Wahl in Thüringen

Ein Land sieht Rot

Am Sonntag wird in Thüringen gewählt. Erstmals könnte in Bodo Ramelow ein Politiker der Linkspartei ein Bundesland regieren. Das Zünglein an der Waage wird die SPD sein.

Von Robert Büssow Veröffentlicht:
Könnte erster Ministerpräsident von der Linkspartei werden: Bodo Ramelow wird um die Gunst der SPD werden müssen.

Könnte erster Ministerpräsident von der Linkspartei werden: Bodo Ramelow wird um die Gunst der SPD werden müssen.

© Schutt/dpa

ERFURT. Von allen drei ostdeutschen Bundesländern, in denen in diesem Jahr ein neuer Landtag gewählt wird, bekommt ausgerechnet das kleine Thüringen die größte bundesweite Beachtung.

Denn am 14. September könnte erstmals ein Spitzenkandidat der Linkspartei ausreichend Stimmen zusammenbekommen, um Ministerpräsident zu werden. Nach aktuellen Umfragen sieht es nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen rot-rot-grünem Bündnis und der Fortsetzung der großen Koalition aus.

Das ist freilich nicht ganz neu: Die Thüringer erleben derzeit ein Déjà-vu zu 2009. Nach dem Ski-Unfall von Ministerpräsident Dieter Althaus hatte die CDU ihre Alleinherrschaft eingebüßt und rutschte auf 31 Prozent ab.

Das innerparteiliche Chaos nutzte die damalige Gesundheitsministerin Christine Lieberknecht (CDU), übernahm die Zügel und schmiedete ein Bündnis mit der SPD.

Die evangelische Pastorin verstand sich gut mit SPD-Parteichef Christoph Matschie. Dass er sich nicht auf ein - schon damals mögliches - Bündnis mit Linkspartei und Grünen einließ, scheiterte vor allem an der persönlichen Antipathie zu Linke-Spitzenkandidat Bodo Ramelow.

Auch bei dieser Wahl wird die SPD der Königsmacher sein. Mit dem Unterschied, dass nicht Matschie, sondern Gesundheitsmininisterin Heike Taubert den Wahlkampf anführt. Sie gilt als pragmatisch und schließt weder ein Bündnis mit CDU noch Linkspartei aus.

Man dürfe keine Berührungsängste haben, sagt sie gern über die Linke, die in Thüringen so stark ist wie in keinem anderen Bundesland.

Selbst die bisher unvorstellbare Bedingung, Ramelow als Ministerpräsidenten zu tragen, ist kein Tabu mehr in der SPD. Doch dazu will Taubert nach der Wahl lieber die Mitglieder befragen - ein verbindliches Votum soll es allerdings nicht sein.

Wer steht in der Gunst der SPD?

Dass Ramelow kein rotes Tuch ist, hat mehrere Gründe: Erstens ist der 58-Jährige gebürtiger Niedersachse (und hat somit keine Stasi-Vergangenheit), zweitens bekennender Christ (und damit in der eigenen Partei ein ziemlicher Exot), und er gilt als gemäßigter Linker.

Da die Linkspartei seit mehreren Umfragen stabil bei etwa 26 Prozent liegt und damit weit vor der SPD mit maximal 19 Prozent, hat Ramelow berechtigte Ansprüche auf den Posten als Regierungschef.

Nicht zuletzt strebt die Thüringer Linkspartei so ziel- und machtbewusst wie nie zuvor in die Regierungsverantwortung, dass ein gewaltiges Geschacher erwartet wird: CDU und Linke werden sich darin überbieten, die SPD auf ihre Seite zu ziehen. Womöglich verzichtet Ramelow sogar am Ende auf den Spitzenplatz.

Der Thüringer CDU droht damit nach 24 Jahren erstmals die Oppositionsbank. Christine Lieberknecht steht nach skandalreichen Monaten nicht viel besser da als im Katastrophenjahr 2009. Dabei kann sich die Bilanz der schwarz-roten Koalition durchaus sehen lassen.

Rund neunzig Prozent des Regierungsprogramms sind abgearbeitet. Selbst das Neonazi-Trio NSU, das seit drei Jahren nicht nur in Thüringen für Unruhe sorgt, konnte das Bündnis nicht aus der Bahn werfen.

Dauerthema Demografie

Gesundheitspolitische Themen haben die Landespolitik eher peripher beschäftigt - wenngleich die demografische Entwicklung und der drohende Ärztemangel ein alles überlagerndes Dauerthema gewesen sind.

Sozial- und Gesundheitsministerin Heike Taubert (SPD) galt lange als fleißige, aber eher unauffällige Ministerin, weshalb ihr größtes Problem im Wahlkampf momentan die ausbaufähige Bekanntheit ist. Als Spitzenkandidatin der SPD bringt sie soziale Themen zwar stärker in den Vordergrund als ihre Konkurrenten, doch sie weiß, dass dies keine Gewinnerthemen sind.

Besonders großen Knatsch gab es mit den Krankenhäusern, denen sie Anfang des Jahres ein neues Gesetz bastelte. Im Kern geht es um die Einführung von Qualitätskriterien, insbesondere in kleinen Fachabteilungen. Die konkrete Ausgestaltung mittels Richtlinie steht allerdings noch aus - und wird Aufgabe der nächsten Landesregierung.

Außerdem weiß Taubert: Gesundheitspolitik wird in Berlin gemacht und bis die eigenen Landesprogramme gegen den Ärztemangel wirken, dauert es eine Weile.

Untätig war sie nicht. Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung, mit der sie seit dem Führungswechsel von Regina Feldmann auf Annette Rommel ein entspannteres Verhältnis pflegt, hat sie beispielsweise im Juli einen Landarzt-Bonus eingeführt: Wer sich in kleineren Gemeinden niederlässt, erhält 20  000 Euro Zuschuss.

Andere Initiativen gehen allerdings noch auf ihre Amtsvorgängerin Lieberknecht zurück, etwa die Stiftung zur Förderung der ambulanten Versorgung. Sie vergibt an Medizinstudenten ein Thüringen-Stipendium. Oder auch der Lehrstuhl für Allgemeinmedizin in Jena.

Ziemlich still ist es hingegen um das beim Sozialministerium angedockte "Netzwerk Ärzte für Thüringen" geworden, das innovative Konzepte entwickeln sollte. Weil das vielköpfige Gremium keinen Konsens findet, haben KV, Kliniken und Kassen kürzlich selbst ein paar Vorschläge herausgefiltert und als Wahlprüfsteine für die nächste Regierung gesetzt.

Im Kern fordern sie die Einrichtung zusätzlicher Weiterbildungsplätze an den Kliniken. Bisher hat noch keine Partei darauf reagiert. Auch ihre Wahlprogramme sehen derartig kostspielige Initiativen nicht vor:

CDU: "Landarzt-Offensive" und ein "Arztbus"

Als Partei des ländlichen Raums, so das Selbstverständnis, verspricht die CDU in ihrem Wahlprogramm eine Offensive zur besseren Versorgung in der Fläche. "Neue mobile Angebote wie dezentrale Sprechstunden" von Fachärzten und Apotheken sowie ein Modellprojekt "Arztbus" sind im Grunde allerdings die einzigen konkret benannten Vorschläge. Diese Busse sollen Patienten zu Praxen, Apotheken und MVZs befördern. Modelle zur Delegation (Verah) sollen weiter ausgebaut werden.

SPD: Mehr Geld für den Öffentlichen Gesundheitsdienst

Nach fünf JahrenLeitung des Gesundheitsressort ist man auf dem richtigen Weg. Klar wird auf die Zuständigkeiten hingewiesen: KV macht ambulante Versorgung, das Land die Krankenhäuser. Man werde der KV bei drohenden Versorgungslücken helfen, zum Beispiel finanziell, oder durch eine Werbekampagne bei Medizinstudenten. Der ÖGD soll attraktiver werden, die Kliniken will die SPD auf Qualitätsstandards festlegen.

Die Linke: Rückkehr zum Landambulatorium

Als einzige Partei will die Linke sich für eine geschlechterspezifische Forschung, Diagnostik und Therapie einsetzen. Gegen den Ärztemangel soll ein DDR-Reimport helfen: das Landambulatorium. In bereit gestellten Räumen arbeiten Haus- und Fachärzte, Apotheken, Physiotherapeuten und Pflegedienste unter einem Dach zusammen. Ärzte können auch angestellt werden. Zu erreichen ist die Einrichtung per Patienten-Shuttle.

FDP: Allgemeinmedizin im Studium stärken

Ambulant vor stationär - lautet die Devise der FDP, die mit unter fünf Prozent in den Umfragen rangiert und auf Plakaten selbstironisch schreibt "Wir sind dann mal weg". Trotzdem ist ihr Gesundheitskapitel das längste von allen. Die Allgemeinmedizin im Studium soll gestärkt werden, mehr Studienplätze und Planungssicherheit für Kliniken. Für den Rettungsdienst soll es eine Standardausrüstung mit Reanimationsautomaten geben.

Bündnis 90 / Die Grünen: Lotsenfunktion der Hausärzte stärken

Spitzenkandidatin Anja Siegesmund ist gesundheitspolitische Sprecherin im Thüringer Landtag. Die Grünen stören sich vor allem an der Sektorengrenze und "Doppelstrukturen" - stattdessen werden MVZ in Kooperation ambulanter und stationärer Versorgung befürwortet. Außerdem soll der ÖGD gestärkt und zu "regionalen Gesundheitszentren" aufgewertet werden - zu verstehen als gebündeltes Angebot von Beratung, Selbsthilfen und Sozialstationen. Die Grünen können sich außerdem für das Modell der Gemeindeschwester begeistern und wollen die Lotsenfunktion der Hausärzte stärken.

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