Deutsche Ärzte empört über Sterbehilfe-Initiative in Holland

In den Niederlanden soll es ab März mobile Teams geben, die auf Wunsch Patienten zu Hause Sterbehilfe leisten. Deutsche Ärzte zeigen sich schockiert.

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Medikamentengabe zur Suizid-Unterstützung: Deutsche Ärzte fordern den Ausbau der Palliativmedizin statt Sterbehilfe.

Medikamentengabe zur Suizid-Unterstützung: Deutsche Ärzte fordern den Ausbau der Palliativmedizin statt Sterbehilfe.

© Becker&Bredel / imago

KÖLN (iss). In den Niederlanden will eine Vereinigung mobile Teams bereitstellen, die ambulante Sterbehilfe zu Hause leisten. Die Pläne stoßen bei Ärzten auf Kritik - auch in Deutschland.

Hinter den Plänen zur ambulanten Sterbehilfe steckt die "Niederländische Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende" in Den Haag. Sie will sechs Teams bereitstellen, die auf Wunsch im ganzen Land ambulante Sterbehilfe leisten sollen.

Jeweils ein Arzt und eine Pflegekraft sollen Patienten, bei denen die Hausärzte die nach niederländischem Recht mögliche Euthanasie verweigern, zu Hause beim Sterben helfen.

Bereits im vergangenen Jahr hatte die Vereinigung mit der Ankündigung für Furore gesorgt, 2012 eine Sterbehilfe-Klinik einrichten zu wollen. Sie soll Mitte dieses Jahres den Betrieb aufnehmen. Beide Angebote werden von der niederländischen Ärzteorganisation KNMG kritisiert.

Unverständnis bei Ärzten

Auch Ärzte in Deutschland reagieren mit Unverständnis: Gerade die Tatsache, dass die betreuenden Hausärzte die Euthanasie verweigern, unterstreiche die Fragwürdigkeit der neuen Initiative, sagt Professor Raymond Voltz, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.

"Wenn ein Hausarzt, der den Patienten gut kennt, die Sterbehilfe ablehnt und auch keinen Kollegen bittet, sie zu übernehmen, wird er seine Gründe haben."

Die geplanten ambulanten Teams werfen nach der Einschätzung von Voltz ein negatives Licht auf die gesetzlichen Vorgaben zur aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden. "Wenn diese ambulante Sterbehilfe nach den Regularien korrekt ist, dann sind die Regularien zu lasch."

Sterbehilfe darf nicht zum Mittel der Wahl gemacht werden

"Eine fürsorgliche Medizin am Lebensende ist die deutsche Alternative zur aktiven Sterbehilfe, wie sie in den Benelux-Staaten erlaubt ist", sagt der Präsident der Ärztekammer Nordrhein Rudolf Henke. Er warnt vor einem gesellschaftlichen Klima, das Sterbehilfe für Menschen, die Angst vor körperlichen Schmerzen, seelischen Nöten oder Vereinsamung haben, zum Mittel der Wahl macht.

"Es bleibt unsere tiefe Überzeugung, dass das Töten nicht zum Handwerkszeug von Ärztinnen und Ärzten gehört", sagte Henke.

Deutschland sollte eingeschlagenen Weg weitergehen

Zurzeit finde die Sterbehilfe in den Niederlanden in 80 Prozent der Fälle zu Hause statt, sagt Eugen Brysch, geschäftsführender Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung. "Mit dem neuen Modell soll der Hausarzt umgangen werden und keine Zweitmeinung mehr nötig sein", kritisiert er.

"Wir sollten den in Deutschland eingeschlagenen Weg des Ausbaus qualitativ hochwertiger Versorgungskonzepte konsequent weitergehen." Sie dürften nicht auf spezialisierte Einrichtungen beschränkt sein, fordert Brysch.

"Nicht durch eine immer besser organisierte Sterbehilfe, sondern nur durch eine kompetente Betreuung und fürsorgliche Begleitung durch Hospizbewegung und Palliativmedizin können schwerstkranken und sterbenden Menschen Angst, Schmerzen und Verzweiflung in der ihnen häufig ausweglos erscheinenden Situation genommen werden", betont auch die Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands Dr. Birgit Weihrauch.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 09.02.201215:01 Uhr

Der schmale Grat!

Wir haben Essen auf Rädern, Behindertentransporte, Taxi- Krankenbeförderung, ambulante Pflegedienste und Physiotherapeuten auf Patientenbesuch. Apotheken liefern Medikamente aus, Hausärzte machen Hausbesuche bei Patientinnen und Patienten, Rettungsdienste bewegen sich zu Wasser, zu Lande und in der Luft.

Und demnächst soll es mobile Teams zur Sterbehilfe-Initiative in den Niederlanden geben, "Sterben auf Rädern" sozusagen? Aber sind wir uns immer der engen Gratwanderung bewusst? Nicht jede schwerste Depression, nicht jeder schwerstkranke und sterbende Mensch braucht aktive, ärztlich assistierte Sterbehilfe und Suizidberatung. Existenzielle Ängste, Ausweglosigkeit, Schmerzen, Sorge, Stupor, Selbstverleugnung, Verzweiflung, Versagensängste und Vereinsamung erfordern Kommunikation, Interaktion, sozial-kompetente Betreuung und emotional-fürsorgliche Begleitung durch Angehörige, ärztliches und nichtärztliches Personal. D o r t sind in erster Linie mobile Einsatzteams mit interdisziplinärer Besetzung gefragt, die nicht Fakten schaffen, sondern nach Lösungsstrategien suchen. Den sterbenskranken Patienten dort abholen, wo er sich gerade befindet. In seiner Hoffnung auf Erlösung, seiner Leichtigkeit, seines Abschieds und seiner Vergänglichkeit. Abwarten und begleiten. Trost, Hilfe und Intervention nur dann geben, wenn es wirklich sinnvoll und notwendig ist, vom ersten bis zum letzten Atemzug des Menschen. Helfen, Heilen, Lindern, Schützen und "Loslassen".

Der titelgebende Film "Der Schmale Grat" (The Thin Red Line) verändert das Paradigma von Kriegsfilmen: Die Darstellung des Krieges verändert die Sichtweise auf den Gegner. Das Töten des Anderen an sich, unter welchen fragwürdigem Vorwänden und Heilsversprechen auch immer bleibt im Krieg wie im Frieden ambivalent. Lebens-, Tötungs- und Sterbewünsche brechen nicht einfach über die Menschen herein, sondern werden von lebendigen Menschen in die Welt gebracht.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Lutz Barth 09.02.201206:28 Uhr

"Empörung" sollte sich in Grenzen halten!

Dass sich einige (!) deutsche Ärzte – allen voran die Ärztefunktionäre - über die Sterbehilfe-Initiative in Holland empört zeigen, zeigt lediglich, dass hierzulande einige Ärztevertretern und Medizinethikern noch kein rechtes Verhältnis zum Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten entwickelt haben und im Übrigen einen Widerspruch zwischen der palliativmedizinischen resp. hospizlichen Betreuung und der Sterbehilfe beharrlich behaupten, der nicht besteht.
Das Fürsorgeprinzip schließt eine Mitwirkung des Arztes bei einer freien Suizidentscheidung eines schwersterkrankten und sterbenden Menschen so wenig aus wie das vermeintliche Grundgesetz der ärztlichen Sittlichkeit, namentlich das Arztethos.

Aufgeklärte Mediziner und Verfassungsrechtler müssen sich vielmehr über die Ignoranz so mancher Ärztefunktionäre und Berufsethiker schockiert zeigen, die trotz eines jahrzehntelangen Diskurses über das selbstbestimmte Sterben schlicht den ethischen Grundstandard unserer Grundgesetzes leugnen, zu dem im Übrigen auch das Grundrecht der Gewissensfreiheit der Ärztinnen und Ärzte zählen dürfte, dass rein vorsorglich durch den letzten Deutschen Ärztetag schon mal versenkt worden ist, nachdem auch in Deutschland mehr als ein Drittel der Ärzteschaft für eine Liberalisierung der Sterbehilfe plädiert.
Dass auch in den europäischen Nachbarländern nicht jeder Hausarzt eine Mitwirkung bei einem frei verantwortlichen Suizid eines schwersterkrankten und sterbenden Menschen mit seinem Gewissen vereinbaren kann, ist nachvollziehbar und hierzulande gründet dieses Recht zuvörderst in Art. 4 GG. Dies wird die Gesellschaft aber auch die Patientinnen und Patienten zu akzeptieren haben, da das Selbstbestimmungsrecht nicht zur Fremdbestimmung führt!

Sofern nun allerdings der Eindruck entsteht, als reisen künftig mobile Sterbehilfe-Teams durch die Lande, die im Übrigen das auch in Holland notwendige Prozedere entbehrlich machen, ist darauf hinzuweisen, dass dies nicht der Fall ist. Es wird mit dieser Initiative insbesondere dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht jede Ärztin oder Arzt bei einem Suizid mitwirkt und gleichwohl es im Interesse des freien und mündigen Patienten liegt, ggf. seinen letzten Willen verwirklicht zu sehen und zwar auch im Wege der ambulanten Sterbehilfe, die dann in häuslicher Umgebung im Kreise der Familie erfolgen kann.

Eine fürsorgliche Medizin am Lebensende ist lediglich eine Alternative zur aktiven Sterbehilfe, die allerdings nach dem deutschen Verständnis Gefahr läuft, das Selbstbestimmungsrecht der Schwersterkrankten und Sterbenden zu marginalisieren; ein Umstand, der in erster Linie Empörung auslösen muss und nicht das Bestreben von Sterbehilfe-Aktivisten, ggf. den von einer Gewissensentscheidung geplagten Arztes zu entlasten.

Dipl.-Psych. Ingrid Weitzel 08.02.201222:18 Uhr

Versorgung Schwerstkranker und Sterbender

"Nicht durch eine immer besser organisierte Sterbehilfe, sondern nur durch eine kompetente Betreuung und fürsorgliche Begleitung durch Hospizbewegung und Palliativmedizin können schwerstkranken und sterbenden Menschen Angst, Schmerzen und Verzweiflung in der ihnen häufig ausweglos erscheinenden Situation genommen werden", betont auch die Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands Dr. Birgit Weihrauch.

Dem kann man nur zustimmen!! Doch ist die oben genannte "kompetente Betreuung und fürsorgliche Begleitung" in ausreichendem Maße gegeben? Ich fürchte NEIN - und deshalb sollte auch über andere Möglichkeiten weiterhin diskutiert werden dürfen.

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