Patientenberatung
Eine Neuorganisation wäre sinnvoll
Die Neuvergabe der Unabhängigen Patientenberatung an Sanvartis hat viele Gemüter erhitzt. Das eigentliche kuriose ist aber, dass die Krankenkassen eine Einrichtung finanzieren müssen, deren Arbeitsschwerpunkt Konflikte mit Krankenkassen sind.
Veröffentlicht:Kann eine Patientenberatung wirklich unabhängig sein, wenn sie von den Krankenkassen finanziert wird? Das war eine der Kernfragen bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages, die von der Fraktion der Linken initiiert wurde. Nach dem Studium der Expertenstellungnahmen kann man an der Unabhängigkeit einer so finanzierten Patientenberatung zumindest Zweifel hegen.
Und die Frage drängt sich auf: Wäre eine andere Art der Finanzierung - zum Beispiel durch ein Stiftungsmodell oder aus Steuergeldern - nicht sinnvoller?
Befördert wird diese Diskussion zusätzlich durch die umstrittene Vergabe der neuen UPD (Unabhängige Patientenberatung Deutschlands) an die Sanvartis GmbH. Hier gibt es nach wie vor erheblicheVorbehalte, weil Sanvartis auch für Krankenkassen und die Pharmaindustrie arbeitet. Sanvartis und die neue UPD konnten durch viele Maßnahmen zeigen, dass sie sich um Unabhängigkeit bemühen.
So ist die neue UPD eine eigenständige Gesellschaft, in Form einer gemeinnützigen GmbH. Der Geschäftsführer arbeitet ausschließlich für die UPD und ist verpflichtet, jeden Einfluss von außen dem Beirat zu melden. Ansonsten drohen ihm laut Gesellschafterbeschluss haftungsrechtliche Konsequenzen. Ein Auditor, der zu allen UPD-Sitzungen Zugang und auf alle Unterlagen Zugriff hat, soll zusätzlich die unabhängige Arbeitsweise kontrollieren. Bei Verstößen können Fördermittel zurückgefordert werden.
Konstruktionsfehler
Doch hätte sich der GKV-Spitzenverband als nahezu alleiniger Geldgeber und der Patientenbeauftragte der Bundesregierung Karl-Josef Laumann, der qua Amt maßgeblich an der Vergabe beteiligt ist, viel Ärger ersparen können, wenn die UPD anders finanziert und organisiert würde. Es ist ein Konstruktionsfehler, dass die Kassen eine Organisation finanzieren müssen, deren Aufgabe es in erheblichem Maße ist, Patienten auch bei Auseinandersetzungen mit ihren Krankenkassen zu beraten.
Welche Probleme dabei auftreten können, machte der EinzelsachverständigeSebastian Schmidt-Kaehler in seiner Stellungnahme vor dem Gesundheitsausschuss deutlich. Er war zwischen 2011 und 2015 selbst Geschäftsführer der "alten" UPD und weist ausdrücklich daraufhin, dass es in dieser Zeit weder inhaltliche Weisungen des GKV-Spitzenverbandes gegeben habe, noch irgendeine andere Form der unmittelbaren Einflussnahme auf die Beratungstätigkeit.
Trotzdem sieht er "strukturell angelegte Berührungspunkte zwischen Fördermittelgeber und der geförderten Einrichtung, die das Risiko einer mittelbaren Einflussnahme bergen".
So seien Konflikte mit den Kassen bei leistungsrechtlichen Fragen der inhaltliche Schwerpunkt der UPD-Arbeit. "Die Tatsache, dass eine Konfliktpartei gleichzeitig als Fördermittelgeber der unabhängigen Patientenberatung fungiert, wurde von den ratsuchenden Patienten durchaus wahrgenommen und auch aktiv thematisiert", schreibt Schmidt-Kaehlerin seiner Stellungnahme.
Die Berater seien dadurch nicht selten in eine Rechtfertigungssituation geraten. Der GKV-Spitzenverband wiederum habe - auch ohne eigenes Zutun - unter dem Generalverdacht der Einflussnahme gestanden.
Wenn das auf eine Zeit zutrifft, als die UPD noch vom Sozialverband VdK, der Verbraucherzentrale Bundesverband und dem Verbund Unabhängige Patientenberatung getragen wurde, so wird das Misstrauen nach der erbittert geführten Debatte um die Neuvergabe an Sanvartis, das auch für Krankenkassen arbeitet, noch deutlich steigen. Bei allen guten Absichten, die das neue UPD-Team mit Sicherheit hat, es wird wahrscheinlich die Konsequenzen dieses Konstruktionsfehlers ausbaden müssen.
Schmidt-Kaehler nennt aber auch ein Beispiel, bei dem die Arbeit der UPD zu Unmut beim GKV-Spitzenverband geführt habe. So machte die UPD in Jahresberichten an den Patientenbeauftragten auf Missstände bei Krankengeldzahlungen aufmerksam. Die Presse berichtete ausführlich., dass Kranke von Kassen-Fallmanagern zur Arbeit gedrängt worden sein sollen.
Das sei beim GKV-Spitzenverband keineswegs nur auf Wohlwollen gestoßen, so Schmidt-Kaehlerin seiner Stellungnahme. Ein Vorstandsmitglied habe sich schriftlich an den Patientenbeauftragten der Bundesregierung gewandt und sein Missfallen zum Ausdruck gebracht und dokumentiert.
"So war die UPD im Rahmen einer unverzerrten Berichterstattung faktisch gezwungen, den eigenen Fördermittelgeber öffentlich zu kritisieren - auch im unmittelbaren Vorfeld der bevorstehenden Neuvergabe der Fördermittelnach Paragraf 65b SGBV", schreibt Schmidt-Kaehler.
Kompetenzverlust durch Neuvergaben
Zwei weitere Punkte sind bei der Konstruktion der UPD in ihrer jetzigen Form problematisch. So wurde für die Vergabe ein streng vertrauliches Verhandlungsverfahren gewählt, das nach Auffassung mehrer Sachverständiger "einem transparenten Verfahren eher entgegensteht als es zu fördern", formuliert es zum Beispiel der Sachverständige Stefan Etgeton.
Tatsächlich waberten im Spätsommer permanent Gerüchte über die Neuvergabe an Sanvartis durch die Republik, aber keiner der Beteiligten durfte sich wegen der strengen Geheimhaltungsregelungen zum Stand der Dinge äußern.
Die Bundesregierung habe sich wegen der hohen Fördersumme von insgesamt 63 Millionen Euro für ein europaweites Ausschreibungsverfahren entschieden, obwohl es sich bei der Vergabe der Fördermittel nicht um einen öffentlichen Auftrag nach Paragraf 99 Absatz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen handelt.
Die Anwendung dieses Vergaberechtsregimes sei freiwillig erfolgt, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken. Ein europaweites Ausschreibungsverfahren biete größtmögliche Transparenz. Zugleich seien im Sinne des freien und fairen Wettbewerbs klare rechtliche Grenzen gesetzt, heißt es.
Dazu zähle, dass während des gesamten Vergabeverfahrens das Prinzip der Vertraulichkeit unbedingt eingehalten werden müsse. Die Argumentation hinsichtlich der Fördersumme ist nachvollziehbar. Angesichts der Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr sollte ein transparenteres Vergabeverfahren aber in Betracht gezogen werden.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die regelmäßige Neuvergabe, auch wenn der Zeitraum schon von fünf auf sieben Jahre verlängert wurde. Für wiederkehrende Ausschreibungen spricht der Wettbewerbsgedanke. Er kann neuen Konzepten eine Chance geben. Dagegen spricht, dass mit einem Anbieterwechsel Fachwissen verloren geht.
Das deutsche Gesundheitssystem wird in erheblichem Maße von Lobbygruppen geprägt. Es braucht Jahre, um das komplexe System aus Interessen von Vertragsärzten, Krankenhäusern, Kassen, Privater Krankenversicherung, Pharmaindustrie, von Fachgesellschaften und auch Patienteninteressen zu verstehen und sich in ihm zu behaupten.
Immer wieder kompetente Mitarbeiter zu finden, die einen festen Arbeitsplatz aufgeben, um eine befristete Stelle zu übernehmen ist nicht einfach. Andererseits geht bei einem Anbieterwechsel jahrelang angeeignete Kompetenz verloren. So wird die Patientenberatung geschwächt, ob gewollt oder nicht.
Die UPD ist im Prinzip ein vernünftiges und sinnvolles Angebot. In sie fließt sehr viel Geld der Krankenkassen, also zum größten Teil der Beitragszahler. Bei solchen Summen muss gewährleistet sein, dass es nicht den geringsten Zweifel an der Unabhängigkeit geben darf. Das ist bei der momentanen Finanzierung und bei den Ausschreibungs- und Vergabemodalitäten jedoch nicht zweifelsfrei gegeben.