Porträt

Der politische Vollprofi Rudolf Henke nimmt Abschied

Am 31. August ist Rudolf Henkes Amtszeit als Präsident der Ärztekammer Nordrhein zu Ende gegangen. Der politische Tausendsassa stand zudem lange an der Spitze des Marburger Bundes und saß im Bundestag und Landtag von NRW. Jetzt geht er – aber noch nicht ganz.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht: | aktualisiert:
Am 31. August endet Rudolf Henkes Amtszeit als Präsident der Ärztekammer Nordrhein (ÄKNo). Er tritt nicht mehr zur Wiederwahl an.

Rudolf Henke hatte großen Einfluss in die Berufs- und Bundespolitik. Nun tritt der Präsident der Ärztekammer Nordrhein nicht mehr zur Wiederwahl an.

© Jochen Rolfes

Das gibt es bisher selten bei Rudolf Henke: Mit drei Enkelkindern, seiner Tochter und seiner Frau war er in Aachen Minigolf spielen, danach ging es ins Café. „Das war wunderbar, das hat richtig Spaß gemacht“, berichtet er. Nun wird es mehr solcher Momente geben, denn am 31. August ist seine Amtszeit als Präsident der Ärztekammer Nordrhein (ÄKNo) zu Ende gegangen.

Henke, der im Juni 70 Jahre alt geworden ist, ist nicht mehr zur Wiederwahl angetreten. Einer der Gründe für die Entscheidung war der Wunsch, mehr Zeit für seine Familie zu haben, insbesondere für die sieben Enkelkinder. Mit ihnen kann er nachholen, was er bei seinen vier Töchtern verpasst hat. Für sie hatte er in den zurückliegenden Jahren nicht genug Zeit, weiß Henke.

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Diese Jahre waren prall gefüllt mit berufspolitischen und politischen Aufgaben. Der Internist ist seit 1981 Mitglied der ÄKNo-Kammerversammlung, seit 1988 sitzt er im Vorstand der ÄKNo. Nach dem Tod von Professor Jörg-Dietrich Hoppe wurde er am 19. November 2011 zu seinem Nachfolger an der Spitze der Kammer gewählt. Seit 1995 sitzt Henke im Vorstand der Bundesärztekammer, von 2007 bis 2019 war er Bundesvorsitzender des Marburger Bundes (MB).

Auch parteipolitisch hat Henke sich engagiert. 1995 ist er für die CDU als Abgeordneter der Stadt Aachen in den nordrhein-westfälischen Landtag gezogen. 2009 folgte dann der Wechsel nach Berlin in den Deutschen Bundestag – er hatte sich als Direktkandidat in Aachen gegen die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt von der SPD durchgesetzt. Bei der Bundestagswahl im September 2021 ist ihm der Wiedereinzug als Direktkandidat nicht gelungen.

Der Terminkalender ist immer noch voll

Die Arbeit bei der ÄKNo hielt ihn bis zum Schluss auf Trab, sein Terminkalender war auch in den letzten Wochen voll. „Noch merke ich keinen Unterschied“, sagt er. Doch, einen gibt es: Während er vor fünf Jahren für seine eigene Wiederwahl geworben und Koalitionen geschmiedet hat, verwendet er die Energie jetzt darauf, den Weg für den richtigen Nachfolger zu bereiten. Und der ist für ihn – wenig überraschend – der Spitzenkandidat des MB, Dr. Sven Dreyer. „Ich habe keinen Zweifel: Er kann das.“

Egal, wer künftig die Geschicke der ÄKNo leitet – er oder sie muss nach Überzeugung von Henke immer ein Ziel vor Augen haben: die Integration der Ärzteschaft. Sie wünsche sich die Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte.

„Mein Eindruck ist, dass sie sich nach mehr Integration, Kooperation und Gemeinsamkeit sehnen und nicht nach Polarisierung, Abgrenzung und Auseinandersetzung.“ Die meisten wollten, dass die Ärzteschaft mit einer Stimme spricht. „Das muss ein Kammerpräsident zu leisten bereit sein.“

„Menschliche Würde und die persönliche Freiheit bewahren“

Für einen Kammerpräsidenten oder eine Kammerpräsidentin ist aus seiner Sicht nicht nur der Einsatz für die Integration der Ärzteschaft eine vordringliche Aufgabe. Wichtig sei auch, dass man sich ständig den gesellschaftlichen Auftrag für das Gesundheitswesen vor Augen führen müsse.

Er sei fast identisch mit dem des ärztlichen Berufsstands: Leben retten, Gesundheit erhalten, Krankheit heilen, Leiden lindern, Sterbenden helfen. „Und bei all dem die menschliche Würde und die persönliche Freiheit bewahren.“ Es sei der Auftrag des einzelnen Arztes und der gesamten Ärzteschaft, sich um die Gesundheit der einzelnen Menschen zu kümmern und um die Gesundheit der Bevölkerung.

Und das müsse zu Bedingungen geschehen, die die Gesellschaft schultern kann. „Verschwendung darf nicht der Schlachtruf der Ärzteschaft sein.“

„Schmerzhaft zu erleben“

Das Pendant zu diesem gesellschaftlichen Auftrag der Ärzteschaft muss für Henke ein gewisser politischer Vertrauensvorschuss sein. „Man darf uns nicht mit immer komplizierteren Regularien und immer schwierigeren Abrechnungsbedingungen überfordern“, betont er.

Sorgen macht ihm, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) – obwohl selbst Arzt – den drängenden Anliegen der Ärzteschaft kaum Aufmerksamkeit schenkt. Er qualifiziere die Vertreter der Ärzteschaft als Lobbyisten ab und höre lieber auf die von ihm selbst gewählten Experten. Zwar mache er immer wieder Versprechungen wie die Ankündigung eines Bürokratieabbaugesetzes, es passiere dann aber nichts. „Das ist schmerzhaft zu erleben.“

In Nordrhein-Westfalen sei die Situation zum Glück anders, betont Henke. „Hier sind wir von Zaungästen zu zentral mitwirkenden Akteuren geworden und haben damit auch etwas erreicht“, sagt er. Das zeige das Beispiel der Krankenhausplanung. Das Verhältnis zur Landesregierung habe sich sehr positiv entwickelt, die Zusammenarbeit mit Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann sei angenehm. „Wir erfahren als Kammer viel Wertschätzung.“

Der christliche Glaube prägt ihn

Zum gesellschaftlichen Auftrag der Ärzteschaft gehört es für Henke, die Verfassung ernst zu nehmen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es dort.

Die Würde hänge nicht von einem bestimmten Verhalten, eigenen Leistungen, persönlichen Eigenschaften, der Kaufkraft oder der Bilanz der eigenen Firma ab, betont er. „Würde ist etwas, das jedem zusteht, das jeder beanspruchen kann. Man muss sich die eigene Würde nicht verdienen.“

Das bedeutet für Ärztinnen und Ärzte: „Die Ärzteschaft muss bereit sein, die Stimme zu erheben für die Schwächeren, die vielleicht ihre Stimme nicht selbst erheben können.“

Die Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen ist für Henke eine der vordringlichsten Aufgaben eines Kammerpräsidenten. Sie hat ihn als ärztlichen Standespolitiker und als Berufspolitiker umgetrieben, nicht zuletzt geprägt durch seinen christlichen Glauben.

Es sei ihm immer ein Anliegen gewesen, in den Kammerversammlungen ethische Themen zu platzieren, sagt der scheidende ÄKNo-Präsident.

Schatzmeister des Weltärztebundes

Zu den Themen, mit denen sich Ärztinnen und Ärzte mit Blick auf die Würde des Menschen und den Respekt vor dem Leben beschäftigen müssen, gehören für ihn die Abtreibung, die Pränataldiagnostik und die Suizidprävention. Bei diesen Themen habe niemand die Weisheit gepachtet. „Aber man muss sich immer wieder damit auseinandersetzen.“

Ihm ist wichtig, dass die Ärzteschaft ihre Stimme erhebt, wenn es darauf ankommt. „Das hat der Deutsche Ärztetag in Mainz gezeigt.“ Im Mai haben die Delegierten des Ärztetages ohne Gegenstimme eine Resolution für Demokratie, Pluralismus und Menschenrechte verabschiedet haben. Das Motto: „Nie wieder ist jetzt“.

Das Ringen um einen ethischen Konsens und ethische Standards der Ärztinnen und Ärzte aus aller Welt ist ein zentrales Anliegen des Weltärztebundes. Henke ist zurzeit Schatzmeister im Vorstand der Organisation. „Diese Tätigkeit würde ich gern fortsetzen“, sagt er.

Ethische Grundsätze Thema bei Generalversammlung

Bei der Generalversammlung im Oktober in Helsinki steht die Überarbeitung der Deklaration von Helsinki an, bei der es um die ethischen Grundsätze für die klinische Forschung am Menschen geht. „Die Frage ist, wie man die klinische Forschung am Menschen ethisch einwandfrei so gestalten kann, dass man sich als mitwirkender Arzt ethisch und fachlich sicher fühlt“, erläutert er.

Handlungsbedarf gebe es bei der Frage, wie man nach dem erfolgreichen Abschluss einer Studie mit den teilnehmenden Patienten umgeht. Vor zehn Jahren habe die Antwort gelautet, dass sich die Ärzte darum kümmern, den Teilnehmern weiterhin Zugang zu den erfolgreich getesteten Medikamenten zu verschaffen. „Aber das ist wohl eine Überforderung der ärztlichen Kollegen in den allermeisten Ländern“, sagt Henke.

Schwerer Abschied aus dem Bundestag

In Helsinki soll darüber diskutiert werden. Ein Vorschlag ist, die Staaten in die Pflicht zu nehmen, die ihr Einverständnis dazu gegeben haben, dass die Studien auf ihrem Territorium mit ihrer Bevölkerung stattfinden. „Ohne Mitwirkung der Staaten geht es nicht“, sagt er. An solchen Debatten würde er sich auch künftig gern beteiligen. „Ich finde die Arbeit im Weltärztebund lehrreich und würde gern weiter Zeit dafür investieren.“

Weiter engagieren möchte sich Henke auch als Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungswerke. Dafür wäre es hilfreich, wenn er eine Funktion bei der Nordrheinischen Ärzteversorgung erhalten würde. „Mal sehen, ob es da einen Weg gibt“, sagt er. „Aber das ist jetzt nicht das Wichtigste.“

Henke wird in der nächsten Kammerversammlung sitzen, er ist über die MB-Liste Aachen, Düren, Heinsberg gewählt worden. Wie genau er sich sein künftiges Wirken dort vorstellt, kann oder will der Präsident nicht sagen. Schließlich seien rund ein Drittel der Delegierten neu. „Da muss es viel Platz für Neues geben.“

„Abschied aus Bundestag war ziemlich brutal“

Während Henke das Ende an der Spitze der ÄKNo selbst eingeläutet hat und er auch nicht so ganz geht, sah das beim Ende seiner politischen Laufbahn in Berlin anders aus. „Der Abschied aus dem Bundestag war schon ziemlich brutal“, berichtet er. „Von jetzt auf gleich aus allem raus. Ich fand das ausgesprochen heftig.“

Als klar war, dass der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet nicht über ein Direktmandat der CDU in Aachen in den Bundestag einziehen wollte, wurde Henke von seiner Partei gefragt, ob er es noch einmal auf diesem Weg versuchen wollte.

„Ich lag da gerade im Krankenhaus und musste mich innerhalb von zwei Tagen entscheiden“, berichtet er. „Dann habe ich gesagt: Ja, ich mache das.“ Rückblickend sei das vielleicht keine so tolle Idee gewesen, denn er habe sich noch so sehr um die Fragen der Pandemie gekümmert, dass gar nicht genug Zeit war, den persönlichen Wahlkampf gut und zeitig genug vorzubereiten.

Henke bekam die Quittung, er unterlag dem Kandidaten der Grünen, Oliver Krischer, heute Umwelt- und Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen. „Für mich war das schwierig zu verarbeiten“, räumt er ein.

Bundestagsabgeordneter oder BÄK-Präsident?

Besonders schmerzt es ihn, dass er wegen seines politischen Engagements darauf verzichtet hatte, im Mai 2019 ins Rennen um das Amt als Präsident der Bundesärztekammer zu gehen. „Ich konnte mich nicht mit Glaubwürdigkeit bewerben, weil ich ja das Amt als Abgeordneter hatte“, sagt er.

Und dieses Amt wollte er nicht aufgeben, weil er das als Verrat an den Wählern empfunden hätte, die ihn nach Berlin geschickt hatten. „Das war eine Träumerei, die nicht ging.“

Natürlich habe er hinterher über die Frage nachgedacht, ob das die richtige Entscheidung war, sagt Henke. Denn aus der Wahl im Mai 2019 ist bekanntlich Dr. Klaus Reinhardt vom Hartmannbund als Sieger hervorgegangen.

„Dass der damalige Marburger-Bund-Vorsitzende Henke die Nachfolge in der Bundesärztekammer nicht verteidigen konnte, empfand ich als eigenen Schwachpunkt.“ Das habe nichts mit der Person von Klaus Reinhardt zu tun, macht Henke deutlich. „Ich persönlich komme gut mit ihm aus.“

Er wird die großen Debatten vermissen

Wenn Henke nicht mehr auf der großen berufspolitischen Bühne mitmischt, wird er die großen Debatten über zentrale Themen vermissen. „Ich diskutiere halt gern.“ Und er hört gern bei Diskussionen zu. „Ich habe auch Spaß an Leuten, mit denen ich nicht übereinstimme, wenn sie als Debattenredner gut sind.“

Worauf freut er sich am meisten, wenn der neue Lebensabschnitt beginnt? „Über den Zuwachs an verfügbarer Zeit und die Autonomie in der Verwendung der eigenen Zeit.“ In den vergangenen Jahren habe er viel Zeit in fremder Zuständigkeit zugebracht, es gab viele Pflichttermine.

Er hat noch einige dieser Pflichttermine, die künftig andere wahrnehmen müssen, in seinem Terminkalender stehen. „Ich freue mich auf jeden Tag, an dem ich sagen kann: Jetzt sitzt jemand anderes in der Pflicht, und ich kann mit Vergnügen machen, was ich möchte.“

„Wenn ich fit wäre wie Tom Cruise...“

Künftig hat Henke endlich Zeit, gemeinsam mit seiner Frau mehr zu reisen, Kunst und Architektur stehen auf der Liste der Interessen ganz oben. „Es kann gar nicht genug Ausstellungen, Kirchen und Theater geben, die man besuchen kann.“ Der Besuch eines Konzerts in der Hamburger Elbphilharmonie ist schon lange ein Wunsch. Und für die Enkelkinder soll ja auch genug Zeit da sein.

Ein bisschen hat Henke schon damit begonnen, sich auf die Zeit mit mehr Zeit vorzubereiten. Er hat sein Fahrrad reaktiviert. „Ich muss mich stärker um meine Fitness kümmern“, sagt er. Die nachlassende körperliche Form hat auch eine Rolle dabei gespielt, bei der Kammerwahl nicht noch einmal anzutreten. „Wenn ich fit wäre wie Tom Cruise, dann hätte ich vielleicht nicht aufgehört.“

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