20 Jahre Transplantationsgesetz

Das Transplantationsgesetz und seine Folgen

Vor 20 Jahren ging das Transplantationsgesetz an den Start. Was hat sich seitdem verändert? Eine große Hoffnung zumindest hat sich nicht erfüllt: die Zunahme von postmortalen Organspenden.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:
Klassischer Organspendeausweis – eine digitale Variante wird immer wieder diskutiert.

Klassischer Organspendeausweis – eine digitale Variante wird immer wieder diskutiert.

© Petra Steuer/Joker/dpa

Das Transplantationsgesetz brachte erst einmal Unruhe. Kaum eine rechtliche Regelung in Deutschland hat so großes öffentliches Interesse hervorgerufen, so viele Kurswechsel erfordert wie das am 1. Dezember 1997 in Kraft getretene Transplantationsgesetz. Vergleichbar ist vielleicht der Paragraf 218, der den Schwangerschaftsabbruch regelt.

Maßgeblich vorangebracht hat die Gesetzgebung Horst Seehofer (CSU), ab 1992 Bundesgesundheitsminister im Kabinett von Helmut Kohl (CDU). Der Minister reagierte darauf, dass sich die Diskrepanz zwischen dem Bedarf an Organen und der Zahl postmortaler Spenden rasch vergrößerte. In emotionalen Reden vor dem Deutschen Bundestag warb er dafür, dass sich die lange bestehenden Kontroversen mit einem Gesetz beilegen ließen, das von breitem gesellschaftlichen Konsens getragen sei. "Wir brauchen in Deutschland mehr Menschen, die sich zur Organspende bereit erklären", sagte Seehofer vor dem Parlament, als er 1996 einen vielfach überarbeiteten gemeinsamen Entwurf von CDU/CSU, FDP und SPD erläuterte. "Auf Dauer können wir uns nicht auf die hohe Spendenbereitschaft in unseren Nachbarländern verlassen, ohne deren Hilfe ein großer Teil der Transplantationen gar nicht erfolgen würde", so Seehofer. Damals wie heute erhielt Deutschland mehr Organe über die Vermittlungszentrale Eurotransplant, als es in den länderübergreifenden Pool einbrachte.

Das Gesetz sollte Rechtssicherheit schaffen. Zwar erfolgten auch vor der Ära des Transplantationsgesetzes Organübertragungen nicht im juristischen Vakuum, sondern nach allgemeinen Grundsätzen und den Prinzipien des Arztrechts. Aber der Auslegungsspielraum war groß. So gab es in der allgemeinen Öffentlichkeit, aber auch unter Ärzten und Pflegepersonal Zweifel, ob der Hirntod der Tod des Menschen sei und ob und mit welchen Methoden er sich sicher diagnostizieren lasse.

Gefahr einer Kommerzialisierung

Und würden Organe gerecht verteilt oder spielten soziale Kriterien wie gesellschaftlicher Status oder die Art der Krankenversicherung eine Rolle? Immer wieder gab es Meldungen, Toten würden Gewebe wie Hirn- und Augenhornhäute oder Gehörknöchelchen ohne Zustimmung entnommen. "Das Gesetz soll der Gefahr von Kommerzialisierung und Schattenwirtschaft entgegenwirken und einen Übergang zur Normalität ermöglichen", so der Göttinger Jurist Professor Hans-Ludwig Schreiber, der am Gesetz mitwirkte.

Das deutsche Transplantationsgesetz sollte nicht nur die Solidarität der Bevölkerung mit den Menschen fördern, die ein Organ benötigten. Es sollte auch das extrem störanfällige Beziehungsgefüge des Fachgebiets befrieden: Konflikte zwischen reinen Spenderkrankenhäusern und Transplantationszentren, zwischen Transplantationszentren untereinander, zwischen Dialyseärzten und Transplantations-

chirurgen. Dieses Spannungsverhältnis in einem Bereich, in dem es häufig um Leben und Tod geht, lässt sich grundsätzlich nicht auflösen. Aber das Gesetz sollte verhindern, dass Patienten aufgrund von Interessenkonflikten ungleiche Chancen haben, ein Organ zu erhalten oder eine Transplantation nicht mit der angemessenen Qualität erfolgt und die Überlebenschancen des Organempfängers sinken.

Gegner der Pflicht zur Organspende

Der Gesetzgeber hat auf dieses Konfliktpotenzial mit einem Regelwerk geantwortet, das komplexer ist als das der meisten anderen Länder und mit der erweiterten Zustimmungslösung den Willen des Verstorbenen in den Mittelpunkt gestellt. Viele Länder haben eine Widerspruchslösung, die mit einer höheren Spenderrate assoziiert wird. "Ich bin ein Gegner einer moralischen oder gar gesetzlichen Pflicht zur Organspende", sagte Seehofer kurz nach Verabschiedung des Gesetzes zur "Ärzte Zeitung" (Ausgabe vom 3. Juli 1997). "Verordnete Solidarität ist nicht Humanität. Niemand darf in der Frage der Organspende unter gesellschaftlichen Entscheidungsdruck gestellt werden."

Weitere Eckpfeiler des Gesetzes sind die Verteilung der Organe nach den Kriterien Erfolgsaussicht und Dringlichkeit und die institutionelle und personelle Trennung von Hirntoddiagnostik, Koordinierung der Organspende, Entnahme, Verteilung und Implantation von Organen. Diese klare Trennung aller Bereiche gibt es in Ländern wie Spanien, das dreimal mehr postmortale Organspender pro Million Einwohner hat als Deutschland, nicht. "Die Trennung ist richtig. Sie schafft die nötige Transparenz, ohne die Transplantationsmedizin in Deutschland nicht denkbar ist", sagt Professor Richard Viebahn vom Knappschaftskrankenhaus in Bochum, Vorsitzender der Ethikkommission der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG). "Aber bei alle positiven Aspekten: Regulierungsdruck und drohende Überregulation in einem ohnehin bereits hoch komplexen Alltag können junge talentierte Mediziner von einem beruflichen Engagement in der Transplantationsmedizin abhalten! Der ärztliche Nachwuchs droht hier wegzubrechen."

System hat sich noch nicht erholt

Viebahn bezieht sich damit auch auf den so genannten Transplantationsskandal. Hatten sich die Zahlen der postmortalen Organspenden bis zum Jahr 2010 stetig verbessert, begannen sie nun, wieder zu sinken. Der 16. Juli 2012 gilt dabei vielen Transplantationsmedizinern als Stunde Null. Die Mitglieder der DTG erfuhren während ihrer Jahrestagung in Berlin von systematischen Verstößen gegen Regeln und Richtlinien zur Transplantation und von Manipulationen der Warteliste. Untersuchungen ergaben schwerwiegende Verstöße an einigen Zentren.

"Es war eine Zäsur in der Deutschen Transplantationsmedizin, von der sich das gesamte System noch nicht vollständig erholt hat", sagt Professor Bernhard Banas vom Universitätsklinikum Regensburg, Präsident der DTG.

Die Politik reagierte rasch. Es folgte eine Novellierung des Transplantationsgesetzes 2012 mit weiteren Regulierungen. So wurde das Mehraugenprinzips bei der Entscheidung zur Aufnahme auf die Warteliste verankert, den Prüfungs- und Überwachungskommissionen klare Kompetenzen zugewiesen und die Manipulation der Warteliste unter Strafe gestellt.

Verbessert hat sich die postmortale Organspende bisher nicht. Aus den Reihen der Ärzte kommen immer wieder Forderungen an die Politik, die erweiterte Zustimmungslösung durch die Widerspruchslösung zu ersetzen, angesichts der Organknappheit die Erfolgsaussicht stärker in den Mittelpunkt zu rücken als die Dringlichkeit und zu erwägen, ob zusätzlich zum diagnostizierten Hirntod nicht auch der Herzstillstand von wenigen Minuten ein sicheres Todeskriterium sein kann. Zur Umsetzung solcher Forderungen wären wieder Gesetzesänderungen nötig. Ob sich aber die neue Bundesregierung in absehbarer Zukunft an das Transplantationsgesetz macht, ist fraglich.

Lesen Sie dazu auch: Geschichte: Der lange Weg zum Transplantations-Gesetz Interview: Wille hat oberste Priorität bei der Organspende

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