DAK-Report

Depressiv erkrankte Kinder werden allein gelassen

DAK-Gesundheit und Ärzte schlagen Alarm: In der Versorgung psychisch kranker Kinder gibt es große Lücken! Das zeige eine Auswertung der Abrechnungsdaten von rund 800.000 Kindern und Jugendlichen.

Von Thomas Hommel Veröffentlicht:
Mädchen waren laut den Kassendaten deutlich öfter wegen einer Depression in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung als Jungen.

Mädchen waren laut den Kassendaten deutlich öfter wegen einer Depression in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung als Jungen.

© Photographee.eu / stock.adobe.com

Berlin. Depressiv erkrankte Kinder fallen in Deutschland noch häufig durch das Versorgungsnetz – vor allem nach einem stationären Aufenthalt.

„Wir haben offenkundige Versorgungslücken nach der Krankenhausentlassung, die wir dringend schließen müssen“, sagte der Vorstandschef der DAK-Gesundheit, Andreas Storm, bei der Vorstellung des neuen Kinder- und Jugendreports der Kasse am Donnerstag. in Berlin.

Eine Rehospitalisierungsquote von 24 Prozent sei alarmierend. Die Gesellschaft müsse offen über das „Tabuthema“ Depression bei Kindern sprechen, forderte der DAK-Chef.

Stigmatisierung belastet zusätzlich

Laut Report kommen derzeit knapp acht Prozent aller depressiven Kinder zwischen zehn und 17 Jahren binnen eines Jahres ins Krankenhaus. Dort bleiben sie im Schnitt 39 Tage.

Nach der Entlassung fehle häufig eine ambulante therapeutische Nachsorge. Die Folge sei, dass nahezu jedes vierte psychisch kranke Kind innerhalb von zwei Jahren mehrfach stationär behandelt werden müsse.

Knapp zwei Prozent der Schüler in Deutschland haben der Studie der DAK zufolge unter ihren Versicherten eine diagnostizierte Depression (siehe nachfolgende Grafik).

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Mädchen waren laut den Kassendaten deutlich öfter wegen einer Depression in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung als Jungen.

Für die Studie werteten Wissenschaftler der Universität Bielefeld Abrechnungsdaten der Kasse der Jahre 2016 und 2017 von rund 800.000 minderjährigen Versicherten aus.

Der Chef des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Thomas Fischbach, nannte den Report wertvoll. „Wir sehen jedoch nur die Spitze des Eisbergs.“

Die Kinder- und Jugendärzte gingen von einer hohen Dunkelziffer bei psychischen Erkrankungen aus. „Es gibt sehr viele Kinder, die leiden und kommen dann erst spät zu uns in die Praxen.“ Erst wenn sie die Diagnose gestellt bekämen, tauchten sie in der Statistik auf.

Therapeuten setzen auf Richtlinie

Die Bundesvorsitzende der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV), Barbara Lubisch, betonte im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“ am Donnerstag, der Erfolg einer stationären Behandlung hänge „wesentlich von einem vernetzten multiprofessionellen Behandlungsangebot ab“.

Im kürzlich verabschiedeten Reformgesetz zur Psychotherapeutenausbildung sei die Entwicklung einer Richtlinie vorgesehen, die ein sektorenübergreifendes Behandlungsangebot für komplexe Störungen ermöglichen solle. „Ein erster Schritt ist die im Gesetz geschaffene Möglichkeit, ambulante probatorische Sitzungen künftig bereits während der stationären Behandlung anbieten zu können.“

Derzeit sei das ambulante psychotherapeutische Angebot für Kinder und Jugendliche „regional sehr unterschiedlich“, sagte Lubisch. Psychotherapeutische Praxen hätten im vertragsärztlichen System kaum Chancen, kooperative Strukturen anzubieten oder zu nutzen. Noch würden diese in der bestehenden Gebührenordnung ausreichend berücksichtigt.

Chronisch Kranke stärker betroffen

Der DAK-Report belegt zudem, dass chronische Krankheiten das Risiko für eine Depression erhöhen. „Bestimmte Schulkinder haben ein stark erhöhtes Risiko“, sagte DAK-Chef Storm. „Diese Kinder leiden oft leise, bevor sie eine passende Diagnose bekommen. Wir müssen alle aufmerksamer werden – ob in der Familie, in der Schule oder im Sportverein.“

So tragen laut Studie Kinder mit chronischen körperlichen Erkrankung ein bis zu 4,5-fach erhöhtes Depressionsrisiko. Für eine Angststörung ist das Risiko bis zu 3-fach erhöht.

Auch das familiäre Umfeld kann ein Faktor sein. Kinder seelisch kranker Eltern sind den Angaben zufolge deutlich gefährdeter, selbst eine depressive Störung zu entwickeln.

„Mit dem Kinder- und Jugendreport 2019 haben wir belastbare Analysen zur Versorgungssituation von Kindern mit psychischen Auffälligkeiten“, betonte Studienleiter Professor Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld. Die Untersuchung zeige auch, welche Leistungen junge Patienten mit psychischen Problemen zusätzlich beanspruchten.

So hätten Schulkinder mit einer Depression durchschnittlich 4,4 zusätzliche Arzttermine pro Jahr. Vor allem im späten Jugendalter bekämen sie auch regelmäßig Antidepressiva: Mehr als jedes vierte Mädchen und jeder sechste Junge im Alter zwischen 15 und 17 Jahren nimmt den Angaben zufolge ein entsprechendes Arzneimittel ein.

Angststörungen werden laut Report hingegen seltener medikamentös therapiert; nur halb so viele Jugendliche mit Angststörungen bekommen Medikamente verschrieben.

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Kommentare
Schlomann-Schmitter 24.11.201908:23 Uhr

Es werden nicht nur depressiv erkrankte Kinder und deren allein gelassen, sondern auch an einer Psychose erkrankte Kinder und deren Eltern werden im Regen stehen gelassen. Kein Wunder, wenn die Eltern - sofern sie nicht privat versichert sind - monatelang auf Termine warten müssen.

Dr. Jost 23.11.201916:19 Uhr

Den Krankenkassen ist zu danken, dass sie in Abständen auch auf das Tabu-Thema depressiver Störungen im Kindes- und Jugendalter hinweisen. Nach der jetzt vorgelegten DAK-Studie zu den rund 800000 minderjährigen Versicherten „leiden zwei Prozent der Kinder zwischen zehn und 17 Jahren an einer diagnostizierten Depression“. Berücksichtigt man Angststörungen, die häufig mit Depression einhergehen, liegt die Zahl der Betroffenen erheblich höher, ganz zu schweigen von der Dunkelziffer nicht erkannter, aber vorhandener Depressionen. Nach früheren, wiederholten Befragungen von Kindern und Jugendlichen sind annähernd 50 Prozent im Laufe ihrer Entwicklung von depressiven Störungen betroffen.
Die DAK-Studie legt dar, dass acht Prozent der als depressiv diagnostizierten Schulkinder durchschnittlich fünf Wochen klinisch behandelt werden müssen und beklagt die nicht selten notwendige erneute Hospitalisierung, auch angesichts mangelnder Nachsorge. Tatsächlich sollte eine Krankenhaus-Einweisung nur auf die Fälle sehr schwerer, häufig auch mit Suizidalität einhergehender Depression beschränkt werden, zumal der Aufenthalt in einer Psychiatrischen Klinik von den betroffenen Kindern als Stigmatisierung empfunden wird. Wir wissen, dass depressive Störungen im Kindes- und Jugendalter nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel hereinbrechen, sich vielmehr in der Regel über einen Zeitverlauf entwickeln, bei Jungen und Mädchen auch oft einen unterschiedlichen Ausdruck finden. Umso wichtiger ist Prävention, d.h. plötzliche Verhaltensänderungen der Betroffenen frühzeitig wahrzunehmen, die Zeichen einer Depression sein können. In erster Linie sind hier die Eltern in der Pflicht, am Leben ihrer Kinder Anteil zu nehmen, aufmerksam zu sein, was Kinder belastet, und das Gespräch mit ihnen zu suchen. Auch Schulen und andere Einrichtungen, die Kinder und Jugendliche besuchen, sind gefordert. Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche und deren Eltern leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Verhütung von psychischen Störungen, gerade auch angesichts der mangelhaften psychotherapeutischen Versorgung in manchen Regionen. Umso unverständlicher ist es, dass entsprechende Einrichtungen mitunter um ihr Fortbestehen kämpfen müssen, wenn staatliche Förderungen gekürzt oder ganz gestrichen werden, wie dies seinerzeit unter dem Ministerpräsidenten Koch auch in Hessen geschehen ist. Die oft geführte Diskussion, welcher finanzielle Topf, ob Jugendhilfe oder Krankenkassen, in der Versorgung und Betreuung auffälliger Kinder und Jugendlicher heranzuziehen ist, verliert leider die so wichtige Prävention aus dem Auge, die jedoch schwerwiegende Entwicklungen dieser Klientel verhindern könnte.

Dr. Klaus Jost
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