In Frankreich und Deutschland
Diskussion über Homöopathie auf Kassenkosten
Viele Franzosen nehmen Homöopathika. Aber das höchste Gremium im französischen Gesundheitswesen empfiehlt, diese aus der Kostenerstattung der Krankenversicherung zu streichen – dagegen gibt es erheblichen Widerstand. Die Diskussion in Frankreich befeuert die Debatte in Deutschland.
Veröffentlicht:PARIS. Am 28. Juni hat der höchste Sachverständigenrat im französischen Gesundheitswesen, die „Haute Autorité de Santé“ (HAS), empfohlen, homöopathische Arzneien aus der Rückerstattungsliste der Krankenversicherung zu streichen. Jetzt soll Gesundheitsministerin Dr. Agnès Buzyn, selbst Ärztin, entscheiden, ob und wann sie diesem Vorschlag folgen wird.
In Frankreich übernimmt die Krankenversicherung 30 Prozent der Kosten für homöopathische Arzneimittel, wenn diese vom Arzt verschrieben werden. Der Rest kann von privaten Zusatzversicherungen übernommen werden, wenn Patienten über eine entsprechende Police verfügen.
Für die Verordnungen homöopathischer Arzneimittel hat die französische Krankenversicherung im vergangenen Jahr 126, 8 Millionen Euro ausgegeben. Das waren 0,6 Prozent der Gesamtausgaben für Arzneimittel, die sich 2018 auf 20 Milliarden Euro summierten.
Hersteller protestieren
Obwohl mehr als 70 Prozent der Franzosen Homöopathie positiv beurteilen, ist sie in der Ärzteschaft der Grande Nation sehr umstritten. Nur jeder dritte französische Arzt glaubt an die Wirkung dieser Mittel. Andererseits arbeiten knapp 5000 praktische Ärzte hauptsächlich als Homöopathen. Heilpraktiker gibt es in Frankreich nicht.
Wie in vielen anderen Ländern steht auch in Frankreich Homöopathie seit zwei Jahren unter besonderer Beobachtung, nachdem europäische Wissenschaftsakademien (European Academies Science Advisory Council) sie gemeinsam als wirkungslos beurteilt haben.
Darüber hinaus haben im März dieses Jahres rund 130 prominente französische Ärzte in einem offenen Brief Homöopathie als „Magie und Pfuscherei“ bezeichnet.
Wenig später wurde die HAS von Gesundheitsministerin Buzyn beauftragt, mehr als 1000 internationale Studien zusammenzufassen, um die Wirkungen der Homöopathie besser zu prüfen. Die HAS kam zu einem ernüchternden Ergebnis.
Ihr Rat lautet deshalb: Die Krankenversicherung habe keinen Grund mehr, eine Therapie zu bezahlen, dessen Effizienz nicht bewiesen sei. Jetzt ist Buzyn am Zug. In der Vergangenheit ist das Gesundheitsministerium fast immer den Empfehlungen der HAS gefolgt.
Homöopathie-Anhänger wehren sich
Die Anhänger der Homöopathie allerdings wehren sich gegen den möglichen Wegfall der Kostenübernahme. Sie erinnern daran, dass 52 Prozent der Franzosen schon einmal homöopathische Mittel eingenommen haben. 20 Prozent benutzen sie regelmäßig. Entfällt die Kostenübernahme, würden sie entweder selbst viel mehr für die Homöopathika bezahlen müssen, oder auf andere Arzneien zurückgreifen, die nicht selten teurer sein könnten.
Besonders stark protestieren die zwei großen Hersteller Boiron und Weleda gegen die erwartete Entscheidung. Sie versuchen, Patienten auf ihre Seite zu bringen und warnen vor dramatischen wirtschaftlichen Folgen für ihre Branche und die daran hängenden Arbeitsplätze. Derzeit haben mehr als eine Million Patienten eine Petition unterschrieben.
Ende Juni gab es zwei Demonstrationen in Paris und Lyon, an denen allerdings nur knapp 500 Personen teilgenommen haben, unter ihnen viele Mitarbeiter der Firma Boiron.
Politiker, unter anderem der Präsident der Region Rhône-Alpes und der Bürgermeister von Lyon, wo Boiron seinen Sitz hat, haben vor negativen wirtschaftlichen Folgen, sowie vor politischen Konsequenzen der Streichung gewarnt.
Trotzdem will Agnès Buzyn hart bleiben und versprach noch am 2. Juli, in den kommenden Tagen eine Entscheidung bekannt zu geben. Gegner der Homöopathie mahnen, dass die Ministerin ihr Gesicht verlieren werde, wenn sie aus reinen politischen Gründen den Empfehlungen der HAS nicht folgen werde.
Gesundheitsbehörden betonen, dass ein Verbot der Homöopathie auf keinen Fall geplant ist: Patienten, die es wünschen, werden weiterhin alle notwendigen homöopathischen Mittel in ihren Apotheken finden. Allerdings müssten sie dann die Kosten selbst tragen. Nach Medienberichten ist dieses Thema für die Franzosen so wichtig, dass Präsident Emmanuel Macron selbst die Entscheidung treffen wolle, ob es bei der Kostenerstattung für homöopathische Arzneimittel bleibt oder nicht.
Lauterbach nutzt Vorlage aus Frankreich
Die Diskussion in Frankreich hat auch hierzulande die Debatte befeuert. So will der SPD-Fraktionsvize im Deutschen Bundestag Professor Karl Lauterbach den gesetzlichen Krankenkassen die Kostenerstattung von Homöopathie verbieten. „Wir müssen in der Groko darüber reden“, sagte er dem Berliner „Tagesspiegel“.
Auch freiwillige Satzungsleistungen der Krankenkassen sollten wirtschaftlich und medizinisch sinnvoll sein. „Im Sinne der Vernunft und der Aufklärung sowie des Patientenschutzes ist es auch in Deutschland falsch, dass Kassen aus Marketinggründen Homöopathie bezahlen“, erklärte Lauterbach auf Twitter.
Unterstützung für Lauterbachs Haltung kommt vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Behandlungsmethoden ohne klaren Beleg für Wirksamkeit und Nutzen sollten „nicht noch dadurch geadelt werden, dass sie von Kassen als Satzungsleistungen bezahlt werden“, sagte der unparteiische GBA-Vorsitzende Professor Josef Hecken.
Kritik an dieser Haltung kommt dagegen aus der Union. Deren gesundheitspolitische Sprecherin Karin Maag findet es falsch, die freiwilligen Leistungen der Versicherer zu beschränken. „Wir führen keinen Kreuzzug gegen Heilpraktiker und Naturheilverfahren“, sagt sie. Sie halte es für richtig, die Entscheidungsfreiheit der Patienten zu wahren. (mit Material von dpa)