Versuche an Embryonen

Ein ethischer Konsens fehlt

Britische Behörden haben Wissenschaftlern genehmigt, menschliches Erbgut zu verändern. Ein absoluter Tabubruch? Das zielt zu kurz - denn in der globalen Forschung fehlen ethische Standards, und damit auch Tabus.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Das CRISPR-Cas9-System erlaubt es, genetische Sequenzen passgenau auszuschneiden und einzubauen.

Das CRISPR-Cas9-System erlaubt es, genetische Sequenzen passgenau auszuschneiden und einzubauen.

© Krautberger / fotolia.com

LONDON. Das selbst auferlegte Moratorium hat kaum mehr als einen Monat gehalten: Anfang Dezember 2015 versammelten sich in Washington führende Ärzte und Wissenschaftler.

Nach dreitägiger Konferenz erklärten sie, Eingriffe in die Keimbahn menschlicher Embryonen seien so lange "unverantwortlich", wie Risiken, Vorteile und Alternativen nicht abschließend geklärt und "breiter gesellschaftlicher Konsens über die Angemessenheit" solcher Eingriffe erreicht worden seien.

Bis Montag hielt dieser vermeintliche Konsens: Dann kündigte die britische Human Fertilisation and Embryology AUTHORity (HFEA) an, einem Antrag des Londoner Francis Crick Institute stattzugeben. Die Wissenschaftler dürfen, vorbehaltlich der Genehmigung durch eine Ethik-Kommission, Versuche an bis zu sieben Tage alten menschlichen Embryonen vornehmen.

Dabei kommt ein Werkzeug zum Einsatz, das nach Einschätzung des Magazins "Science" der wissenschaftliche Durchbruch des vergangenen Jahres gewesen ist. Das CRISPR/Cas9 genannte Instrument funktioniert wie eine Schere, mit der es möglich ist, das Erbgut von Bakterien, Pflanzen, Tieren oder Menschen einfach und effektiv zu verändern. Forscher können auf diese Weise Gene ausschalten, defekte DNA-Teile ersetzen oder neue Gensequenzen einfügen.

Ein Ziel: Erfolgsraten der IvF steigern

Eine Forschergruppe um Kathy Niakan will untersuchen, welche Gene nötig sind, damit sich ein Embryo erfolgreich entwickelt. Die Ergebnisse könnten die Erfolgsraten von In-vitro-Fertilisationen erhöhen, heißt es in einer Erklärung des Crick-Instituts.

Die Embryonen würden ausschließlich für die Forschung, nicht für therapeutische Zwecke verwendet. Sie stammen den Angaben zufolge von Paaren, die nicht alle ihre befruchteten Eizellen für die IvF benötigt und ihrer Verwendung für die Forschung zugestimmt haben.

Das Vorpreschen der HFEA ist ein kalkulierter Bruch mit wissenschaftspolitischen Konsensen. Noch im Mai 2015 hatte etwa John P. Holdren, wissenschaftlicher Berater von US-Präsident Obama, die Linie der US-Regierung abgesteckt.

Eingriffe in die Keimbahn seien eine Linie, "die zurzeit nicht überschritten werden sollte". Man vertraue auf die Wissenschaft, die in der Vergangenheit ethische Prinzipien entwickelt und sich an diese gehalten habe, erklärte Holdren damals. Er sollte sich täuschen.

Embryonenschutzgesetz lässt Grauzone

Die Entscheidung der britischen Behörde hat denn auch in Deutschland überwiegend Skepsis oder Kritik ausgelöst. Damit werde "das letzte Tabu gebrochen, bei dem weltweite Einigkeit herrschte", kommentierte etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe. Er verwies auf die Rechtslage in Deutschland, und die sei im Hinblick auf Eingriffe in die Keimbahn eindeutig.

Das Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1991 verbietet jede Herstellung oder Verwendung von menschlichen Embryonen zu einem anderen Zweck als dem, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Untersagt ist weiterhin jede Manipulation an einem extrakorporal erzeugten Embryo, die nicht seiner Erhaltung dient.

Faktisch lässt das Gesetz aber eine Grauzone offen, die sich aus der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch ergibt. Im Februar 1975 erkannten die Richter, dass sich das Grundrecht auf Leben auch auf das ungeborene Leben beziehe.

Und dieses bestehe "jedenfalls vom 14. Tage nach der Empfängnis (Nidation, Individuation) an" - vorher nicht?

Absoluter Schutz - und die Ausnahmen

Die Reaktion auf neue Forschungsansätze ist in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren immer defensiv gewesen. So legte der Bundestag angesichts der Verheißungen von Stammzellforschern 2002 mit dem Stammzellgesetz Ausnahmen vom absoluten Embryonenschutz fest.

Sechs Jahre später machte der Gesetzgeber das Tor noch ein wenig weiter auf und erlaubte Wissenschaftlern die Arbeit an Stammzelllinien, die bis Mai 2007 etabliert worden sind.

Was sind die Lehren dieses neuen "Tabubruchs"? Der nationale Gesetzgeber wird es nicht richten können. Bereits die Europäische Union als relativ homogener Kulturkreis zeigt einen großen Pluralismus konkurrierender Ethiktraditionen - und entsprechend unterschiedliche regulatorische Strategien.

Vollends fehlen schließlich ethische Standards mit Blick auf die global vernetzte Forschung. Der Deutsche Ethikrat widmete 2015 seine Herbsttagung der Frage, welche unhintergehbaren Standards in der internationalen klinischen Forschung etabliert werden können. Am Ende der Tagung standen Appelle wie der, eine "Kultur der Verantwortung" müsse bereits in der wissenschaftlichen Ausbildung verankert werden.

Im März steht bei einem Treffen von Ethikräten aus aller Welt in Berlin das große Ganze erneut auf dem Programm: "Global Health, Global Ethics, Global Justice". (mit dpa-Material)

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