Tötung auf Verlangen

Fast 7000 Niederländer sterben auf eigenen Wunsch

Zahl der Fälle von „aktiver Sterbehilfe“ ist im Vorjahr um neun Prozent gestiegen. Die Sterbewilligen sind in den meisten Fällen krebskrank, die größte Gruppe ist 70 bis 80 Jahre alt.

Von Florian Staeck Veröffentlicht:
Das „Expertisecentrum Euthanasie“ in Den Haag leistet Ärzten Unterstützung bei rechtlich besonders umstrittenen Fällen von Tötung auf Verlangen.

Das „Expertisecentrum Euthanasie“ in Den Haag leistet Ärzten Unterstützung bei rechtlich besonders umstrittenen Fällen von Tötung auf Verlangen.

© Remko de Waal/picture alliance/dpa

Den Haag. Die Zahl der Menschen in den Niederlanden, die auf eigenen Wunsch von Ärzten getötet wurden, ist im Vorjahr um neun Prozent auf 6938 gestiegen. Im Jahr 2019 hatte der Anstieg noch vier Prozent betragen. Das geht aus dem Jahresbericht 2020 der Kontrollkommission (Regionale Toetsingscommissies Euthanasie, RTE) hervor, die die Einhaltung der gesetzlichen Regeln überwacht. Die Zahl entspricht 4,1 Prozent aller Todesfälle im Nachbarland im Jahr 2020.

In 6705 Fällen (96,6 Prozent) wurde die Tötung auf Verlangen von einem Arzt vorgenommen, 216 Mal erhielt ein Sterbewilliger Hilfe bei der Selbsttötung. Unter der Gesamtzahl waren 3562 Männer (51,3 Prozent) und 3376 Frauen (48,7 Prozent).

70- bis 80-Jährigen sind die größte Gruppe

Die größte Gruppe unter den auf eigenen Wunsch Getöteten waren 70- bis 80-Jährige (33,4 Prozent), gefolgt von Menschen zwischen 80 bis 90 Jahren (24,8 Prozent). Rund jeder Fünfte (1452) war zwischen 60 und 70 Jahre alt. Der älteste Niederländer, der im Vorjahr durch „aktive Sterbehilfe“ getötet wurde, war 106 Jahre. Für die Gruppe der bis zu 40-Jährigen wurden insgesamt 72 Fälle registriert.

Bei rund 90 Prozent der Sterbewilligen war Krebs als Ursache für den Todeswunsch angegeben. Weitere 458 Menschen wurden getötet, bei denen neurologische Erkrankungen wie Parkinson oder ALS genannt wurden. Zu den auch in den Niederlanden sehr strittigen Fällen von Tötung auf Verlangen gehörten im Vorjahr 170 Menschen, die an Demenz litten.

In zwei Fällen lag nur ein Papierstück vor

Bei 168 von ihnen lag eine – nicht näher definierte – Frühphase von Demenz vor, in zwei weiteren Fälle wurde Demenz im fortgeschrittenen Stadium angegeben. Wie in einem solchen Fall die freie und unabhängige Willenserklärung festgestellt wird, sterben zu wollen, ist auch im Nachbarland strittig. Zwei der 6938 Tötungen erfolgten allein auf Basis schriftlicher Willenserklärungen der Betroffenen, teilt der RTE-Vorsitzende Jacob Kohnstamm im Jahresbericht mit.

88 Mal lag bei den Sterbewilligen eine psychische Erkrankung vor. Hier erfolgte – anders als in den meisten anderen Fällen – die Meldung der Tötung an die Kontrollkommission oft durch einen Psychiater (35). Die entsprechenden Ärzte sind häufig mit dem „Expertisecentrum Euthansie“ (früher: Stichting Levenseindekliniek) verbunden, das bei rechtlich besonders heiklen Fällen Tötungen auf Verlangen unterstützt.

Hausärzte melden 82 Prozent der Tötungen

Denn in der ganz überwiegenden Zahl sind Hausärzte diejenigen, die ihre Patienten auf deren Wunsch hin töten (82,4 Prozent). In 254 weiteren Fällen geschah dies durch einen Facharzt im Krankenhaus. Die Sterbewilligen wurden ganz überwiegend zu Hause (5676), im Hospiz (475) oder im Pflegeheim getötet (305).

Die Corona-Pandemie beeinflusste in den Niederlanden die Bilanz der Tötungen auf Verlangen nur geringfügig: Zwei Mal äußerten Menschen als Folge einer COVID-19-Erkrankung den Wunsch zu sterben. In vier weiteren Fällen wurde eine Corona-Infektion als Miterkrankung aufgeführt, der Sterbewunsch aber rührte von einer anderen Grunderkrankung her.

Die Niederlande hatten 2002 als erstes Land der Welt die Tötung auf Verlangen („aktive Sterbehilfe“) ermöglicht. Danach muss ein Patient unerträglich und aussichtslos leiden, er muss selbst ausdrücklich um Sterbehilfe gebeten haben und ein zweiter Arzt muss konsultiert werden.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Ein Medikament unter vielen, das wenigen hilft? 2400 Wirkstoff-Kandidaten in der EU haben den Orphan-Drug-Status.

© artisteer / Getty Images / iStock

Wirkstoff-Kandidaten mit Orphan-Drug-Status

Orphan Drugs – Risiken für ein Modell

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa)
Der Kampf gegen HP-Viren ist ein Schwerpunkt der Initiative Vision Zero.

© Pornpak Khunatorn / Getty Images / iStock

Welt-HPV-Tag

Krebs verhindern: Jugend gegen HPV impfen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Vision Zero e.V.
Ein junges Mädchen wird geimpft – gegen HPV? (Symbolbild mit Fotomodellen)

© milanmarkovic78 / stock.adobe.com

Vision Zero Onkologie

Die Elimination des Zervixkarzinoms

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Vision Zero e.V.
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Verbesserter Herzschutz

Influenza-Impfraten erhöhen: So geht’s!

Lesetipps
Im Vordergrund Savanne und eine Giraffe, im Hintergrund der Kilimandscharo.

© espiegle / stock.adobe.com

Erhöhtes Thromboserisiko

Fallbericht: Lungenembolie bei einem Hobby-Bergsteiger