„Liberales Sterbehilfegesetz“
Das sind die Reaktionen auf das Sterbehilfe-Urteil
Der BVerfG-Richterspruch zur Sterbehilfe hat Besorgnis ausgelöst. Andererseits wird der Ruf laut, rasch gesetzgeberische Konsequenzen im Hinblick auf ein „liberales“ Sterbehilfegesetz zu ziehen.
Veröffentlicht:Berlin. Das Bundesverfassungsgericht hat das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt. Patientenverbände und Kirchenvertreter zeigen sich besorgt, die SPD sieht Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Verantwortung und die FDP bringt eine fraktionsübergreifende Initiative für ein neues Sterbehilfegesetz ins Gespräch.
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Bärbel Bas, betonte in einer ersten Reaktion auf den Richterspruch, die 2015 beschlossene Neuregelung der Sterbehilfe habe Ärzte verunsichert. Sie wünsche sich daher klare Regeln, „wann insbesondere ärztliche Begleitung erlaubt und wann gewerbliche Angebote ausgeschlossen sind“.
Das Bundesverfassungsgericht habe die Zulässigkeit der Sterbehilfe grundsätzlich bejaht, so Bas. „Jens Spahn muss jetzt seinen Widerstand gegen die Abgabe der dazu notwendigen Medikamente aufgeben.“
Ähnlich äußerte sich Niedersachsens Gesundheitsministerin Dr. Carola Reimann (SPD). Der Bund müsse jetzt zügig Konsequenzen aus dem Urteil ziehen.
„Selbsttötung wird selbstverständliche Therapieoption“
Der Chef der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Klaus Reinhardt, sagte, das Gericht habe dem Selbstimmungsrecht am Ende des Lebens „weiten Raum“ zugesprochen. Gleichwohl sähen die Richter auch die Notwendigkeit für eine gesetzgeberische Regulierung der Beihilfe zur Selbsttötung. „Das heutige Urteil ist deshalb als Auftrag an den Gesetzgeber zu verstehen, diese Möglichkeiten auszuloten und rechtssicher auszugestalten.“
Die Gesellschaft als Ganzes müsse Mittel und Wege finden, die verhinderten, dass die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu einer Normalisierung des Suizids führe, betonte der BÄK-Chef.
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, betonte gegenüber der „Rheinischen Post“, grundsätzlich wollten Ärzte Leben erhalten. Es sei aber nicht Aufgabe von Ärzten, Leben um jeden Preis endlos zu verlängern. Menschen müssten in Würde sterben dürfen, wenn sie dies wollten, so Gassen.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, betonte: „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erhöht den Druck auf die einsamen, alten und schwachen Menschen. Das wird die Solidarität mit den Hilfesuchenden in unserer Gesellschaft grundlegend verändern.“
Beihilfe zum Suizid könne nun jederzeit von jedermann angeboten werden, so Brysch. „Damit wird die Selbsttötung zur selbstverständlichen Therapieoption.“ Der Gesetzgeber habe kein Instrument mehr in der Hand, „dem jetzt noch einen Riegel vorzuschieben“.
„Beihilfe zum Suizid darf keine Alternative zu einer aufwändigen Sterbebegleitung sein“, sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Hochaltrige Pflegebedürftige seien darauf angewiesen, „dass sie sich auch am Lebensende gut versorgt und beraten wissen“. Die Entscheidung der Karlsruher Richter könne dazu beitragen, „dass diese Menschen verunsichert werden, weil vielleicht nicht alle Hilfen zur Verfügung stehen, die sie benötigen“.
FDP: „Liberales Sterbehilfegesetz“
Die FDP macht sich derweil für eine fraktionsübergreifende Initiative für ein „liberales Sterbehilfegesetz“ stark. Dieses solle garantieren, „dass eine suizidwillige Person, deren Wunsch frei, eigenverantwortlich und im Vollbesitz der eigenen geistigen Kräfte gebildet wurde, auch Hilfe in Anspruch nehmen kann“, sagte die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr am Mittwoch in Berlin.
Die Kontrolle der freiverantwortlichen Willensbildung könnte durch ein mehrstufiges Verfahren sichergestellt werden, so Helling-Plahr. Ein ärztliches Beratungsgespräch über Behandlungsoptionen und etwaige Alternativen sei dabei obligatorisch. „Hierbei muss sich der Arzt auch von der Einwilligungsfähigkeit und Freiverantwortlichkeit des Sterbewunsches überzeugen.“ Weiterhin solle der Betroffene durch eine unabhängige Beratungsstelle unterstützt werden, deren Beratung analog zur Schwangerschaftskonfliktberatung ausgestaltet werden könne.
Der frühere Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), auf dessen maßgebliche Initiative das 2015 verabschiedete Gesetz zurückgeht, hat mit Bedauern auf die Entscheidung des Gerichts reagiert. „Ich glaube, dass sie entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut der Entscheidung geeignet ist, einer gesellschaftlichen Entwicklung hin zu einer Normalisierung der Selbsttötung als Behandlungsoption den Weg zu bereiten“, sagte Gröhe.
Das Bundesverfassungsgericht habe ausdrücklich ein Schutzanliegen des Gesetzgebers anerkannt, betonte Gröhe. Von einer ungeregelten Zulässigkeit organisierter Suizidassistenz könnten Gefahren ausgehen. „Das wird man genau zu prüfen haben.“ (mit dpa)