisch kranke Soldaten
Das große Schweigen
Eine Truppe mit Barrieren? In der Bundeswehr leiden mehr Soldaten an PTBS, als bislang diagnostiziert wird. Schlimmer noch: Viele Soldaten gehen mit ihrer verletzten Psyche sogar in den Einsatz.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Das Schweigen über die psychische Gesundheit der Soldaten in der Bundeswehr ist groß: Bei rund 44 Prozent der erkrankten Soldaten wird eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) weder erkannt, noch diagnostiziert oder behandelt.
Das geht aus einer Studie hervor, die die TU Dresden im Auftrag des Bundestages erstellt hat. Darin wurde die psychische Gesundheit von Soldaten untersucht, die zwischen 2011 und 2012 im Afghanistan-Einsatz waren.
Von ihnen kehrten laut Studie 2,9 Prozent mit einer PTBS zurück. Bei nur 18 Prozent dieser erkrankten Soldaten wurde eine PTBS-Erkrankung definitiv erkannt und zumindest "niederschwellig" therapiert.
Bei weitern 38 Prozent der betroffenen Soldaten ist es unklar, ob sie versorgt wurden. Die Erkrankung von 44 Prozent der Betroffenen blieben unentdeckt.
"Damit erreicht das bei Weitem nicht das Ausmaß, wie es aufgrund früherer Befürchtungen erwartet wurde", mahnt das Forscherteam rund um Professor Hans-Ulrich Wittchen von der TU Dresden, der die "Dunkelzifferstudie" erstellt hat.
Dennoch sind die Zahlen alarmierend – denn es scheint ein Kommunikationsproblem in der Bundeswehr zu geben. Die Forscher konstatieren: "Betroffene Soldaten nehmen offensichtlich massive Barrieren wahr, die sie davon abhalten, sich gegenüber den zuständigen Diensten ihrem Leiden zu offenbaren."
Es sei ein Stigma, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. "Die offensichtlich unterschätzte zentrale Rolle von empfundenen Stigmata sollte bei der Umsetzung von Screening-Maßnahmen entsprechend beachtet werden."
Risiken für weitere psychische Erkrankungen
Die Forscher schlagen vor, die Screenings zu verbessern und die Erkrankung nicht in die Dienstakte der Betroffenen zu übernehmen. Das Schweigen bringt weitere Probleme mit sich – denn jeder fünfte Soldat ging "bereits mit einer manifesten, aber zumeist nicht erkannten psychischen Störung in den Einsatz", heißt es in der Studie.
Die Soldaten, bei denen die Erkrankung unerkannt bleibt, haben ein vier- bis sechsfach höheres Risiko, mit einer neuen psychischen Erkrankung zurückzukehren. Doch die Soldaten leiden nicht ausschließlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung.
"Wesentlich unterschätzt wurde das Risiko anderer einsatzbezogener psychischer Störungen", schreiben die Autoren. Bei zurückkehrenden Soldaten ist das Risiko von Angststörungen, Depressionen oder Alkoholabhängigkeiten gar höher, als an einer PTBS zu erkranken.
Die Forscher der TU Dresden fordern, dass es eine "kritische und systematische Bestandsaufnahme" der Versorgung von psychischen Erkrankungen geben müsse. Die Bundeswehr stand immer wieder beim Thema Versorgung psychisch kranker Soldaten in der Kritik.
Deren Präsident, Professor Rainer Richter, stellt anlässlich der Studie fest: "Es spricht nichts dagegen, dass ein Soldat, der psychisch krank war, aber erfolgreich behandelt wurde, seinen Dienst weiter fortsetzt - und auch an Auslandseinsätzen teilnimmt."