Fipronil im Ei
Europaweit Entrüstung über wochenlange Geheimhaltung
Belgische und deutsche Politiker fordern Transparenz in der Aufklärung des jüngsten Lebensmittelskandals. Dass die belgische Lebensmittelbehörde das Wissen über einen Fipronil-Verdachtsfall bewusst für sich behielt, sorgt für Kopfschütteln.
Veröffentlicht:In Deutschland und Belgien haben Politiker irritiert auf die wochenlange Informationssperre der belgischen Lebensmittelsicherheitsbehörde FASNK im Skandal um das Insektizid Fipronil reagiert. Am Wochenende war bekannt geworden, dass die Behörde schon Anfang Juni von einem Verdachtsfall in einem Betrieb wusste – Wochen, bevor sie am 20. Juli andere EU-Länder informierte. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) kündigte an, am Montag mit seinem belgischen Kollegen zu telefonieren. Die FASNK hatte sich nach eigenen Angaben für eine wochenlange Geheimhaltung entschieden, um die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht zu stören.
Der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im belgischen Parlament, Jean-Marc Nollet, zeigte sich laut Nachrichtenagentur Belga empört: "Diese Information ist sehr schwerwiegend und wirft zahlreiche Fragen auf im Zusammenhang mit der Überwachung des Lebensmittelsektors und dem Verbraucherschutz", erklärte er. Die Grünen verlangten eine Krisensitzung des belgischen Parlaments, der christdemokratische Umweltminister der Wallonie Carlo Di Antonio forderte die FASNK zu Transparenz auf.
Vorgehen der Behörden "ein starkes Stück"
Der frühere Sonderbeauftragte für die Dioxin-Krise, Freddy Willockx, machte den Behörden schwere Vorwürfe. "Es passieren die gleichen Fehler wie in der Vergangenheit", beklagte Willockx. "Das beschädigt das Vertrauen unserer europäischen Partner und der Bevölkerung." 1999 war bekanntgeworden, dass das krebserzeugende Dioxin in die Nahrungskette gelangt war, die Öffentlichkeit wurde aber erst spät informiert.
Auch die Vorsitzende des Verbraucherausschusses des Bundestags, Renate Künast (Grüne), kritisierte das Vorgehen der belgischen Behörden am Montag. Dies sei "ein starkes Stück", sagte die Grünen-Politikerin im ARD-"Morgenmagazin". Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt müsse auf europäischer Ebene aktiv werden, damit sich so etwas in Zukunft nicht wiederhole. Sie rief den CSU-Politiker zudem dazu auf, einen Aktionsplan zu erstellen, und sprach sich für ein komplettes Fipronil-Verbot aus.
In Deutschland gibt es erste Rückrufe für Produkte mit verarbeiteten Eiern – betroffen waren Salate eines Lübecker Unternehmens. Auch bei anderen Lebensmitteln wie etwa Mayonnaise oder Eierlikör dürften Experten zufolge Rückstände zu finden sein. Derweil arbeiten Prüflabore in Deutschland auf Hochdruck an einem Test, mit dem Fipronil in Eiern und daraus hergestellten Produkten nachgewiesen werden kann.
Interessante Ergebnisse könnte es auch aus Niedersachsen geben: Dort wird weiter nach den Hintermännern einer Briefkastenfirma gesucht, an die mit Fipronil versetztes Reinigungsmittel geliefert wurde. Nach derzeitigem Ermittlungsstand mengte ein belgischer Hersteller einem gängigen Reinigungsmittel das Insektizid verbotenerweise bei und verkaufte die Mischung an Betriebe in Belgien, den Niederlanden und Deutschland.
Zehn Tage vom Follikel bis ins Ei
Die Verwendung von Fipronil bei Tieren, die Lebensmittel liefern, ist in der EU verboten – auch, wenn damit lediglich Ställe desinfiziert werden. Hennen haben es über die Haut, beim Einatmen, auch beim herumpicken in den Körper aufgenommen, erklärt Manfred Kietzmann, Experte für Pharmakologie bei der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Der Stoff reichere sich in den für die Dotterbildung zuständigen Zellanlagen, den Follikeln, an, so Kietzmann. "Deshalb findet man das Fipronil auch hauptsächlich im Eidotter." Das hänge damit zusammen, dass Fipronil lipophil ist – also fettliebend. Die Reifung des Eis im Huhn dauere ungefähr zehn Tage. "Das heißt, der Wirkstoff, der heute in einem Follikel eingelagert wird, wird dann in zehn Tagen in dem Ei sein." Weil sich chemische Substanzen sehr schnell im Körper der Hühner ansammeln und dann auch im Ei zu finden sind, ist die Zahl der zugelassenen Arzneimittel für Legehennen sehr eingeschränkt. Tiermedikamente sind vor ihrer Zulassung darauf getestet worden, ob sie Rückstände im Fleisch oder den Eiern hinterlassen, heißt es auf den Seiten des Wissenschafts- und Informationszentrums Nachhaltige Geflügelwirtschaft.
Zwar sind die von Fipronil-Eiern und -Produkten ausgehenden Gefahren für Verbraucher aus Expertensicht bei den bisher gemessenen Konzentrationen überschaubar. In hohen Dosen kann Fipronil für Menschen aber gefährlich sein – in Experimenten mit Ratten schädigte die Substanz nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) das Nervensystem und die Leber.
Laut Umweltbundesamt ist Fipronil als Gefahrstoff eingestuft: "Der Wirkstoff ist giftig beim Einatmen, bei Hautkontakt und Verschlucken und führt zur Schädigung von Organen." Auf Wasserorganismen wirke Fipronil sehr giftig. (dpa)