Pro und Contra zur MVZ-Regulierung
Das gute und das böse Geld
Die Diskussion über zusätzliche Regulierung von MVZ-Investoren ist einer der heißesten Brennpunkte rund um den TSVG-Entwurf. Die Frage: Wer soll in Zukunft noch MVZ gründen und betreiben dürfen? Die "Ärzte Zeitung" gibt zwei Standpunkte von KBV-Vorstandsvize Dr. Stephan Hofmeister und Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbands, wider.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Medizinische Versorgungszentren (MVZ), die von Kapitalgesellschaften betrieben werden, entwickeln sich zum gesundheitspolitischen Spaltpilz. Die Diskussion hat ihren Kern in der Frage, ob von Fremdkapitalgebern gegründete MVZ-Ketten die ambulante Versorgung gefährden oder ob die Chancen – zum Beispiel mit Blick auf die Arbeitsmöglichkeiten junger Ärzte – überwiegen.
Der Bundesrat warnte jüngst vor einer „Gefahr der Monopolisierung“ in immer mehr Teilen der ambulanten Versorgung. Geht es nach den Ländern, sollen Klinik-MVZ nur noch gegründet werden, wenn das „Krankenhaus einen fachlichen und räumlichen Bezug zum Versorgungsauftrag des MVZ hat“.
Auch der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Professor Ferdinand Gerlach, warnt davor, dass immer mehr Arztsitze der weiteren Bedarfsplanung entzogen werden, weil MVZ-Ketten Praxen zu Höchstkursen aufkaufen. Ob das TSVG hierauf eine gesetzgeberische Antwort gibt, ist noch nicht absehbar.
Dürre Datenlage bei MVZ
- Rund 18 000 Ärzte waren Ende 2017 in einem MVZ tätig, darunter 1586 Vertragsärzte.
- Fast 43 Prozent der MVZ wurden von Vertragsärzten gegründet, 40 Prozent von Kliniken. Nur vier MVZ sind in kommunaler Trägerschaft.
- Doch die Eigentümerstruktur der MVZ ist aus den offiziellen Daten nicht ersichtlich. Die KZBV geht für das dritte Quartal 2018 von bundesweit rund 70 MVZ aus, die Finanzinvestoren mittelbar oder unmittelbar zuzurechnen sind.
- Ein MVZ-Register ist nicht geplant, erklärte die Regierung im Oktober 2018.
Immer wieder sind in den vergangenen Jahren die Regeln für die Gründung von Medizinischen Versorgungszentren geändert worden. Aktuell können MVZ von zugelassenen Ärzten, Kliniken, von Erbringern nichtärztlicher Dialyseleistungen, von gemeinnützigen Trägern, die an der Versorgung teilnehmen und von Kommunen gegründet werden (Paragraf 95 SGB V, Absatz 1a). Der Kreis der potenziellen Gründer ist damit im Vergleich zur ursprünglichen Regelung bei Einführung der MVZ bereits deutlich eingeschränkt worden.
Oft unklare Eigentümerverhältnisse
Über die Jahre ergab sich bei MVZ-Betreibern nach und nach ein Übergewicht der von Kliniken betriebenen Zentren. Nachdem der Gesetzgeber 2015 auch fachgleiche MVZ ermöglicht hat, schlug das Pendel in den vergangenen Jahren wieder etwas zurück: Die Zahl der selbstständigen Vertragsärzte, die in MVZ arbeiten, nahm wieder zu. Weit mehr Ärzte in den Zentren arbeiten allerdings im Angestellten-Verhältnis, Ende 2017 waren es rund 16.400 von insgesamt 18.000 Ärzten.
Doch ob Klinik oder Praxis – das sagt wenig über die dahinterstehenden Eigentümerverhältnisse aus. In den vergangenen Monaten ist die Kritik an MVZ-Ketten in der Hand von Investoren laut geworden.
So weist etwa die Ärztekammer Nordrhein darauf hin, dass dort inzwischen rund 36 Prozent der nephrologischen Sitze in MVZ sich in der Hand von Konzernen befinden. Besonders laut rühren Standesorganisationen der Zahnärzte die Trommel: Versorgungsfremde Investoren beförderten das Praxissterben vor allem in strukturschwachen Regionen, hieß es beim jüngsten Deutschen Zahnärztetag.
Hin und Her bei der MVZ-Regulierung
- 2012 verbot die damalige schwarz-gelbe Koalition im Versorgungsstrukturgesetz die MVZ-Gründung durch Aktiengesellschaften.
- 2015 erlaubte die große Koalition im Versorgungsstärkungsgesetz die Gründung fachgleicher MVZ.
- Im Entwurf des Terminservicegesetzes (TSVG) ist geplant, dass Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen anders als bisher nur noch fachbezogene MVZ gründen dürfen.
- Der Bundesrat fordert,dass Krankenhaus-MVZ künftig einen „fachlichen oder räumlichen Bezug zum Versorgungsauftrag des MVZ“ haben sollen.
Wie weit die Positionen auseinanderliegen, verdeutlichen hier der KBV-Vorstandsvize Dr. Stephan Hofmeister und Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbands, die von der „Ärzte Zeitung“ um ihre Einschätzung gebeten wurden.
Pro
Die Ursünde von 2004 lässt sich nicht mehr einfangen
Von Stephan Hofmeister
Eines sei vorweggestellt: Es gibt kein böses Geld. Ob ein Arzt als Selbstständiger, ein Gesundheitskonzern oder ein Investor ohne direkten Bezug zum Gesundheitssystem in Versorgung investiert, das ist per se zunächst einmal nichts Gutes oder Schlechtes. Dennoch würde ich es als „Ursünde“ bezeichnen, dass mit Einführung der MVZ und ihren zugelassenen Gründern 2004 erstmals Drittkapital mit operativer Wirkung in das solidarisch angelegte Gesundheitssystem hineingelassen wurde.
Diese Ursünde lässt sich jetzt nicht mehr einfangen – und sie macht es erforderlich, dass wir immer wieder regulatorisch nachjustieren. Wenn nicht, laufen wir in Strukturprobleme.
Der Grund ist unmittelbar einleuchtend bei einem Vergleich der Investitionslogik der Kapitalgeber:
- Wenn ein Arzt, sei es in eine Einzelpraxis, als ärztlicher Partner in ein MVZ oder in eine BAG sein Eigenkapital investiert oder dafür Fremdkapital aufnimmt, dann will er eine Kapitalrendite erzielen, genauso wie ein externer Investor. Aber anders als bei diesem ist sein Engagement in der Regel auf Lebenszeit angelegt. Es gibt nur ein geringes Ausfallrisiko, und für die Solidargemeinschaft besteht eine hohe Verbindlichkeit einer gesicherten Versorgung. Ein Beispiel: Dort, wo auf dem Land nach und nach Läden, Banken, Apotheken aufgegeben werden, sind es oft die Ärzte, die als letzte gehen.
- Investiert ein Gesundheitskonzern, dann wird dieser immer versuchen, die Wertschöpfungskette zu erweitern. Wenn aber alles unter einem Dach zusammengefasst ist – Material, Maschinen, Labor, Ärzte –, dann sind Quersubventionen möglich, was wiederum die Marktpreise, z.B. für Arztsitze, verdirbt und unliebsame Konkurrenten aus dem Markt drängen kann. Es drohen regionale Monopole – allerdings nur dort, wo die Versorgung lukrativ ist. Rosinenpicken ist hier schon angelegt, so wie die Konkurrenten der Post sich nur Ballungsräume für den Wettbewerb suchen.
- Private Equity als Kapitalgeber wiederum wird ein Engagement nur aufrechterhalten, wenn hohe Verkaufsgewinne winken oder eine langfristig hohe Kapitalrendite gewährleistet ist. Ist das nicht mehr der Fall, wird das Kapital im Zweifel wieder abgezogen. In Hamburg-Bergedorf hatten wir ein MVZ, das von jetzt auf gleich geschlossen wurde. Die Solidargemeinschaft spielte da keine Rolle, und die KV musste damals ganz schnell für Ersatz sorgen, um die Versorgung aufrechtzuerhalten.
Insgesamt glaube ich, dass der Gesetzentwurf mit Bezug auf MVZ-Investoren ein guter Kompromiss ist. Wer Dialyse macht, macht Dialyse und muss nicht darüber hinaus aktiv werden. Dialysezentren sind aber zuletzt als Eintrittspforte in den Markt genutzt worden. Natürlich muss es auch weiterhin möglich sein, in der Dialyse alle notwendigen Fachärzte dazu zu nehmen, und auch der Bestandsschutz bestehender Einrichtungen steht nicht zur Diskussion. Aber Geriater, Radiologen und Kardiologen beispielsweise müssen nicht Teil solcher Zentren sein, auch eine enge einrichtungsübergreifende Kooperation ist möglich.
Netze sehen wir aus demselben Grund als MVZ-Gründer kritisch. Zum einen kann so etwas wirklich nur ein hoch professionell arbeitendes Netz leisten. Zum anderen aber würden die Netze am Ende zu einer weiteren Eintrittspforte für größere Kapitalstrukturen, um in den ambulanten Markt zu kommen.
Ich glaube allerdings, dass KVen als MVZ-Betreiber erlaubt werden sollten. Natürlich nicht als Konkurrenten für etablierte Praxen, sondern nur subsidiär, dort, wo sich Lücken auftun. Dabei sollten angestellte Ärzte immer die Perspektive haben, die Arztsitze später zu übernehmen. Beispiele dafür gibt es, etwa die Fahrschulpraxen in Thüringen. Vor zehn Jahren hätte man so etwas sicher nicht sagen dürfen, aber die Zeiten ändern sich – und mit ihnen die Anforderungen.
Contra
Heuschrecken und ihr böses Geld? Das ist unseriös!
Von Franz Knieps
In der Debatte über Medizinische Versorgungszentren und ihre von manchen geforderte strengere Regulierung wird mit schrägen Argumenten und steilen Thesen gearbeitet.
Nehmen wir als Beispiel die Stellungnahme des Bundesrats zum Terminservice- und Versorgungsgesetz. Unter dem Deckmantel, man wolle „schädlichen Monopolisierungstendenzen“ in der vertragsärztlichen Versorgung entgegentreten, wird hier eine Differenzierung danach vorgenommen, wo das Geld herkommt: Wer sein Geld in einer Einzel- oder Gemeinschaftspraxis verdient, der darf damit rechnen, dass er Kapitalrenditen zwischen 20 und 30 Prozent einfährt. Wer institutioneller Anleger ist und für sein Geld eine Rendite von fünf Prozent haben will, der gilt als „Heuschrecke“. Eine solche Argumentation ist nicht seriös.
Die dahinterstehende Grundsatzfrage ist die, ob es in einem solidarischen Gesundheitswesen Gewinnstreben geben darf. Wer hier mit „Nein“ antwortet, muss sich gleichzeitig auch für den National Health Service wie in Großbritannien aussprechen. Ich tue das nicht.
In der aktuellen Diskussion wird oft mit der These gearbeitet, Kapitalinvestoren seien ausschließlich am schnellen Gewinn interessiert, würden den Markt aussaugen und dann wieder verschwinden und Versorgungsprobleme hinterlassen. Welche Evidenz gibt es für diese Behauptung? Warum sollte ein Kapitalgeber nach dem Kauf das Geld abschöpfen und danach die Quelle des Geldschöpfens fallen lassen? Diese Gefahr sehe ich nicht.
Ein weiterer Mythos, der sich mit MVZ verknüpft ist der, solche Einrichtungen würden nur in der Stadt etabliert. Als „Beleg“ wird dann angeführt, nur eine Minderheit der MVZ werde auf dem Land angesiedelt. Gewiss, aber deshalb, weil auch nur 20 bis 30 Prozent der Menschen in ländlichen Regionen leben! Ignoriert wird dabei, dass es überdurchschnittlich häufig MVZ sind, die Zweigpraxen auf dem Land eröffnen oder rollierende Praxen ins Leben rufen. Gerade Dialyse-MVZ, deren Gründung mit dem TSVG ausgebremst werden soll, bieten integrierte Versorgung an. Hier werden Szenarien an die Wand gemalt, für die es keine empirischen Hinweise gibt.
Ich bin ausdrücklich für Wettbewerb – hier kommt es mir aber auf faire Bedingungen für alle Marktteilnehmer an. Weder möchte ich, dass die Patienten nur noch von einer Anbieterkette bedient werden. Noch sollte der Fokus allein auf der Einzelpraxis liegen, so dass bei technisch geprägten ärztlichen Leistungen, die höhere Investitionen erfordern, größere Einheiten verhindert werden.
In diesem Zusammenhang höre ich seit 25 Jahren die Behauptung, angestellte Ärzte seien nicht frei in ihrer Entscheidung – das könnten nur Freiberufler sein. Freiberuflichkeit kann doch nicht heißen, dass ich als Unternehmer selbstständig sein muss. Diese Debatte ist verlogen. Hoch qualifizierte Ärzte arbeiten als Spezialisten und Forscher in Kliniken. Und sie sind zumeist ihr ganzes Berufsleben nicht als Unternehmer tätig. Möchte jemand bestreiten, dass es sich dabei um unabhängig arbeitende, exzellente Ärzte handelt?
Ein letzter und vielleicht entscheidender Punkt: Junge Ärztinnen und Ärzte stimmen schon längst mit den Füßen ab und bevorzugen die Arbeit als Angestellte in einem MVZ. Sie folgen nicht mehr der alten Logik: Krankenhaus, Weiterbildung, Oberarzt – und dann die Niederlassung, inklusive eines riesigen Kredits. MVZ bieten Berufsbedingungen für junge Mediziner, die moderne Lebens- und Arbeitsmodelle erlauben.
Mein Plädoyer: Der Gesetzgeber sollte dreimal überlegen, ob und wie er die Regulierungsschraube bei MVZ weiter anzieht.