Hessen
Erste Beratungen für neues Psychiatrie-Gesetz
Seit 1952 hat sich in Hessen nichts an der Gesetzeslage zur Zwangsbehandlung und Zwangseinweisung verändert. Jetzt will die schwarz-grüne Landesregierung aktiv werden - Ärzte und Experten fordern seit langem ein neues Gesetz.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen will einen Anlauf für ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz nehmen, das der aktuellen Rechtsprechung von Bundesgerichtshof, Europäischem Gerichtshof und der UN-Behindertenrechtskonvention entspricht.
Denn das Gesetz, nach welchem Menschen in Hessen zwangsbehandelt werden können, stammt aus dem Jahr 1952.
Warum erst jetzt von einer Landesregierung in Hessen dieses Gesetzesvorhaben in Angriff genommen wird, kann nicht nur mit den aktuellen Rechtsprechungen der höchsten deutschen und europäischen Gerichte zum Maßregelvollzug erklärt werden. "Bisher lief alles in seinen Bahnen", heißt es aus der Politik in der Landeshauptstadt Wiesbaden.
Hohe Zahl Betroffener
Ganz anders lautet das Urteil der Ärzte in psychiatrischen Kliniken: "Menschen mit psychischen Erkrankungen werden von der Gesellschaft stigmatisiert. Daher hat man sich lange nicht um ihre Belange gekümmert", so die einhellige Meinung auf einer Pressekonferenz der Uniklinik Frankfurt zum Auftakt der Beratungen von Experten und Parlament.
Deutlich mache dies auch der Titel des Gesetzes von 1952: "Gesetz über die Entziehung der Freiheit geisteskranker, geistesschwacher, rauschgift- oder alkoholsüchtiger Personen."
Nach Angaben der leitenden Ärzte an der Uniklinik regelt das Gesetz bisher einzig die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik, bei einer Entscheidung über eine Zwangseinweisung müssten psychiatrische Fachkräfte nicht einbezogen werden. "Die Notwendigkeit und Bedeutung eines Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes ergibt sich auch aus der beträchtlichen Zahl betroffener Menschen", so Dr. Stefan Hornung, stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.
Die beklagten Mängel will die schwarz-grüne Landesregierung in dem Gesetz, das sie auch im Koalitionsvertrag 2013 angekündigt hat, beheben: Laut den Eckpunkten, die der "Ärzte Zeitung" vorliegen, sollen künftig vor allem die Sozialpsychiatrischen Dienste bei den Gesundheitsämtern neue Aufgaben erhalten.
Dazu gehören die Steuerung, Unterstützung und Vernetzung von Angeboten vor Ort sowie die Koordination von Hilfsangeboten zur Vor- und Nachsorge von persönlichen Krisen.
Auch sollen die Gesundheitsämter gemeinsam mit allen Beteiligten die Daten von Fällen der Zwangsunterbringungen analysieren. Dadurch sollen Zwangsmaßnahmen minimiert werden. Klargestellt werden soll, dass Zwangsmaßnahmen immer das letzte Mittel sind und diese Fälle umfassend dokumentiert werden müssen.
"Positive Beispiele aus anderen Ländern haben gezeigt, dass sich die Zahl der Zwangsmaßnahmen durch ein entsprechendes Gesetz deutlich reduzieren lässt", erklärt Dr. Robert Bittner, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Frankfurt. Auch nach seiner Meinung müssen die Sozialpsychiatrischen Dienste künftig eine entscheidende Rolle spielen.
Die Eckpunkte wurden im Oktober 2014 im Fachbeirat Psychiatrie beraten, der dafür erstmals seit zehn Jahren wieder von der Landesregierung einberufen wurde. Auch dieser Fachbeirat soll als feste Institution im Gesetz verankert werden.
Neben der Stärkung der Selbsthilfe sollen auch Regelungen zum Beschwerdemanagement entwickelt sowie in den drei Regierungsbezirken Hessens Besuchskommissionen eingerichtet werden.
Andere Bundesländer als Beispiel
Vorbild sollen die bereits bestehenden Gesetze in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt werden. In ihr eigenes Gesetz wollen die hessischen Landespolitiker die Erfahrungen der Kollegen aus anderen Ländern einfließen lassen.
Es wird damit gerechnet, dass der Landeshaushalt im Zuge des Gesetzes mit einem "einstelligen Millionenbetrag" belastet werde. Spätestens im Sommer 2015 soll es im Parlament beraten werden, heißt es aus Wiesbaden. (bee)