Barmer Arzneimittelreport
Deutschland ist Ausgaben-Weltmeister bei Zytostatika
Die Ausgaben für onkologische Arzneimittel in der ambulanten Versorgung sind seit dem Jahr 2011 massiv gestiegen und übertreffen deutlich die Kostensteigerungen aller anderen Arzneimittel ohne Rezepturen. Das geht aus dem Barmer-Arzneimittelreport 2017 hervor.
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Die Ausgaben für ambulant verordnete Onkologika sind seit dem Jahr 2011 um 41 Prozent gestiegen, wie aus dem Arzenimittelreport 2017 der Barmer hervorgeht.
© Mathias Ernert, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen, Heidelberg
BERLIN. Dem heute in Berlin vorgestellten Arzneimittelreport der Barmer zufolge sind die Ausgaben für ambulant verordnete Onkologika seit dem Jahr 2011 um 41 Prozent gestiegen. Im Vergleich dazu nahmen die Kosten aller anderen Arzneimittel ohne Rezepturen um 20 Prozent zu. Fünf der zehn Arzneimittel mit der aktuell größten Umsatzsteigerung dienen der Behandlung von Tumorerkrankungen.
Bei den Kosten von 31 einschlägigen Medikamenten in Europa, Australien und Neuseeland ist Deutschland international führend, wie aus dem Arzneimittelreport weiter hervorgeht. Bei 90 Prozent der Mittel lägen die Preise in Deutschland über dem internationalen Mittelwert. Acht der Arzneimittel kosten demnach hierzulande sogar am meisten.
Dieser Trend lasse sich nicht durch eine größere Anzahl an betroffenen Patienten erklären, denn darauf entfielen seit dem Jahr 2011 lediglich acht Prozent der Kostensteigerung, so die Barmer in einer Mitteilung.
Die Kritik der Krankenkasse richtet sich gegen die Hersteller und ihre Preispolitik: Ziel der Pharmahersteller sei der maximale Umsatz. Aber: Auch bei onkologischen Arzneimitteln seien faire Preise wichtig, so Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. Auch der Trend zu Orphan-Drug-Zulassungen, für die es geringere Anforderungen an klinische Studien gebe, wird von der Kasse mit Skepsis betrachtet. Das Problem ist nicht, dass es Kostensteigerungen gibt, sondern das Ausmaß der Steigerungen", sagte Straub bei der Vorstellung des Reports . "Wir brauchen eine faire Diskussion über Kosten und Nutzen der onkologischen Präparate."
Studien für mehr Evidenzgewinn
Straub möchte den Einsatz innovativer Krebspräparate an stationäre oder ambulante Zentren binden, und alle Patienten, die mit diesen Medikamenten behandelt werden, in Studien einschließen, um mehr Evidenz über den Nutzen zu gewinnen. Zugleich fordert der Barmer-Chef, dass die frühe Nutzenbewertung um eine späte Kosten-Nutzen-Bewertung ergänzt wird, die auch Orphan Drugs einschließt.
Einen Seitenhieb bekamen bei der Vorstellung des Arzneimittelreports auch die Apotheken ab. Die Restmengen, die bei der Herstellung von Zytostatika-Rezepturen in der Offizin anfielen, seien zu hoch. Verantwortlich für diese Verwürfe sind nach Angaben der Kasse zwei Faktoren: "Offenbar versuchen einzelne Pharmafirmen über Verwürfe ihren Gewinn zu maximieren, indem sie praxistaugliche Packungsgrößen mit Einzeldosierungen vom Markt nehmen und durch größere Packungen ersetzen. Auch die tatsächliche Haltbarkeit angebrochener onkologischer Arzneimittelstammlösungen scheint verschwiegen zu werden", so Straub. Allein 2015 habe die Barmer zehn Millionen Euro für ungenutzt weggeworfene Arzneimittel ausgeben müssen.
Sinnvolle Packungsgrößen fehlen
Beispiel Bortezumib: Durchschnittlich benötigt ein Patient nach Angaben von Professor Daniel Grandt vom Klinikum Saarbrücken, Mitherausgeber des Barmer Arzneimittelreports, eine Dosis von 2,2 Milligramm des Wirkstoffs. Die einzige Dosisstärke, die noch auf dem Markt sei, nachdem der Hersteller eine Dosisstärke von 1,0 mg vor fünf Jahren vom Markt genommen habe, beträgt nach Grandts Angaben aber 3,5 mg. Auch die Haltbarkeit sei in mehreren Studien mit zwei bis drei Wochen deutlich länger festgestellt worden als vom Hersteller mit acht Stunden angegeben. Grandt und Straub fordern deshalb, dass bei der Zulassung sinnvolle Packungsgrößen und Studien zur Haltbarkeit angebrochener Lösungen vorgeschrieben werden. (run/ami)