Leitartikel zur Psychotherapie

Es geht um mehr als Wartezeiten

Wer über lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz diskutiert, verliert den Blick für die komplexe Materie. Letztlich geht es auch um die richtigen Diagnosen, die richtige Therapie und um die künftige Honorierung der Psychotherapeuten.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Ein Psychotherapeut im Gespräch mit einer Patientin. Oft warten Patienten zu lang auf einen Termin.

Ein Psychotherapeut im Gespräch mit einer Patientin. Oft warten Patienten zu lang auf einen Termin.

© WavebreakmediaMicro / fotolia.com

Sie warten und warten und warten - im Schnitt vergehen bis zu drei Monate, bis ein psychisch kranker Mensch ein Erstgespräch bei einem Psychotherapeuten erhält. Ein Erstgespräch wohlgemerkt; damit hat der Betroffenen noch lange keinen Therapieplatz.

Psychotherapeuten mahnen daher seit langem an, dass sich das dringend ändern muss. Maximal drei Wochen dürfe die Wartezeit auf einen Platz dauern, fordert Professor Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer.

Inzwischen stimmen auch Krankenkassen in dieses Klagelied ein - auch sie wollen die Wartezeiten verkürzt wissen. Unverständlich, dass sich immer noch nichts bewegt.

Allerdings führen Lösungsvorschläge zu erneuten Grabenkämpfen zwischen Kassen auf der einen und Psychotherapeuten auf der anderen Seite. Der neueste Aufschlag kommt von der Techniker Krankenkasse: Eine Koordinierungsstelle für die Platzvergabe müsse her, heißt es in einem Thesenpapier.

Auf diese Weise soll jeder Patient die für ihn am besten geeignete Psychotherapie erhalten. "Therapieplätze würden in Folge nicht falsch besetzt und stünden denjenigen zur Verfügung, die sie tatsächlich benötigen", heißt es in dem Papier.

Patienten sollen von einem unabhängigen ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten eine Empfehlung erhalten, welche Therapieform - Verhaltenstherapie, analytische Psychotherapie oder tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie - bei der jeweiligen psychischen Störung am besten wirke ...

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Kommentare
Dr. Enno Maaß 07.05.201322:34 Uhr

Wer eine bessere Versorgung möchte, muss doch vor allem Barrieren ab- und nicht aufbauen!

Bleibt der TK etwa verborgen, dass mit einer "Koordinierungsstelle" eine zusätzliche Barriere in der Versorgung psychisch Kranker Menschen errichtet würde? Unwahrscheinlich! Mir kommt dabei jedenfalls folgende Vision: "Eine psychoanalytische Behandlung bei einem männlichen Therapeuten würde in Ihrem Fall die besten Behandlungseffekte liefern. Der nächste Therapeut ist allerdings 100km entfernt. Was, Sie können dort nicht dreimal in der Woche hinfahren aus beruflichen Gründen? Na wenn Sie jetzt zum Verhaltenstherapeuten um die Ecke gehen, kann ich nicht sagen ob das überhaupt was bringt und ob die Kasse das auch noch zahlen wird, mmh...".
Dabei liefern die Psychotherapeuten doch stichhaltige Konzepte zum Abbau von Barrieren und einem niedrigschwelligen Zugang zum Versorgungssystem:

- Aufhebung der Befugnisbeschränkungen, damit die interdisziplinäre Zusammenarbeit gestärkt wird (Überweisungen, Klinik Einweisungen, AU-Bescheinigungen, Verordnung von Heilmitteln)
- Ermöglichung von Akut-Sprechstunden, auch zur Koordinierung von Behandlungsmöglichkeiten
- Erweiterungen der Job-Sharing Möglichkeiten und Übernahme von Leitungsfunktionen von MVZ für psychisch Erkrankte
- Sachgerechte Bedarfserfassung und -planung

Anstatt weitere Barrieren zu errichten, sollte doch die Profession selbst gehört und ernst genommen werden. In Zeiten von vermeintlichem Kostendruck ein anscheinend unzumutbares Unterfangen...

Dipl.-Psych. Martin Runge 06.05.201315:44 Uhr

Illusionen über Ressourcen der Basisversorgung

Es erscheint mir völlig realitätsfern zu glauben, man könne über einen zusätzlichen (von nichts anderem reden wir hier) Einsatz von Haus- und Fachärzten mit "wenigen Gesprächen...die häufigen leichten psychischen Störungen" so behandeln und abfangen, dass weniger Patienten einer Behandlung beim ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten bedürfen. Wie soll dies im normalen Praxisalltag zu leisten sein? Wenn dies möglich wäre, würden es die entsprechenden Kollegen doch tun. Ein zusätzlicher Koordinator (noch eine Kraft die bezahlt werden will) wird dies nicht ändern. Und Anrufe von Kassenmitarbeitern, die versuchen ihre Versicherten bei mir unter zu bringen habe ich genug.
Von den leichten psychischen Störungen, die mit wenigen Gesprächen abzuhandeln sind kommt in meiner Praxis außerdem nichts an! Komplextraumatisierungen, Persönlichkeitsstörungen, schwere Erschöpfung mit muliplen depressiven, ängstlichen und psychosomatischen Erkrankungen, Sucht usw. prägen den Alltag.
Von der berechtigt genannten völlig unzureichenden Honorierung mal anz abgesehen ist die Vorstellung, über eine Koordinierungsstelle die Patienten dem geeigneten Verfahren zu zu weisen besonders in der Psychotherapie für mich erschreckend. Ich benötige öfter mehr 2 - 3 Stunden, um mir ein ausreichendes Bild zu machen, welche psychotherapeutische Hilfe der Mensch vor mir wirklich benötigt, wenn ich nicht helfen kann. Und dies ist oft auch eine Frage der Persönlichkeit des Patientin UND des Behandlers und nicht nur des Verfahrens. Menschen auf eine ICD-Diagnose zu reduzieren wird dem zumeist komplexen und häufig komorbidem Gesamtbild nicht gerecht. Ist ein mehr konfrontativer Kollege/in besser, sind spirituelle oder ethnische Besonderheiten zu berücksichtigen usw usw.
Fakt ist, das es aktuell eine unbefriedigende Versorgungssituation in der Psychotherapie und zumindest in meiner Region in der Psychiatrie gibt und eine empörende Unterbezahlung der Behandler. Wenn die Gesamtsituation sich bessern soll werden die Kassen nicht darum herum kommen, mehr Geld für die Versorgung psychischer und psychiatrischer Erkrankungen auszugeben. Es ist ja vorhanden.

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