Ein kleiner Schritt für die Organspende

Jahrelang haben die Parteien gerungen: Jetzt steht ein Kompromiss für die Organspende. Kritiker und Fachgesellschaften sind skeptisch. Doch neben der jetzigen Lösung sind noch weitere Änderungen bei der Organspende geplant.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:
Sollen bald mehr Menschen haben: Organspendeausweis.

Sollen bald mehr Menschen haben: Organspendeausweis.

© sbra

BERLIN. Ja, Nein, Ich weiß nicht - mit diesen Antworten will die Politik die Zahl der Organspender in Deutschland erhöhen. Entscheidungslösung heißt der Konsens, auf den sich die Spitzen aller Bundestagsfraktionen am Donnerstagabend geeinigt haben.

Vorausgegangen war eine jahrelange Diskussion, denn Deutschland fehlen schlicht Organspender. Jedes Jahr sterben schätzungsweise rund 1000 Menschen, weil sie nicht schnell genug ein benötigtes Organ bekommen.

Im Jahr 2010 wurden in Deutschland gut 4200 Organe transplantiert. Zum Vergleich: Hierzulande warten allein auf eine Niere 8000 Menschen. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit knapp 15 Spendern je einer Million Einwohner (im Jahr 2010 gab es 1300 postmortale Spender) im unteren Mittelfeld.

Spitzenreiter ist Spanien mit 34,4 Spendern pro Million. Dort gilt die Widerspruchslösung. Allerdings erreichen auch andere Länder mit einer Zustimmungslösung, die bislang auch in Deutschland gilt, höhere Werte. In den USA etwa kommen auf eine Million Einwohner 21,9 Spender.

Ein weiteres Problem: Zwar äußern sich 75 Prozent aller Bundesbürger pro Organspende, einen Organspendeausweis besitzen aber nur rund 25 Prozent.

Mit der Entscheidungslösung, je nach Lesart auch Erklärungslösung genannt, will die Politik nun einen Großteil der restlichen 50 Prozent erreichen. Dazu sollen die Bürger künftig verstärkt nach ihrer Spendebereitschaft gefragt werden. Einen Zwang gibt es allerdings nicht.

Zwischen Widerspruch, Zustimmung und Erklärung

Maßgeblich ins Rollen gebracht wurde der jetzige Gruppenantrag von den Fraktionschefs der beiden großen Volksparteien, Volker Kauder (CDU) und Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Politiker aus allen Parteien feierten den Kompromiss am Freitag als Meilenstein. Doch Kritiker bezweifeln, dass künftig mehr Organe gespendet werden. Zahlreichen Ärztevertretern geht der Kompromiss nicht weit genug.

Noch beim letzten Ärztetag in Kiel hatte sich die Bundesärztekammer für eine Erklärungspflicht ausgesprochen. Von dieser Idee war BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery im Herbst zwar abgerückt, da Juristen verfassungsrechtliche Bedenken geäußert hatten.

Allerdings fordert er weitere Schritte, da die "regelmäßige Abfrage der Spendebereitschaft allein nicht ausreichend" sei.

Auch der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) gegen die jetzigen Pläne nicht weit genug. Notwendig sei unter anderem eine breit angelegte Informationskampagne, fordert die DSO.

Medizinische Fachgesellschaften gehen noch weiter: Die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) und die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) etwa fordern die Widerspruchslösung, bei der jeder Bürger potenziell Spender ist, wenn er oder nach dem Tod seine Angehörigen nicht der Organentnahme widersprechen.

Deutlichere Worte kommen von der Deutsche Hospiz Stiftung: "Das Einzige, was der Politik einfällt, ist den Druck auf die Krankenhäuser zu erhöhen, penetrante Werbung in der Bevölkerung, und den Datenschutz auszuhöhlen", moniert Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Nun gelte es darauf zu achten, dass aus dem Kompromiss kein "Placebo-Gesetz" werde.

Dennoch: Mehr Kritik gibt es kaum. Man sei froh, dass es jetzt endlich eine Lösung gibt, heißt es aus den meisten Verbänden.

BÄK-Präsident Montgomery nennt den Vorschlag "vernünftig". Die Einigung sei gut, aber: "Natürlich könnte man jedes Gesetz immer noch besser machen", sagt er und warnt vor einem "politischen Kleinkrieg". "Jetzt muss das Gesetz verabschiedet werden."

Auch DGfN-Präsident Professor Reinhard Brunkhorst lobt den Kompromiss. Auch wenn er, ausschließlich persönlich wie er betont, nicht davon ausgeht, dass die Zahl der Nierenspenden drastisch ansteigen wird, will er "genau schauen, was jetzt passieren wird".

"Spannend" fände er allerdings "eine Diskussion über den gesellschaftlichen Konsens". Brunkhorst: "Das muss endlich diskutiert werden, auch wenn es sehr schwierig ist."

Gemeinsam mit der Transplantationsgesellschaft und der Nierenstiftung wollen die Nephrologen verstärkt in der Öffentlichkeit für die Organspende werben. Zum Weltnierentag am 8. März starten sie die Kampagne "Sag ja zum Leben, sag ja zur Organspende".

Wahl zwischen drei Antworten und dem Papierkorb

Mit dem jetzt von den Fraktionsspitzen geplanten Modell sollen alle Krankenversicherten ab 16 Jahren von den gesetzlichen und privaten Krankenkassen über ihre Bereitschaft zur Organspende befragt werden.

Nach dem Willen der Unterhändler soll das Gesetz bereits im Sommer in Kraft treten. Noch in diesem Jahr könnten dann die ersten Anschreiben an die Versicherten herausgehen.

Zwei Jahre später, soll ein zweiter Brief folgen, ab 2017 alle fünf Jahre ein weiterer. Außerdem sollen die Bürgerämter Organspendeausweise und Infomaterial aushändigen, wenn Pässe oder Führerscheine beantragt werden.

Zusätzlich zu den bekannten Pappkärtchen soll die Entscheidung auch auf der nächsten Generation der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden können. Für die Speicherung auf der E-Card hatte sich auch die Bundesärztekammer ausgesprochen.

Allerdings liegt die Betonung bei dem jetzigen Kompromiss auf Können, denn gegen einen obligatorischen Eintrag hatten unter anderem Linke und Grüne erhebliche Bedenken.

Nachdem auch Datenschützer Zweifel bei dem sogenannten Schreibrecht angemeldet hatten, sollen die Kassen die Entscheidung nun nur noch auf ausdrücklichen Wunsch der Versicherten speichern dürfen. Bis 2013 soll die Betreibergesellschaft gematik eine Machbarkeitsstudie für die Speicherung in einem separaten Datenfach erstellen.

Vom Tisch ist auch der Vorschlag, die Entscheidung auf dem Führerschein oder Personalausweis zu speichern.

Bei ihrer Entscheidung sollen die Bürger künftig die Wahl zwischen den drei Antworten und dem Papierkorb haben. Denn einen Zwang zur Antwort wird es nicht geben. Kritiker bezeichnen den Begriff Entscheidungslösung daher als Irreführung.

Durchgesetzt haben sich dabei dem Vernehmen nach vor allem FDP und Grüne. Aus der SPD gab es anfangs Forderungen, mehr Druck bei der Entscheidung auszuüben - allerdings auch mit der Option "Ich weiß nicht". Zugunsten des Kompromisses haben die Sozialdemokraten davon aber Abstand genommen.

Die Betonung liegt auf Freiwillig

"Für mich ist der Charakter einer Spende enorm wichtig", sagt etwa Gabriele Molitor. Die FDP-Bundestagsabgeordnete hat für ihre Fraktion an dem Kompromiss mitgearbeitet. "Mir ist wichtig, dass alles im Rahmen der Freiwilligkeit geschieht. Nur auf dieser Grundlage kommen wir zu höheren Spenderzahlen."

Kritik, der Kompromiss greife nicht weit genug, weißt sie sie zurück: "Erstmals ist es uns gelungen, nahezu jeden Versicherten zu erreichen. Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben."

Auch die Grünen-Politiker Elisabeth Scharfenberg und Harald Terpe betonen den "wichtigen Aspekt der Freiwilligkeit". Unisono SPD-Fraktionschef Steinmeier: "Es wird keine Pflicht geben. Nachdruck darf sein, Zwang darf nicht sein."

Und CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn: "Es geht nicht um Zwang, sondern darum, die Menschen zu überzeugen."

Doch trotz des fraktionsübergreifenden Konsens bezweifeln manche Abgeordnete, dass die Neuregelung spürbare Veränderungen bringt. Hinter vorgehaltener Hand heißt es sogar, man habe sich gerade auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können, damit vor allem SPD und CDU ihr Gesicht wahren können.

Offen kaputtreden will die Lösung dennoch niemand. SPD-Politikerin Carola Reimann: "Das sollte jetzt nicht kleingeredet werden", auch wenn die Lösung kein "Allheilmittel" sei.

Eine offene Flanke scheint außerdem die Speicherung auf der E-Card zu sein. Einzelne Abgeordnete scherten bereits aus.

So die Linkenpolitikerin Kathrin Vogler Anfang wenige Tage vor dem Kompromiss: "Diese sogenannte Einigung mache ich nicht mit." Der Datenschutz werde "komplett über Bord geworfen", monierte sie die Vorschläge, die "in kleiner Kungelrunde hinter verschlossenen Türen abgesprochen wurden".

Der Dämpfer kam noch am Donnerstag aus derselben Partei. Martina Bunge, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion: "Die datenschutzrechtlichen Behauptungen sind an den Haaren herbeigezogen."

Tatsächlich ist mit dem Kompromiss der Fraktionsspitzen noch nicht aller Tage Abend. Gerade liegt der Gesetzentwurf, den das Bundesgesundheitsministerium auf Basis des Fraktionskompromiss erarbeitet hat, zur sachlichen Prüfung im Justizministerium.

Erst dann kann der Antrag den Fraktionen zugeleitet werden. FDP-Politikerin Molitor: "Jetzt müssen so viele Abgeordnete wie möglich gewonnen werden."

Transplantationsbeauftragte sollen Pflicht werden

Abgeordnete gewinnen müssen die Fraktionen auch für ein weiteres Gesetzesvorhaben: das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes (TPG-ÄndG). Bereits seit Oktober liegt es im Parlament, dem Vernehmen nach soll es noch im März die erste Lesung im Plenum geben.

Mit dem TPG-ÄndG soll in erster Linie die EU-Richtlinie für die Qualitätssicherung bei Transplantationen aus dem Jahr 2010 umgesetzt werden.

Mit dem Gesetz werden alle Entnahmekrankenhäuser verpflichtet, mindestens einen Transplantationsbeauftragen einzustellen. Derzeit gibt es in Deutschland rund 1300 Kliniken mit Intensivstationen, die von dieser Neuregelung betroffen wären.

Für DGfN-Präsident Brunkhorst ist die geplante Vorschrift "der richtige Schritt". "Es gibt bestimmt Widerstände in den Kliniken, auch durch den Zeit- und Kostendruck", sagt er. "Dennoch ist der Weg richtig."

Ihm liegt vor allem die regelmäßige Schulung der Beauftragen am Herzen, denn vor allem sprechende Medizin werde im Alltag schnell verlernt. Das Problem: Ärzte, die eine Todesnachricht an die Angehörigen überbringen müssen, stehen unter enormen Druck.

Hier hilft laut Brunkhorst nur eine Professionalisierung: "Wenn es ein guter Arzt ist, der die Nachricht überbringt, dann ist er mitbetroffen und mitberührt. Nur dann ist es möglich, mit den Angehörigen auch über die Organspende zu sprechen."

Ein weiterer Baustein müsste laut Brunkhorst sein, dass "die Verwandtenspende forciert wird". "Das muss dringend geschehen."

Besserstellung der Lebendspender

Auch hier sind die Abgeordneten im Bundestag fleißig am Arbeiten. Zwischen den Fraktionen wird derzeit über einen Änderungsantrag zum TPG-ÄndG diskutiert, mit dem Lebendspender künftig bessergestellt werden sollen.

Eine erste Formulierungshilfe hatte das Gesundheitsministerium im Januar erarbeitet. Danach soll die Kasse des Organempfängers künftig für die Kosten der Organentnahme, Vor- und Nachbehandlung, Reha-Behandlung und das Krankengeld aufkommen. Letzteres soll 100 Prozent des letzten Nettoeinkommens statt wie bisher 90 Prozent betragen.

Außerdem sollen Lebendorganspender im Rahmen der Behandlung von Zuzahlungen befreit werden. Für Folgeerkrankungen der Spender soll anschließend die Kasse des Spenders aufkommen.

Tritt im Nachhinein ein Gesundheitsschaden ein, soll die gesetzliche Unfallversicherung dafür aufkommen. Damit soll eine "klare und unzweideutige Abgrenzung" zwischen Kranken- und Unfallversicherung eingeführt werden. In der Vergangenheit hatte es speziell bei dieser Unterscheidung immer wieder Probleme gegeben.

Geändert werden soll auch die Lohnfortzahlung. Der Eingriff für eine Organspende soll demnach als "unverschuldete Arbeitsunfähigkeit" definiert werden. Damit erhalten die Spender bis zu sechs Wochen von ihrem Arbeitgeber weiter Gehalt, das den Unternehmen wiederum von der Krankenkasse des Organempfängers erstattet werden soll. Die geplanten Regelungen sollen auch für Privatversicherte gelten.

An einigen Stellen des Änderungsantrages sehen die Fraktionen noch Nachbesserungsbedarf. Ein Problem sind offenbar Formulierungen bei der Lohnfortzahlung.

Das Bundesgesundheitsministerium wurde dem Vernehmen nach gebeten, an diesen Stellen noch einmal zu feilen. Bereits Ende März könnte der Antrag aber schon ins Parlament kommen, heißt es in Berlin.

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