Interview mit Angstforscher Borwin Bandelow

„Die Angst vor dem Coronavirus ist weit überzogen“

Der Göttinger Angstforscher und Psychiater Prof. Dr. Borwin Bandelow meint, die Angst vor dem Virus macht es größer, als es ist. Ärzte sollten aus ihrer Kompetenz heraus Sicherheit ausstrahlen.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Prof. Dr. Borwin Bandelow

Prof. Dr. Borwin Bandelow

© Privat

Ärzte Zeitung: Herr Professor Bandelow, wie viel an der Corona-Krise ist Angst und wie viel ist Corona?

Prof. Dr. Borwin Bandelow: Das ist in Prozentzahlen schwer zu sagen. Ich glaube aber, die Angst vor dem Virus und seiner Ausbreitung ist weit überzogen. Ich will die Krankheit nicht verharmlosen, es sterben ja auch Menschen daran. Aber mit dem Corona-Virus ist es aus meiner Sicht wie immer: Die Menschen bekommen Angst, weil sie einer neuen, großen und unbeherrschbaren Gefahr gegenüberstehen. Davor haben Menschen mehr Angst als vor bekannten Gefahren. Wir wissen zum Beispiel, dass jährlich 15.000 Menschen durch Krankenhauskeime sterben und 9000 durch Haushaltsunfälle und 25.000 starben 2017 durch die Grippe – ohne dass Panik ausgebrochen wäre.

Aber die drohende Überforderung des Gesundheitssystems ist ja real, wenn man die Zahlen des RKI hört. Kein Grund für Befürchtungen?

Es geht darum, wie diese Zahlen eingeordnet werden. So haben wir Menschen ein entwicklungsgeschichtlich relativ junges Frontalhirn, das Fakten ordnet und verarbeitet. Und wir haben ein Angsthirn im Hirnstamm, das entwicklungsgeschichtlich sehr alt ist. Wenn nun eine neue Gefahr auftritt, wie das Corona-Virus, dann kann das Angsthirn nichts damit anfangen, wenn ihm das Frontalhirn vorrechnet, dass die Wahrscheinlichkeit, an einer Corona-Infektion zu sterben, doch sehr gering ist. Darum reagiert das Angsthirn instinktiv mit Angst und Flucht.

Warum vertrauen Menschen mehr ihrem Hirnstamm als ihrer nüchternen Vernunft?

Die Entscheidungen des Hirnstamms orientieren sich immer schon am Überleben. Und das Überleben geht vor. So gesehen sind Menschen wie Tiere. Auch sie reagieren auf die Entscheidungen des Hirnstamms. Das Abwägen von Fakten kennt das Angstsystem nicht. Für den Instinkt geht es sofort um Leben und Tod.

Das ist ja im Hinblick auf den Umgang mit der Corona-Krise eine ernüchternde Aussage: Die Echse in uns hat das Ruder übernommen. Da verpuffen natürlich die Appelle an die Vernunft, zum Beispiel Hamsterkäufe zu unterlassen.

Das stimmt. Die Vernunft einer Frau Merkel kommt im Frontalhirn an, dringt aber meist nicht durch zum Hirnstamm der Fernsehzuschauer.

Haben die Deutschen mit ihrer „German Angst“ größere Befürchtungen als die Menschen anderer Nationen?

Menschen im Norden haben generell mehr Angst, vielleicht kommt das daher, dass man früher in den harten Wintern vorausschauend denken und Nahrungsmittel hamstern musste. Die ängstlichen Bedenkenträger haben dies getan und überlebt, während die Sorglosen im Norden ausstarben. Wir sind die Nachfahren der Ängstlichen von damals; da Ängste sich vererben, haben wir heute noch das Hamster-Gen. Was auch das unvernünftige Horten von Lebensmitteln erklärt.

Was tun gegen die Angst vor Corona?

Tja, das ist schwierig. Aus meiner Erfahrung mit Phobikern weiß ich aber, dass sich Möglichkeiten eröffnen. Nehmen Sie das Beispiel die Spinnenphobie. Auch wer Spinnen fürchtet, weiß, dass es hierzulande keine giftigen Spinnen gibt. Aber es ist seit Jahrtausenden gespeichert, dass es einmal giftige Spinnen gab. Deshalb werden Spinnen generell als gefährlich wahrgenommen. So haben auch viele Deutsche Angst vor Spinnen, unnötigerweise. Das Einzige, was dagegen hilft, ist die Konfrontationstherapie: Sich sozusagen die Spinne auf den Arm zu setzen – und zu erleben, dass gar nichts Gefährliches passiert.

Wie sähe denn eine solche Konfrontationstherapie für Corona-Phobiker aus?

Eine Konfrontationstherapie wäre sicher nicht angebracht. Die Angst einfach wegzuatmen oder autogenes Training, das klappt natürlich nicht. Aber ich weiß: Wenige Wochen, nachdem eine Krise ihren Höhepunkt erreicht hat, stellt sich in der Regel eine allgemeine Beruhigung ein. In den Medien wird weniger über die Krise berichtet. Die Menschen nehmen die Bedrohung dann gelassener. Und damit schwindet auch die Panik. Bis dahin wäre ein gesunder Fatalismus das Beste: Ich bin immer gut durchgekommen, ich werden auch jetzt gut durchkommen. Das hilft gegen die Angst – auch wenn es nur ein Mantra ist. Wir werden auch Corona überstehen.

Was können Ärzte ihren verunsicherten Patienten sagen?

Auch die Ärzte sollen die Kirche im Dorf lassen und Sicherheit ausstrahlen. Sie dürfen ja ihre Patienten nicht zusätzlich verunsichern, selbst dann nicht, wenn sie selber Angst haben, sich anzustecken. Dabei können sie die Krankheit und den Umgang damit besser abschätzen und mit diesen Kenntnissen ihre Patienten beruhigen.

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