Interview
"Der Wille hat für uns oberste Priorität"
Dr. Axel Rahmel ist Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Mit der "Ärzte Zeitung" sprach er über die Frage, wie die postmortale Organspende ihr Tief überwinden kann.
Veröffentlicht:Dr. Axel Rahmel
Dr. Axel Rahmel: Die DSO hat den Auftrag, die Spenderkrankenhäuser bestmöglich darin zu unterstützen, dass sie Organspende umsetzen können, wenn dies im Sinne des Verstorbenen ist. Unsere Hauptaufgabe ist, alles dafür zu tun, damit der Wunsch des Verstorbenen in der Frage der Organspende realisiert wird. Umfragen belegen, dass über 70 Prozent der Bevölkerung bereit wären, nach ihrem Tod Organe zu spenden. Allerdings müsste die allgemeine Öffentlichkeit besser darüber informiert werden, dass eine Patientenverfügung ohne Formulierung zur Frage der Organspende unter Umständen so interpretiert wird, als stehe sie einer Organentnahme entgegen. Denn für die Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (Hirntoddiagnostik) und anschließende Organspende ist für begrenzte Zeit eine Fortsetzung der intensivmedizinischen Behandlung notwendig.
Welchen Einfluss hat die DSO auf die Entwicklung der Organspenderzahlen?
Die DSO hat keinen direkten Einfluss. Das ist politisch so gewollt und gesetzlich festgelegt, um Interessenskonflikte zu vermeiden. Bei der Diskussion um die Novellierung des Transplantationsgesetzes 2012 ist eine Trennung der Koordinierung von Organspende – das ist unsere Aufgabe - von der Identifizierung möglicher Organspender und der Hirntoddiagnostik – das ist Aufgabe der Spenderkrankenhäuser – noch einmal bestätigt worden. Ich persönlich halte diese Trennung auch für richtig. Wir unterstützen die Kliniken organisatorisch, wir haben einen Leitfaden und Verfahrensanweisungen für die Organspende entwickelt.
Wir halten für jedes Klinikum ein maßgeschneidertes Konzept vor, inklusive Bedarfsanalyse und Schulungen für Transplantationsbeauftragte und Mitarbeiter. Die Durchführung der Hirntoddiagnostik liegt in den Händen der Kliniken, nicht in unseren, wir unterstützen hier nur durch Vermittlung von Experten, wenn die Krankenhäuser für die Diagnostik Unterstützung benötigen.
Die DSO nimmt aber auch an Gesprächen mit den Angehörigen zur Frage der Organspende teil.
Werden Koordinatoren der DSO in den Kliniken zu Angehörigengesprächen hinzugebeten, ist es ihre – auch gesetzlich festgelegte – Aufgabe, Angehörige ergebnisoffen zu informieren. Es geht nicht darum, sie zur Zustimmung zu drängen. Das wäre der falsche Weg und würde das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Transplantationsmedizin eher schwächen. Die Zustimmungsraten zur Organspende waren direkt nach Bekanntwerden der Wartelistenmanipulationen 2012 gesunken, seit einigen Jahren liegen sie auf dem früheren Niveau von circa 70 Prozent.
Dieses Vertrauen haben wir zurückgewonnen, aus meiner Sicht durch Strukturveränderungen, die mehr Transparenz herstellen und die Kontrolle der beteiligten Institutionen verbessert haben. Selbstverständlich respektieren wir, wenn sich der Verstorbene zu Lebzeiten gegen eine Organspende ausgesprochen hat oder die Angehörigen eine Organspende ablehnen. Der Anteil potenzieller Organspender, die einen Spendeausweis haben, nimmt übrigens stetig zu, er liegt laut Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung inzwischen bei 32 Prozent, das ist eine positive Entwicklung.
Was sind Hürden bei der Organspende?
Die postmortale Organspende selbst wird immer komplexer. Das Spenderalter steigt und wir sind häufiger mit Vorerkrankungen beim Spender konfrontiert. Das macht die Charakterisierung der Organe aufwendiger und es müssen zusätzliche Untersuchungen zur Empfängersicherheit durchgeführt werden. Zugleich nehmen Arbeitsverdichtung und Zeitdruck in den Kliniken zu. Eine weitere große Hürde ist, dass Ärzte bei infauster Prognose des Patienten die intensivmedizinische Therapie aufgrund von Patientenverfügungen oder dem Wunsch der Angehörigen mitunter abbrechen, ohne die Möglichkeit der Organentnahme überhaupt erwogen zu haben. Bei mehr als der Hälfte der Patienten in höheren Altersgruppen könnte deshalb schon theoretisch gar keine Diagnostik zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls erfolgen, auch wenn der Wunsch zur Organspende bestünde, denn Herz und Kreislauf funktionieren nicht mehr. In anderen Ländern, Großbritannien zum Beispiel, müssen Ärzte obligatorisch bei infauster Prognose die Frage der Organspende klären, bevor sie eine intensivmedizinische Therapie beenden.
Was könnte die DSO tun?
Wichtig wäre zu klären: Was ist überhaupt eine infauste Prognose? Wann ist der richtige Zeitpunkt in den Krankenhäusern, um an eine Organspende zu denken? Mit welchen Personen gilt es sich wann abzustimmen? Die Versorgung am Lebensende rückt in den Mittelpunkt bei der Organspende. Wir müssen ein klares Konzept entwickeln dafür, wie die Organspende-Option als fester Bestandteil in ein End-of-Life-Care-Konzept integriert werden kann. Die DSO begrüßt es daher sehr, dass die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin ein Positionspapier erstellt hat. Auch die Bundesärztekammer arbeitet derzeit an einer Novellierung der Richtlinie zur Spendererkennung.
Wieviele postmortale Organspenden wären in Deutschland aus Ihrer Sicht möglich?
Es sollte langfristig gelingen, die Organspenderzahlen um mindestens die Hälfte zu erhöhen, auf diesem Niveau waren wir schon. Trotz aller Probleme hat Deutschland in der Transplantationsmedizin international einen hohen Standard. Wir brauchen nun alle Beteiligten, dazu gehören unter anderem die Fachgesellschaften, die Vertragspartner, also die deutsche Krankenhausgesellschaft, die Bundesärztekammer und der GKV Spitzenverband, aber auch die politische Unterstützung, um die postmortale Organspende wieder auf einen guten Kurs zu bringen – das sind wir den Patienten auf den Wartelisten schuldig.
Dr. Axel Rahmel
Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation seit April 2014
Medizinischer Direktor der internationalen Organvermittlungsstelle Eurotransplant (2005 bis 2014)
Betreute als Facharzt für Kardiologie von 1997 bis 2005 an der Universitätsklinik Leipzig Patienten vor und nach der Herztransplantation
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