DAK-Report
Depressiv erkrankte Kinder werden allein gelassen
DAK-Gesundheit und Ärzte schlagen Alarm: In der Versorgung psychisch kranker Kinder gibt es große Lücken! Das zeige eine Auswertung der Abrechnungsdaten von rund 800.000 Kindern und Jugendlichen.
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Mädchen waren laut den Kassendaten deutlich öfter wegen einer Depression in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung als Jungen.
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Berlin. Depressiv erkrankte Kinder fallen in Deutschland noch häufig durch das Versorgungsnetz – vor allem nach einem stationären Aufenthalt.
„Wir haben offenkundige Versorgungslücken nach der Krankenhausentlassung, die wir dringend schließen müssen“, sagte der Vorstandschef der DAK-Gesundheit, Andreas Storm, bei der Vorstellung des neuen Kinder- und Jugendreports der Kasse am Donnerstag. in Berlin.
Eine Rehospitalisierungsquote von 24 Prozent sei alarmierend. Die Gesellschaft müsse offen über das „Tabuthema“ Depression bei Kindern sprechen, forderte der DAK-Chef.
Stigmatisierung belastet zusätzlich
Laut Report kommen derzeit knapp acht Prozent aller depressiven Kinder zwischen zehn und 17 Jahren binnen eines Jahres ins Krankenhaus. Dort bleiben sie im Schnitt 39 Tage.
Nach der Entlassung fehle häufig eine ambulante therapeutische Nachsorge. Die Folge sei, dass nahezu jedes vierte psychisch kranke Kind innerhalb von zwei Jahren mehrfach stationär behandelt werden müsse.
Knapp zwei Prozent der Schüler in Deutschland haben der Studie der DAK zufolge unter ihren Versicherten eine diagnostizierte Depression (siehe nachfolgende Grafik).
Mädchen waren laut den Kassendaten deutlich öfter wegen einer Depression in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung als Jungen.
Für die Studie werteten Wissenschaftler der Universität Bielefeld Abrechnungsdaten der Kasse der Jahre 2016 und 2017 von rund 800.000 minderjährigen Versicherten aus.
Der Chef des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Thomas Fischbach, nannte den Report wertvoll. „Wir sehen jedoch nur die Spitze des Eisbergs.“
Die Kinder- und Jugendärzte gingen von einer hohen Dunkelziffer bei psychischen Erkrankungen aus. „Es gibt sehr viele Kinder, die leiden und kommen dann erst spät zu uns in die Praxen.“ Erst wenn sie die Diagnose gestellt bekämen, tauchten sie in der Statistik auf.
Therapeuten setzen auf Richtlinie
Die Bundesvorsitzende der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV), Barbara Lubisch, betonte im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“ am Donnerstag, der Erfolg einer stationären Behandlung hänge „wesentlich von einem vernetzten multiprofessionellen Behandlungsangebot ab“.
Im kürzlich verabschiedeten Reformgesetz zur Psychotherapeutenausbildung sei die Entwicklung einer Richtlinie vorgesehen, die ein sektorenübergreifendes Behandlungsangebot für komplexe Störungen ermöglichen solle. „Ein erster Schritt ist die im Gesetz geschaffene Möglichkeit, ambulante probatorische Sitzungen künftig bereits während der stationären Behandlung anbieten zu können.“
Derzeit sei das ambulante psychotherapeutische Angebot für Kinder und Jugendliche „regional sehr unterschiedlich“, sagte Lubisch. Psychotherapeutische Praxen hätten im vertragsärztlichen System kaum Chancen, kooperative Strukturen anzubieten oder zu nutzen. Noch würden diese in der bestehenden Gebührenordnung ausreichend berücksichtigt.
Chronisch Kranke stärker betroffen
Der DAK-Report belegt zudem, dass chronische Krankheiten das Risiko für eine Depression erhöhen. „Bestimmte Schulkinder haben ein stark erhöhtes Risiko“, sagte DAK-Chef Storm. „Diese Kinder leiden oft leise, bevor sie eine passende Diagnose bekommen. Wir müssen alle aufmerksamer werden – ob in der Familie, in der Schule oder im Sportverein.“
So tragen laut Studie Kinder mit chronischen körperlichen Erkrankung ein bis zu 4,5-fach erhöhtes Depressionsrisiko. Für eine Angststörung ist das Risiko bis zu 3-fach erhöht.
Auch das familiäre Umfeld kann ein Faktor sein. Kinder seelisch kranker Eltern sind den Angaben zufolge deutlich gefährdeter, selbst eine depressive Störung zu entwickeln.
„Mit dem Kinder- und Jugendreport 2019 haben wir belastbare Analysen zur Versorgungssituation von Kindern mit psychischen Auffälligkeiten“, betonte Studienleiter Professor Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld. Die Untersuchung zeige auch, welche Leistungen junge Patienten mit psychischen Problemen zusätzlich beanspruchten.
So hätten Schulkinder mit einer Depression durchschnittlich 4,4 zusätzliche Arzttermine pro Jahr. Vor allem im späten Jugendalter bekämen sie auch regelmäßig Antidepressiva: Mehr als jedes vierte Mädchen und jeder sechste Junge im Alter zwischen 15 und 17 Jahren nimmt den Angaben zufolge ein entsprechendes Arzneimittel ein.
Angststörungen werden laut Report hingegen seltener medikamentös therapiert; nur halb so viele Jugendliche mit Angststörungen bekommen Medikamente verschrieben.