Kommentar

Die Mär von der Kostenexplosion

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

Wenn Reformen von umlagefinanzierten Sozialversicherungen anstehen, haben Niedergangsszenarien Hochkonjunktur. Zu den häufig gepflegten Mythen gehört die Mär von der Kostenexplosion: Die Gesundheitskosten steigen im Alter, ein höherer Anteil älterer Menschen lässt die Krankheitskosten nach oben schießen. Bluten muss danach die immer kleiner werdende Zahl Berufstätiger.

Vor diesem Hintergrund ist die Botschaft einer Analyse des Statistischen Bundesamts von Bedeutung. Sie zeigt am Beispiel der Behandlungskosten im Krankenhaus, dass es ein Fehler ist, von steigender Morbidität auf explodierende Kosten kurzzuschließen.

Damit stützt die Untersuchung frühere Befunde, nach denen der demografische Effekt auf den Anstieg der Gesundheitskosten verhältnismäßig gering ist.

Statt Katastrophenszenarien zu pflegen, ist es sinnvoll, die Wechselwirkungen zwischen demografischem und gesellschaftlichem Wandel in den Blick zu nehmen. Damit wird nicht mehr das Fatum, dass eine Gesellschaft altert, sondern wie wir älter werden wollen, zum Gegenstand politischer Gestaltung.

Wer dabei Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Gesundheitspolitik zusammendenkt, ist auf dem richtigen Weg.

Lesen Sie dazu auch: Methusalem ruiniert die Sozialkassen nicht

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Dr. Thomas Georg Schätzler 01.09.201113:36 Uhr

Studie dementiert "Kostenexplosion"

Die Studie des Lehrstuhls Gesundheitswissenschaften/Public Health der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus in Dresden in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Jena dementiert eine Ausgabenexplosion im Gesundheitswesen. T. Hoffmann, J. Kugler und M. Hartmann analysieren in einem internationalen Vergleich die Dimension der Kostensteigerung im deutschen Gesundheitssystem im Allgemeinen und im Besonderen den Arzneimittelbereich. Die Ausgabensteigerungen des deutschen Gesundheitssystems bewegen sich danach im Mittel aller sogenannten G7-Länder.

http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/medizinische_fakultaet/news/news-20110815-kostengesundheit

Ausführliche Darstellung der Ergebnisse in der aktuellen Zeitschrift "Gesundheitsökonomie und Qualitätsmanagement".

Nicht mal bei Arzneimitteln kann von "Ausgabenexplosionen" die Rede sein. Auch wenn dieses expansive Idiom von gesundheitsökonomischen Laienschauspielern, die sich als Experten gerieren, immer wieder gerne bemüht wird. Die durch medizinischen und technischen Fortschritt, demografische bzw. bio-psycho-soziale Entwicklungen und erhöhte Anspruchshaltungen bedingten Kostensteigerungen im deutschen Gesundheitssystem (GKV) liegen über die Jahre im üblichen europäischen Durchschnitt.

Von den Autoren wird auf Defizite im Finanzierungsmodell verwiesen. Man denke nur an die in der GKV kostenfrei versicherten Familienmitglieder, die Niedrigsätze für Sozialhilfe-, ALG-II-, Niedriglohn- und Kleinstrentenempfänger, welche durch den Bundeszuschuss von über 15 Mrd. € jährlich, aus Steuergeldern generiert, unzureichend abgebildet werden.

Verwunderlich bleibt, warum auch in dieser Studie die Arzneimittelversorgung, die -preispolitik und das IQWiG wieder einmal im Zentrum stehen. Die in der GKV verordneten Arzneimittel machen gerade mal 14,5 Prozent des gesamten GKV-Budgets von 180 Mrd. Euro jährlich aus. Die Apotheken-Betriebskosten 2,5 %. Warum sich Gesundheitswissenschaftler mit den restlichen 83 GKV-Prozent seltener beschäftigen, bleibt ein Rätsel. Politik, Medien und GKV-Kassen dreschen besonders gerne auf alle Niedergelassenen ein, die gerade mal 19 Prozent des GKV-Gesamtvolumens beanspruchen.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund


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