Wettbewerb zwischen Kassen

Der Preis allein reicht nicht

Der Wettbewerb zwischen den Kassen steckt immer noch in den Kinderschuhen. Doch für eine echte Konkurrenz um die beste, innovativste Versorgung fehlen nach Ansicht von Gesundheitsexperten die Rahmenbedingungen.

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:
Aktuell ist es vor allem der Beitragssatz, der den Unterschied zwischen den Kassen macht.

Aktuell ist es vor allem der Beitragssatz, der den Unterschied zwischen den Kassen macht.

© Bildagentur-O / DPA

BERLIN. Die Kosten senken, die Qualität der Behandlungen erhöhen und die Effizienz steigern: Das alles erhofften sich Politiker, als sie das Instrumentarium des Wettbewerbs in das Gesundheitssystem einführten.

Inzwischen - Jahrzehnte nach der Einführung der Kassenwahlfreiheit und etliche Gesetze später - ist freilich große Ernüchterung eingekehrt.

"Die anfängliche Euphorie, dass sich mit Wettbewerb alle Probleme im Gesundheitssystem lösen lassen, ist abgeflaut", sagte Professor Stefan Huster von der Ruhr-Universität Bochum auf einem wissenschaftlichen Symposion der "Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen" in Berlin.

Wettbewerb zwischen den Kassen: Momentan heißt das vor allem, dass sich die Krankenkassen nur durch Wahltarife, Satzungsleistungen und den Zusatzbeitrag voneinander unterscheiden.

Ein solcher Preiswettbewerb allein reicht nach Ansicht von Uwe Deh, geschäftsführender Vorstand des AOK Bundesverbands, allerdings nicht: "Die Kassen müssen sich unterscheiden, aber nicht nur durch die Zahl hinter der Kommastelle beim Beitrag oder durch das Logo."

Aus der Sicht der Versicherten sei Wettbewerb nur sinnvoll, wenn dadurch die Qualität und die Vielfalt der Versorgung erhöht wird.

Keine Umgebung für Investitionen

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Für den Aufbau innovativer Versorgungsformen seien Einzel- und Direktverträge die richtigen Instrumente. Deh beklagte jedoch, dass für besondere Versorgungsformen ein "investitionshinderndes Klima" herrsche.

Derzeit gebe es für Akteure, die hier investieren wollten, keine stabilen Gegebenheiten. Vorgaben des Bundesversicherungsamtes zum Beispiel zur finanziellen Ausstattung erlaubten keinen langen Atem.

Und auch der Gesundheitsfonds wurde auf dem Symposion als innovationsfeindlich ausgemacht, da er mittel- bis langfristige Investitionen nicht berücksichtige.

Deh bemängelte auch, dass es der Politik an Mut fehle, Unterschiede in den regionalen Versorgungsangeboten zuzulassen. "Jedes Mal, wenn etwas gut funktioniert, wird es in den Kollektivvertrag gekippt", sagte Deh.

Kassen, die etwas Besonderes auf die Beine stellen, sehen sich um den Ertrag ihrer Innovationsfreude gebracht. Deh regte deshalb eine Art Patent- oder Innovationsschutz für neue Versorgungsformen an.

VStG erntet Kritik - und Lob

Ob es mit dem Sozialstaatsprinzip überhaupt vereinbar ist, wenn GKV-Versicherte nicht mehr eine einheitliche Versorgung, sondern je nach Kasse und Wohnsitz unterschiedliche Behandlungsformen angeboten bekommen, wurde nur kurz gestreift.

Uwe Deh hält einen solchen Flickenteppich nicht für problematisch, "entscheidend ist doch, dass man dann allen einen diskriminierungsfreien Zugang zu den besonderen Versorgungsformen und Wahlfreiheit gibt".

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Gesundheitsausschuss, Kordula Schulz-Asche, kritisierte das Versorgungsstärkungsgesetz (VStG): Dieses führe eher zu einem Beitragswettbewerb unter den Kassen mit der Gefahr, dass auf innovative Instrumente verzichtet wird.

CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Maag, ebenfalls im Gesundheitsausschuss vertreten, lobte dagegen das VStG dafür, dass es Selektivverträgen einen Vorsprung gebe.

Für Stefan Huster ist das VStG bezeichnend für das auf dem Symposion ausgemachte "chaotische Bild", dass die Wettbewerbspolitik im Gesundheitswesen immer noch abgibt.

"Erst wurden die KVen aus den Selektivverträgen rausgenommen, jetzt wird es als großer Erfolg gefeiert, dass sie wieder drin sind. Das ist doch manchmal zum Verzweifeln."

Ein Problem, das Selektivverträge begleite, sei, dass niemand wisse, wozu man sie habe, sagte Huster. "Sind sie eine Spielwiese oder soll über sie wirklich eine alternative Medizin angeboten werden?"

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