BÄK-Präsident Montgomery im Interview
"Datenschutz darf kein Vorwand werden, um Forschung zu behindern"
Die Digitalisierung ist eines der großen Themen in der aktuellen politischen Diskussion. Auch der diesjährige Ärztetag in Freiburg beschäftigt sich mit dem Thema. "Wir wollen Interesse für das Thema wecken und zugleich den Handlungsspielraum für KVen und Kammern abstecken", sagt Professor Frank Ulrich Montgomery.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Montgomery, als Mitglied der Ärztekammer Hamburg haben Sie beim Arztausweis die Wahl zwischen dem blauen Papierausweis und dem elektronischen Ausweis im Scheckkartenformat. Hand aufs Herz: Welchen Ausweis haben Sie?
Prof. Frank Ulrich Montgomery: Ich habe noch den Papierausweis. Und dafür gibt's eine ziemlich simple Erklärung.
Professor Frank Ulrich Montgomery
- Aktuelle Position: Präsident der Bundesärztekammer, Präsident der Ärztekammer Hamburg
- Werdegang / Ausbildung: Er studierte Medizin in Hamburg und Sydney. Seit 1986 ist er Facharzt für Radiologie und Oberarzt am UKE Hamburg Eppendorf.
- Karriere: 1983 wird Montgomery Vorsitzender des Marburger-Bund-Landesverbands Hamburg. Von 1989 bis 2007 ist er Chef des MB-Bundesverbands. 1994 (bis 2002) wird er erstmals zum Kammer-Präsidenten in Hamburg gewählt. 2006 wählen ihn die Hamburger Ärzte erneut zu ihrem Kammerchef. Von 2007 bis 2011 ist Montgomery Vize-Präsident der Bundesärztekammer, 2011 wird er schließlich an die Spitze der Bundesärztekammer gewählt. 2015 bestätigen die Delegierten ihn in Frankfurt am Main in seinem Amt.
Welche?
Als Krankenhausarzt benötige ich ein Password und eine PIN für unser Zugangssystem. Der e-Ausweis hätte für mich noch keinen Nutzen. Das ist ja das Bedauerliche. Keine elektronische Funktion, die mir als Arzt in der Klinik nutzen würde, ist freigeschaltet. Aber das wird sich ändern.
Also haben Sie Verständnis für Kollegen, die noch zögern?
Ja, ich kann Kollegen verstehen, die sagen, dass sie sich erst dann den elektronischen Ausweis holen, wenn sie davon einen nachweisbaren Mehrwert haben. Dennoch haben wir Ärzten ermöglicht, sich vorregistrieren zu lassen.
Wer dürfte dann am ehesten vom e-Ausweis profitieren?
In der ersten Stufe werden das primär die niedergelassenen Kollegen sein. Allerdings werden innerhalb der nächsten fünf bis sechs Jahre alle Ärzte den elektronischen Arztausweis brauchen. In dieser Zeit wird auch die Funktionalität erweitert sein. Dabei denke ich nicht nur an den Austausch von Informationen unter Ärzten, sondern auch an Anfragen etwa beim Vorsorgeregister der Notarkammer, ob zum Beispiel ein Patient eine Patientenverfügung hinterlegt hat oder nicht.
Das Pendant zum elektronischen Arztausweis ist die elektronische Gesundheitskarte für den Patienten. Hier haben sich Kassenärztliche Bundesvereinigung und Krankenkassen auf die Beteiligung an den Kosten für die nötigen Investitionen verständigt und einen Anreiz für den elektronischen Arztausweis beschlossen. Wird das jetzt mehr Schwung in die Diskussion bringen?
Das muss klar auseinandergehalten werden: Beim Arztausweis gibt es keinen Streit bezüglich der Spezifikation oder der Signatur. Die elektronische Gesundheitskarte ist mittlerweile elf Jahre im Rückstand und hat irrsinniges Geld verbrannt. Ich finde es gut, dass sich KBV und Kassen in der Frage der Übernahme von Kosten für den Konnektor verständigt haben. Das ist eine faire Lösung. Übrigens: Ich bin der festen Überzeugung, dass viele Kollegen in ihren Praxen schon viel digitalisierter sind, als in der Außenkommunikation oft dargestellt wird.
Stichwort Digitalisierung: Auch der Ärztetag in Freiburg in zwei Wochen beschäftigt sich mit dem Thema. Warum?
Weil es die Kollegen bewegt. Das Thema ist extrem facettenreich – denken Sie an den Nutzen in der Medizin, vom Operationsroboter bis hin zur administrativen Anwendung. Dann geht es um die Kommunikation zwischen Arzt und Patient sowie zwischen Arzt, Patient und Krankenkasse und um das Sammeln epidemiologischer Gesundheitsdaten. Und schließlich geht es auch um die Frage, was ein Patient über die Nutzung digitaler Medien selbst beisteuern kann, um seiner Gesundheit zu dienen.
Ein solches Programm dürfte kaum von einem Gastredner alleine abgearbeitet werden können. . .
Aus diesem Grund haben wir uns für drei Referenten mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten entschieden: Sascha Lobo wird einen Blick auf die globale Situation werfen und uns Chancen und Risiken aufzeigen. Frau Professor Woopen wird uns die Grenzen des Vertretbaren zeigen. Von Seiten der Kammer werden wir eine berufsrechtliche Einordnung zum Thema vornehmen.
Es herrscht ziemliche Verwirrung bei den Begrifflichkeiten. Würde es nicht Sinn machen, zunächst zu definieren, was mit Digitalisierung genau gemeint ist?
Wie gesagt, das Thema ist vielseitig. Dennoch haben wir nicht vor, in Freiburg ein Proseminar zum Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen abzuhalten. Nein, wir wollen Interesse für das Thema wecken und zugleich den Handlungsrahmen für Kammern und KVen abstecken.
Beim Thema Datensammeln werden Datenschützer hellhörig: Auf der einen Seite beneiden wir andere Länder um deren Versorgungsdaten, auf der anderen Seite sind wir hier sehr restriktiv. Brauchen wir einen entspannteren Umgang mit dem Thema?
Datenschutz darf nicht zum Vorwand werden, epidemiologische Forschungen zu behindern. Wir Deutschen haben – und das hat auch mit unserer Geschichte zu tun – ein sehr hohes Datenschutz-Niveau. Daran will und wird auch der kommende Ärztetag in Freiburg nichts ändern. Ich erlaube mir aber den Hinweis, dass oft dieselben Menschen, die einen immensen Datenschutz gegenüber ihren Krankenkassen und Ärzten einfordern, gleichzeitig ihre Handys mit Ortungssystemen aktiviert lassen und den großen Plattformen persönliche Daten überlassen.
Beispiel Krankenkassen: Sie hüten einen enormen Datenschatz, den sie aber nur sehr bedingt und anonymisiert einsetzen dürfen. Sind hier die Grenzen zu eng?
Manche sehen das so. Aber die Vorstellung, da liege ein Schatz, den man nur zu heben bräuchte, ist falsch. Es ist müßig, über etwas zu spekulieren, was datenschutzrechtlich klar geregelt ist. Wir wollen auf dem Ärztetag primär über neue Entwicklungen reden und nicht nur über das Sammeln von Daten.
Zurück zum Versorgungsalltag: Was raten Sie Ihren Kollegen in den Praxen, wie sie künftig reagieren sollen, wenn sie demnächst immer häufiger von Patienten kontaktiert werden, die ihre eigenen Diagnosen aus dem Web mitbringen?
Wir reden seit fast 15 Jahren darüber, dass Patienten ihre Ärzte mit einer dicken Akte aus dem Internet oder sogar einer aus ihrer Sicht fertigen Diagnose konfrontieren. Ich weiß, dass es das gibt, aber sicherlich nicht in dem Ausmaß, wie manche versuchen, uns glauben zu machen. Ich halte es für ausgesprochen hilfreich, wenn sich ein Patient in Absprache mit seinem Arzt über das Internet informiert. Und dann gibt es Patienten, die aufgrund ihrer Recherche im Web fehlinformiert sind. Eher gering ist die Zahl der Patienten, die bereits mit einer vermeintlich fertigen Diagnose in die Praxis kommen und nur noch das Medikament verschrieben bekommen möchten. Hier hilft dann oft ein klärendes Gespräch. Es ist mir klar, dass das nicht immer einfach ist.
Wir haben es mit einer inflationären Verbreitung von Apps und Wearables zu tun: Sie fordern ein Gütesiegel, doch wie soll so etwas durchgesetzt werden – das Web ist grenzenlos?
Man muss einen Anreiz für die Entwickler von Apps schaffen, die einen echten medizinischen Nutzen haben und in der Versorgung verwendet werden sollen. Solche Apps würde ich als Medizinprodukte einstufen. Diese könnten nach dem Medizinproduktegesetz zertifiziert werden. Wir könnten dann gegenüber dem Patienten eine Empfehlung für diese Apps aussprechen, die ein solches Gütesiegel tragen.
Stichwort Politik: In knapp fünf Monaten wird ein neuer Bundestag gewählt. Welche politische Botschaft sendet der Ärztetag von Freiburg nach Berlin?
Wir werden uns die Programme der Parteien genau anschauen und herausarbeiten, in welchen Bereichen die neue Bundesregierung dringend tätig werden muss. Dabei wird die Frage nach der künftigen Finanzierung des Gesundheitswesens im Mittelpunkt der Diskussionen auf dem Ärztetag stehen. Unsere Position dazu war immer eindeutig: Wir lehnen die Bürgerversicherung ab.
Warum?
Weil wir sie für eine große Mogelpackung halten, die im Kern genau das Gegenteil erreicht, was sie vorgibt, erreichen zu wollen. Die Bürgerversicherung wäre der Turbolader für eine Zwei-Klassen-Medizin. Wir werden in Freiburg aber auch über neue und alternative Versorgungsmodelle reden. Ebenso werden wir die Positionen, die der Vorstand zur Bundestagswahl erarbeitet hat, in der politischen Debatte aufgreifen. Am Ende der Legislaturperiode wollen wir auch Bilanz der bisherigen Arbeit der Bundesregierung ziehen.
Fakt ist: Seit gut sechs Jahren ist die Finanzsituation in der gesetzlichen Krankenversicherung stabil. Das hat es uns ermöglicht, gute Arbeit in der Versorgung zu leisten. Wir werden alle Programme der Parteien und Aussagen von Politikern daraufhin abklopfen, ob das auch in Zukunft so sein wird.